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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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nicht entschieden, als der Schill'sche Zug dazwischen trat und die
Unterhandlungen abbrach. Marwitz schloß sich dem Zuge an, und
wiewohl er wenige Wochen später (unmittelbar vor oder nach dem
Gefecht von Dodendorf) nach Berlin zurückkehrte, weil er das
Kopflose des ganzen Unternehmens erkannt hatte, so wurden doch
die einmal abgebrochenen Unterhandlungen nicht wieder aufge-
nommen.

Beinahe unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Schill'schen
Zuge machte Marwitz die Bekanntschaft der Rahel Levin. Er
war dem Prinzen Louis Ferdinand an ritterlichem Sinn, an
Schönheit der Erscheinung, an künstlerischem Bedürfniß und vor
allem auch in jenem Selbstgefühl verwandt, das das Vorurtheil
des Standes überwunden hat, und so ergab sich diese Bekannt-
schaft mit einer Art von Folgerichtigkeit. Wie diese Bekanntschaft
ihm selber zu hoher Befriedigung gereichte und ihm in schweren
Tagen eine Stütze, in dunkeln Tagen ein Sonnenstrahl war, so
haben auch wir uns dieses Freundschaftsverhältnisses zu freuen,
weil wir dem Briefwechsel, der sich zwischen beiden entspann, das
beste Theil alles dessen verdanken, was wir über den Charakter
und selbst über die äußern Lebensschicksale des Mannes wissen.

Ihre Bekanntschaft begann im Mai 1809, und noch vor
Ablauf desselben Monats trennten sich die schnell Befreundeten
wieder, um erst nach länger als Jahresfrist die alten Beziehungen
wieder anzuknüpfen. Ein gegenseitiges Verständniß scheint sich fast
augenblicklich zwischen ihnen gebildet zu haben. Schon am 13. Juli
1809 konnte Rahel schreiben: "Ich ging in den Park hinunter,
schön waren Wiesen und Feld. Tausenderlei sah ich um mich her,
und alles hätte ich Marwitz gern gezeigt; er war der Letzte,
den ich sah, der so etwas verstand
." Und um dieselbe Zeit
schrieb sie an Fouque: "Ich habe Marwitz nur vierzehn Tage ge-

war ihm ein ähnlicher Antrag geworden; er hatte ihn aber mit dem Be-
merken abgelehnt, daß er zuvor mehr sehen und lernen wolle. Nur in
Zeiten wie die damaligen, wo nichts so niedrig stand wie das Ancienne-
tätsprincip, waren solche Dinge möglich.

nicht entſchieden, als der Schill’ſche Zug dazwiſchen trat und die
Unterhandlungen abbrach. Marwitz ſchloß ſich dem Zuge an, und
wiewohl er wenige Wochen ſpäter (unmittelbar vor oder nach dem
Gefecht von Dodendorf) nach Berlin zurückkehrte, weil er das
Kopfloſe des ganzen Unternehmens erkannt hatte, ſo wurden doch
die einmal abgebrochenen Unterhandlungen nicht wieder aufge-
nommen.

Beinahe unmittelbar nach ſeiner Rückkehr vom Schill’ſchen
Zuge machte Marwitz die Bekanntſchaft der Rahel Levin. Er
war dem Prinzen Louis Ferdinand an ritterlichem Sinn, an
Schönheit der Erſcheinung, an künſtleriſchem Bedürfniß und vor
allem auch in jenem Selbſtgefühl verwandt, das das Vorurtheil
des Standes überwunden hat, und ſo ergab ſich dieſe Bekannt-
ſchaft mit einer Art von Folgerichtigkeit. Wie dieſe Bekanntſchaft
ihm ſelber zu hoher Befriedigung gereichte und ihm in ſchweren
Tagen eine Stütze, in dunkeln Tagen ein Sonnenſtrahl war, ſo
haben auch wir uns dieſes Freundſchaftsverhältniſſes zu freuen,
weil wir dem Briefwechſel, der ſich zwiſchen beiden entſpann, das
beſte Theil alles deſſen verdanken, was wir über den Charakter
und ſelbſt über die äußern Lebensſchickſale des Mannes wiſſen.

Ihre Bekanntſchaft begann im Mai 1809, und noch vor
Ablauf deſſelben Monats trennten ſich die ſchnell Befreundeten
wieder, um erſt nach länger als Jahresfriſt die alten Beziehungen
wieder anzuknüpfen. Ein gegenſeitiges Verſtändniß ſcheint ſich faſt
augenblicklich zwiſchen ihnen gebildet zu haben. Schon am 13. Juli
1809 konnte Rahel ſchreiben: „Ich ging in den Park hinunter,
ſchön waren Wieſen und Feld. Tauſenderlei ſah ich um mich her,
und alles hätte ich Marwitz gern gezeigt; er war der Letzte,
den ich ſah, der ſo etwas verſtand
.“ Und um dieſelbe Zeit
ſchrieb ſie an Fouqué: „Ich habe Marwitz nur vierzehn Tage ge-

war ihm ein ähnlicher Antrag geworden; er hatte ihn aber mit dem Be-
merken abgelehnt, daß er zuvor mehr ſehen und lernen wolle. Nur in
Zeiten wie die damaligen, wo nichts ſo niedrig ſtand wie das Ancienne-
tätsprincip, waren ſolche Dinge möglich.
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[395/0407] nicht entſchieden, als der Schill’ſche Zug dazwiſchen trat und die Unterhandlungen abbrach. Marwitz ſchloß ſich dem Zuge an, und wiewohl er wenige Wochen ſpäter (unmittelbar vor oder nach dem Gefecht von Dodendorf) nach Berlin zurückkehrte, weil er das Kopfloſe des ganzen Unternehmens erkannt hatte, ſo wurden doch die einmal abgebrochenen Unterhandlungen nicht wieder aufge- nommen. Beinahe unmittelbar nach ſeiner Rückkehr vom Schill’ſchen Zuge machte Marwitz die Bekanntſchaft der Rahel Levin. Er war dem Prinzen Louis Ferdinand an ritterlichem Sinn, an Schönheit der Erſcheinung, an künſtleriſchem Bedürfniß und vor allem auch in jenem Selbſtgefühl verwandt, das das Vorurtheil des Standes überwunden hat, und ſo ergab ſich dieſe Bekannt- ſchaft mit einer Art von Folgerichtigkeit. Wie dieſe Bekanntſchaft ihm ſelber zu hoher Befriedigung gereichte und ihm in ſchweren Tagen eine Stütze, in dunkeln Tagen ein Sonnenſtrahl war, ſo haben auch wir uns dieſes Freundſchaftsverhältniſſes zu freuen, weil wir dem Briefwechſel, der ſich zwiſchen beiden entſpann, das beſte Theil alles deſſen verdanken, was wir über den Charakter und ſelbſt über die äußern Lebensſchickſale des Mannes wiſſen. Ihre Bekanntſchaft begann im Mai 1809, und noch vor Ablauf deſſelben Monats trennten ſich die ſchnell Befreundeten wieder, um erſt nach länger als Jahresfriſt die alten Beziehungen wieder anzuknüpfen. Ein gegenſeitiges Verſtändniß ſcheint ſich faſt augenblicklich zwiſchen ihnen gebildet zu haben. Schon am 13. Juli 1809 konnte Rahel ſchreiben: „Ich ging in den Park hinunter, ſchön waren Wieſen und Feld. Tauſenderlei ſah ich um mich her, und alles hätte ich Marwitz gern gezeigt; er war der Letzte, den ich ſah, der ſo etwas verſtand.“ Und um dieſelbe Zeit ſchrieb ſie an Fouqué: „Ich habe Marwitz nur vierzehn Tage ge- *) *) war ihm ein ähnlicher Antrag geworden; er hatte ihn aber mit dem Be- merken abgelehnt, daß er zuvor mehr ſehen und lernen wolle. Nur in Zeiten wie die damaligen, wo nichts ſo niedrig ſtand wie das Ancienne- tätsprincip, waren ſolche Dinge möglich.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/407>, abgerufen am 22.11.2024.