gehört; aber gegen jedes krankhafte Uebermaß in Hoffen und Wol- len hatte endlich seine angeborene gute und gesunde Natur reagirt, und die Handelweise seiner letzten Lebensjahre würde ausrei- chend sein, uns darüber aufzuklären, wenn es nicht direkte Worte thäten, die er darüber an seine Freundin richtete. "Fernab sind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutsam- keit. Führt mich das Schicksal dahin, wo ich in großen Kreisen zu wirken habe, so will ich auch das können, aber meine Hoff- nungen, meine Plane sind nicht länger darauf gestellt." So hatte er an Rahel geschrieben und diese schon oben citirten Worte be- zeichneten in Wahrheit einen Wendepunkt in seinem Leben, den ersten Moment der Genesung. Der ältere Bruder kannte we- der diese Worte, noch die Wandlung des Gemüths, der sie Aus- druck liehen. Marwitz, als ihn der Tod ereilte, hatte den Hang und Drang nach dem Unerreichbaren aufgegeben, er stand nicht mehr kritisch und ironisch außerhalb des Kreises, sondern mitschaf- fend und mitgestaltend innerhalb desselben. Was er wollte, war ein Erreichbares geworden. Ob die Wege, die Preußen einschlug, nachdem die Gefahr von außenher beseitigt und die Triebkraft der Nation, auf Dezennien hin, in harten Kämpfen verzehrt war, muß freilich billig bezweifelt werden, und in diesem Sinne (aber auch nur in diesem) stehen wir nicht an, die Worte des älteren Bru- ders auch zu den unsrigen zu machen: "Es war ein Glück zu nennen, daß Gott ihm verlieh, in seinem siebenundzwanzigsten Jahre für das Vaterland zu sterben." Auf dem Friedhof zu Frie- dersdorf hat die Liebe des Bruders auch ihm, neben Eberhard von der Marwitz, der bei Aspern fiel, einen Denkstein errichtet, der die Inschrift trägt:
"Christian Gustav Alexander v. d. Marwitz, geb. den 4. Oktober 1787. Lebte für die Wissenschaften. Erstieg deren Gipfel. Redete sieben Sprachen. Wahrete dieses Vatergutes 1806 und 1807, wie der Bruder zu Felde lag. Von Freiheitsliebe ergriffen, focht er 1809 in Oesterreich bei Wagram und bei Znaym. Diente 1813
gehört; aber gegen jedes krankhafte Uebermaß in Hoffen und Wol- len hatte endlich ſeine angeborene gute und geſunde Natur reagirt, und die Handelweiſe ſeiner letzten Lebensjahre würde ausrei- chend ſein, uns darüber aufzuklären, wenn es nicht direkte Worte thäten, die er darüber an ſeine Freundin richtete. „Fernab ſind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutſam- keit. Führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können, aber meine Hoff- nungen, meine Plane ſind nicht länger darauf geſtellt.“ So hatte er an Rahel geſchrieben und dieſe ſchon oben citirten Worte be- zeichneten in Wahrheit einen Wendepunkt in ſeinem Leben, den erſten Moment der Geneſung. Der ältere Bruder kannte we- der dieſe Worte, noch die Wandlung des Gemüths, der ſie Aus- druck liehen. Marwitz, als ihn der Tod ereilte, hatte den Hang und Drang nach dem Unerreichbaren aufgegeben, er ſtand nicht mehr kritiſch und ironiſch außerhalb des Kreiſes, ſondern mitſchaf- fend und mitgeſtaltend innerhalb deſſelben. Was er wollte, war ein Erreichbares geworden. Ob die Wege, die Preußen einſchlug, nachdem die Gefahr von außenher beſeitigt und die Triebkraft der Nation, auf Dezennien hin, in harten Kämpfen verzehrt war, muß freilich billig bezweifelt werden, und in dieſem Sinne (aber auch nur in dieſem) ſtehen wir nicht an, die Worte des älteren Bru- ders auch zu den unſrigen zu machen: „Es war ein Glück zu nennen, daß Gott ihm verlieh, in ſeinem ſiebenundzwanzigſten Jahre für das Vaterland zu ſterben.“ Auf dem Friedhof zu Frie- dersdorf hat die Liebe des Bruders auch ihm, neben Eberhard von der Marwitz, der bei Aspern fiel, einen Denkſtein errichtet, der die Inſchrift trägt:
„Chriſtian Guſtav Alexander v. d. Marwitz, geb. den 4. Oktober 1787. Lebte für die Wiſſenſchaften. Erſtieg deren Gipfel. Redete ſieben Sprachen. Wahrete dieſes Vatergutes 1806 und 1807, wie der Bruder zu Felde lag. Von Freiheitsliebe ergriffen, focht er 1809 in Oeſterreich bei Wagram und bei Znaym. Diente 1813
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gehört; aber gegen jedes krankhafte Uebermaß in Hoffen und Wol-
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und die Handelweiſe ſeiner letzten Lebensjahre würde ausrei-
chend ſein, uns darüber aufzuklären, wenn es nicht direkte Worte
thäten, die er darüber an ſeine Freundin richtete. „Fernab ſind
mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutſam-
keit. Führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen Kreiſen
zu wirken habe, ſo will ich auch das können, aber meine Hoff-
nungen, meine Plane ſind nicht länger darauf geſtellt.“ So hatte
er an Rahel geſchrieben und dieſe ſchon oben citirten Worte be-
zeichneten in Wahrheit einen Wendepunkt in ſeinem Leben, den
erſten Moment der Geneſung. Der ältere Bruder kannte we-
der dieſe Worte, noch die Wandlung des Gemüths, der ſie Aus-
druck liehen. Marwitz, als ihn der Tod ereilte, hatte den Hang
und Drang nach dem Unerreichbaren aufgegeben, er ſtand nicht
mehr kritiſch und ironiſch außerhalb des Kreiſes, ſondern mitſchaf-
fend und mitgeſtaltend innerhalb deſſelben. Was er wollte, war
ein Erreichbares geworden. Ob die Wege, die Preußen einſchlug,
nachdem die Gefahr von außenher beſeitigt und die Triebkraft der
Nation, auf Dezennien hin, in harten Kämpfen verzehrt war, muß
freilich billig bezweifelt werden, und in dieſem Sinne (aber auch
nur in dieſem) ſtehen wir nicht an, die Worte des älteren Bru-
ders auch zu den unſrigen zu machen: „Es war ein Glück zu
nennen, daß Gott ihm verlieh, in ſeinem ſiebenundzwanzigſten
Jahre für das Vaterland zu ſterben.“ Auf dem Friedhof zu Frie-
dersdorf hat die Liebe des Bruders auch ihm, neben Eberhard
von der Marwitz, der bei Aspern fiel, einen Denkſtein errichtet,
der die Inſchrift trägt:
„Chriſtian Guſtav Alexander v. d. Marwitz, geb. den 4. Oktober
1787. Lebte für die Wiſſenſchaften. Erſtieg deren Gipfel. Redete
ſieben Sprachen. Wahrete dieſes Vatergutes 1806 und 1807,
wie der Bruder zu Felde lag. Von Freiheitsliebe ergriffen, focht
er 1809 in Oeſterreich bei Wagram und bei Znaym. Diente 1813
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/425>, abgerufen am 22.11.2024.
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