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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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müthige Gedanken erweckt." Aesthetische Dinge werden berührt, zur
Arbeit wird ermuthigt. "Nur ans Werk, wir warten hier auf
Ihre Arbeit über die Propyläen und über die Politik des Aristo-
teles." Daran schließen sich die Vorkommnisse der großen Stadt;
Reflexionen ranken sich um Großes und Kleines. -- "Gern hätte
ich Ihnen gestern schon geschrieben, wenn mich nicht die Nachricht
von Heinrich Kleists Tod völlig eingenommen hätte. Ich kenne
nicht die näheren Umstände seines Todes; aber es ist und bleibt
ein Muth. Wer bangte nicht vor jenen "dunkeln Möglichkeiten?"
Forsche ein jeder selbst, ob es viele oder wenige sind." So schreibt
Rahel, wohl in Vergessenheit, daß sie die Antwort auf diesen
Brief vorweg empfangen hatte, als ihr Marwitz von Friedersdorf
aus die schon citirten Worte schrieb: "Mir ist der Selbstmord
immer wie eine verruchte Rohheit vorgekommen."

So läuft das briefliche Geplauder zwischen den Befreundeten
hin, einmal heiter, einmal paradox, einmal tief, wie Stimmung
und Ereigniß das Wort gestalten; aber die Plaudereien beider,
wie sie der Briefwechsel der Freunde zeigt, zeigen uns, wie schon
angedeutet, das Leben, das Marwitz in jener Epoche der Ruhe,
der Sammlung, der innerlichen Genesung und Consolidirung führte,
nur von Einer Seite. Die Abendstunden, die er sonst wohl am
Theetisch der Freundin zu verplaudern pflegte, gehörten jetzt der
Correspondenz mit ihr, aber der Tag gehörte der Arbeit. Fach-
studien und Neigungen verwoben sich hier zu einem Ganzen. Die
Marwitz'sche Familie ist noch im theilweisen Besitz umfangreicher
Memoires, kritischer Abhandlungen und Gutachten, die jener rei-
fen Zeit ihre Entstehung verdanken. Alle diese Arbeiten theilen sich
in zwei Gruppen, in politische und staatswissenschaftliche. Den
Charakter und die Eigenart Napoleons zu studiren, schien er sich
zu einer besondern Aufgabe gestellt zu haben, und man erstaunt
billig über die Reichhaltigkeit der Studien, die er muthmaßlich zu
keinem andern Zweck gemacht hatte, als um seine Kenntniß zu
erweitern und gestützt darauf schärfere Schlüsse über den Charakter
des Mannes ziehen zu können. Alles, was erschien, wurde gelesen

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müthige Gedanken erweckt.“ Aeſthetiſche Dinge werden berührt, zur
Arbeit wird ermuthigt. „Nur ans Werk, wir warten hier auf
Ihre Arbeit über die Propyläen und über die Politik des Ariſto-
teles.“ Daran ſchließen ſich die Vorkommniſſe der großen Stadt;
Reflexionen ranken ſich um Großes und Kleines. — „Gern hätte
ich Ihnen geſtern ſchon geſchrieben, wenn mich nicht die Nachricht
von Heinrich Kleiſts Tod völlig eingenommen hätte. Ich kenne
nicht die näheren Umſtände ſeines Todes; aber es iſt und bleibt
ein Muth. Wer bangte nicht vor jenen „dunkeln Möglichkeiten?“
Forſche ein jeder ſelbſt, ob es viele oder wenige ſind.“ So ſchreibt
Rahel, wohl in Vergeſſenheit, daß ſie die Antwort auf dieſen
Brief vorweg empfangen hatte, als ihr Marwitz von Friedersdorf
aus die ſchon citirten Worte ſchrieb: „Mir iſt der Selbſtmord
immer wie eine verruchte Rohheit vorgekommen.“

So läuft das briefliche Geplauder zwiſchen den Befreundeten
hin, einmal heiter, einmal paradox, einmal tief, wie Stimmung
und Ereigniß das Wort geſtalten; aber die Plaudereien beider,
wie ſie der Briefwechſel der Freunde zeigt, zeigen uns, wie ſchon
angedeutet, das Leben, das Marwitz in jener Epoche der Ruhe,
der Sammlung, der innerlichen Geneſung und Conſolidirung führte,
nur von Einer Seite. Die Abendſtunden, die er ſonſt wohl am
Theetiſch der Freundin zu verplaudern pflegte, gehörten jetzt der
Correſpondenz mit ihr, aber der Tag gehörte der Arbeit. Fach-
ſtudien und Neigungen verwoben ſich hier zu einem Ganzen. Die
Marwitz’ſche Familie iſt noch im theilweiſen Beſitz umfangreicher
Memoires, kritiſcher Abhandlungen und Gutachten, die jener rei-
fen Zeit ihre Entſtehung verdanken. Alle dieſe Arbeiten theilen ſich
in zwei Gruppen, in politiſche und ſtaatswiſſenſchaftliche. Den
Charakter und die Eigenart Napoleons zu ſtudiren, ſchien er ſich
zu einer beſondern Aufgabe geſtellt zu haben, und man erſtaunt
billig über die Reichhaltigkeit der Studien, die er muthmaßlich zu
keinem andern Zweck gemacht hatte, als um ſeine Kenntniß zu
erweitern und geſtützt darauf ſchärfere Schlüſſe über den Charakter
des Mannes ziehen zu können. Alles, was erſchien, wurde geleſen

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[403/0415] müthige Gedanken erweckt.“ Aeſthetiſche Dinge werden berührt, zur Arbeit wird ermuthigt. „Nur ans Werk, wir warten hier auf Ihre Arbeit über die Propyläen und über die Politik des Ariſto- teles.“ Daran ſchließen ſich die Vorkommniſſe der großen Stadt; Reflexionen ranken ſich um Großes und Kleines. — „Gern hätte ich Ihnen geſtern ſchon geſchrieben, wenn mich nicht die Nachricht von Heinrich Kleiſts Tod völlig eingenommen hätte. Ich kenne nicht die näheren Umſtände ſeines Todes; aber es iſt und bleibt ein Muth. Wer bangte nicht vor jenen „dunkeln Möglichkeiten?“ Forſche ein jeder ſelbſt, ob es viele oder wenige ſind.“ So ſchreibt Rahel, wohl in Vergeſſenheit, daß ſie die Antwort auf dieſen Brief vorweg empfangen hatte, als ihr Marwitz von Friedersdorf aus die ſchon citirten Worte ſchrieb: „Mir iſt der Selbſtmord immer wie eine verruchte Rohheit vorgekommen.“ So läuft das briefliche Geplauder zwiſchen den Befreundeten hin, einmal heiter, einmal paradox, einmal tief, wie Stimmung und Ereigniß das Wort geſtalten; aber die Plaudereien beider, wie ſie der Briefwechſel der Freunde zeigt, zeigen uns, wie ſchon angedeutet, das Leben, das Marwitz in jener Epoche der Ruhe, der Sammlung, der innerlichen Geneſung und Conſolidirung führte, nur von Einer Seite. Die Abendſtunden, die er ſonſt wohl am Theetiſch der Freundin zu verplaudern pflegte, gehörten jetzt der Correſpondenz mit ihr, aber der Tag gehörte der Arbeit. Fach- ſtudien und Neigungen verwoben ſich hier zu einem Ganzen. Die Marwitz’ſche Familie iſt noch im theilweiſen Beſitz umfangreicher Memoires, kritiſcher Abhandlungen und Gutachten, die jener rei- fen Zeit ihre Entſtehung verdanken. Alle dieſe Arbeiten theilen ſich in zwei Gruppen, in politiſche und ſtaatswiſſenſchaftliche. Den Charakter und die Eigenart Napoleons zu ſtudiren, ſchien er ſich zu einer beſondern Aufgabe geſtellt zu haben, und man erſtaunt billig über die Reichhaltigkeit der Studien, die er muthmaßlich zu keinem andern Zweck gemacht hatte, als um ſeine Kenntniß zu erweitern und geſtützt darauf ſchärfere Schlüſſe über den Charakter des Mannes ziehen zu können. Alles, was erſchien, wurde geleſen 26*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/415>, abgerufen am 22.11.2024.