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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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ßischen Grenadiere, zwei Landwehrbataillone folgten als Soutien;
so drang man im Sturmschritt gegen das Gehölz von Bailly vor.
Aber der Angriff scheiterte; die Führer der Bataillone fielen, Ge-
neral Pirch wurde verwundet, und Marwitz sank tödtlich getroffen.

Es scheint, daß eine Flintenkugel ihn in die Schläfe traf.
Sein Tod ("der Tod unseres hoffnungsvollen und sehr geliebten
Marwitz", so schreibt Schack in seinem Tagebuch) galt für ein
Ereigniß selbst in jenen Tagen, wo jede Stunde die Besten als
Opfer forderte. Seine Leiche wurde nicht gefunden und dieser Um-
stand gab Veranlassung, daß man geraume Zeit hindurch glaubte,
er sei abermals, schwer verwundet, dem Feinde in die Hände ge-
fallen. Auch Rahel theilte diesen Glauben. Noch am 26. April
schrieb sie von Prag aus: "Nun fehlt nur noch Marwitz. Aber
ich hoffe. Der kommt wieder, ganz durchlöchert an Körper und
Wäsche." Aber er kam nicht; er lag, eingescharrt mit hundert an-
dern, auf dem Sandplateau von Montmirail. "Jeder seiner
Freunde fühlte seinen Tod nach Maßgabe des eigenen
Werthes
", so schrieb Rahel im Juni, als sein Tod nicht länger
zweifelhaft sein konnte, und Marwitz's älterer Bruder schrieb die
Worte nieder: "Die Welt erlitt an ihm einen großen Verlust. Er
war ein außerordentlicher Mensch im Wissen wie im Handeln. Er
würde das Höchste geleistet haben, wenn er erst zur inneren
Beruhigung gelangt wäre
."

Vielleicht war er dieser "inneren Beruhigung" näher, als
der Bruder vermuthen mochte. Die Unruhe, die Kämpfe, die Lei-
denschaften, die ihn bis zu jener Epoche (Sommer 1811), die ich
ausführlicher zn schildern versucht habe, verzehrt haben mochten,
hatten seitdem ruhigeren Anschauungen Platz gemacht, Anschau-
ungen, die freilich mehr oder minder dem älteren Bruder ein Ge-
heimniß geblieben waren. Sie sahen sich damals zu selten, als
daß es diesem hätte möglich sein können, solche Wandlungen zu
beobachten. Er hatte bis zu jener Zeit ganz und gar den genia-
lischen Leuten unserer politischen Sturm- und Drangperiode an-

ßiſchen Grenadiere, zwei Landwehrbataillone folgten als Soutien;
ſo drang man im Sturmſchritt gegen das Gehölz von Bailly vor.
Aber der Angriff ſcheiterte; die Führer der Bataillone fielen, Ge-
neral Pirch wurde verwundet, und Marwitz ſank tödtlich getroffen.

Es ſcheint, daß eine Flintenkugel ihn in die Schläfe traf.
Sein Tod („der Tod unſeres hoffnungsvollen und ſehr geliebten
Marwitz“, ſo ſchreibt Schack in ſeinem Tagebuch) galt für ein
Ereigniß ſelbſt in jenen Tagen, wo jede Stunde die Beſten als
Opfer forderte. Seine Leiche wurde nicht gefunden und dieſer Um-
ſtand gab Veranlaſſung, daß man geraume Zeit hindurch glaubte,
er ſei abermals, ſchwer verwundet, dem Feinde in die Hände ge-
fallen. Auch Rahel theilte dieſen Glauben. Noch am 26. April
ſchrieb ſie von Prag aus: „Nun fehlt nur noch Marwitz. Aber
ich hoffe. Der kommt wieder, ganz durchlöchert an Körper und
Wäſche.“ Aber er kam nicht; er lag, eingeſcharrt mit hundert an-
dern, auf dem Sandplateau von Montmirail. „Jeder ſeiner
Freunde fühlte ſeinen Tod nach Maßgabe des eigenen
Werthes
“, ſo ſchrieb Rahel im Juni, als ſein Tod nicht länger
zweifelhaft ſein konnte, und Marwitz’s älterer Bruder ſchrieb die
Worte nieder: „Die Welt erlitt an ihm einen großen Verluſt. Er
war ein außerordentlicher Menſch im Wiſſen wie im Handeln. Er
würde das Höchſte geleiſtet haben, wenn er erſt zur inneren
Beruhigung gelangt wäre
.“

Vielleicht war er dieſer „inneren Beruhigung“ näher, als
der Bruder vermuthen mochte. Die Unruhe, die Kämpfe, die Lei-
denſchaften, die ihn bis zu jener Epoche (Sommer 1811), die ich
ausführlicher zn ſchildern verſucht habe, verzehrt haben mochten,
hatten ſeitdem ruhigeren Anſchauungen Platz gemacht, Anſchau-
ungen, die freilich mehr oder minder dem älteren Bruder ein Ge-
heimniß geblieben waren. Sie ſahen ſich damals zu ſelten, als
daß es dieſem hätte möglich ſein können, ſolche Wandlungen zu
beobachten. Er hatte bis zu jener Zeit ganz und gar den genia-
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[412/0424] ßiſchen Grenadiere, zwei Landwehrbataillone folgten als Soutien; ſo drang man im Sturmſchritt gegen das Gehölz von Bailly vor. Aber der Angriff ſcheiterte; die Führer der Bataillone fielen, Ge- neral Pirch wurde verwundet, und Marwitz ſank tödtlich getroffen. Es ſcheint, daß eine Flintenkugel ihn in die Schläfe traf. Sein Tod („der Tod unſeres hoffnungsvollen und ſehr geliebten Marwitz“, ſo ſchreibt Schack in ſeinem Tagebuch) galt für ein Ereigniß ſelbſt in jenen Tagen, wo jede Stunde die Beſten als Opfer forderte. Seine Leiche wurde nicht gefunden und dieſer Um- ſtand gab Veranlaſſung, daß man geraume Zeit hindurch glaubte, er ſei abermals, ſchwer verwundet, dem Feinde in die Hände ge- fallen. Auch Rahel theilte dieſen Glauben. Noch am 26. April ſchrieb ſie von Prag aus: „Nun fehlt nur noch Marwitz. Aber ich hoffe. Der kommt wieder, ganz durchlöchert an Körper und Wäſche.“ Aber er kam nicht; er lag, eingeſcharrt mit hundert an- dern, auf dem Sandplateau von Montmirail. „Jeder ſeiner Freunde fühlte ſeinen Tod nach Maßgabe des eigenen Werthes“, ſo ſchrieb Rahel im Juni, als ſein Tod nicht länger zweifelhaft ſein konnte, und Marwitz’s älterer Bruder ſchrieb die Worte nieder: „Die Welt erlitt an ihm einen großen Verluſt. Er war ein außerordentlicher Menſch im Wiſſen wie im Handeln. Er würde das Höchſte geleiſtet haben, wenn er erſt zur inneren Beruhigung gelangt wäre.“ Vielleicht war er dieſer „inneren Beruhigung“ näher, als der Bruder vermuthen mochte. Die Unruhe, die Kämpfe, die Lei- denſchaften, die ihn bis zu jener Epoche (Sommer 1811), die ich ausführlicher zn ſchildern verſucht habe, verzehrt haben mochten, hatten ſeitdem ruhigeren Anſchauungen Platz gemacht, Anſchau- ungen, die freilich mehr oder minder dem älteren Bruder ein Ge- heimniß geblieben waren. Sie ſahen ſich damals zu ſelten, als daß es dieſem hätte möglich ſein können, ſolche Wandlungen zu beobachten. Er hatte bis zu jener Zeit ganz und gar den genia- liſchen Leuten unſerer politiſchen Sturm- und Drangperiode an-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/424>, abgerufen am 22.11.2024.