.... Ich kratze immer an meinem "Schlagschatten", und wenn ich's Dir gestehen muß, lache und fürchte ich mich manch- mal darüber, so wie ich daran schreibe; -- wenn die Andern nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes vier- tes Kapitel habe ich mir, nach vielem Kauen, gestern aus einem Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geschnitten und heute abgeschrieben. Es ist auch schon eher Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Prosa-schreiben wird mir ungeheuer sauer, mein Brouillon sieht toller aus als alle Verse, die ich je gemacht."
Bald nach diesem Briefe scheint Chamisso nach Berlin zu- rückgekehrt zu sein. Es wird zwar in Cunersdorf erzählt, er habe sich zunächst nach Nennhausen hin, zu Fouque, auf den Weg gemacht, um diesem seinen Schlemihl vorzulesen; es liegen aber doch wohl Monate dazwischen, da, wie wir aus dem letztcitirten Briefe ersehen, bis etwa Mitte Oktober, erst vier Kapitel von elf beendigt waren. Uebrigens stand Fouque damals auch wohl im Felde.
So waren die Erlebnisse von Schloß Cunersdorf, so waren die Personen, die, während eines halben Jahrhunderts und darüber, dort kamen und gingen.
Wir durchschreiten jetzt zunächst die Säle und Zimmer des Erdgeschosses und verweilen vor älteren und neueren Familienpor- träts von zum Theil künstlerischem Interesse. Die Aufzeichnung dieser Bilder aber an andrer Stelle gebend (Siehe die Anmer- kungen), wenden wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk ge- legenen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächst den Bildnissen derer begegnen, die einst Freunde des Cunersdorfer Hauses waren: Thaer, Wildenow, Alexander von Humboldt, Reil etc. Was aber unser Interesse lebhafter in Anspruch nimmt, das ist ein großer pultartiger Schrank, der in seinen verschiedenen Kästen
.... Ich kratze immer an meinem „Schlagſchatten“, und wenn ich’s Dir geſtehen muß, lache und fürchte ich mich manch- mal darüber, ſo wie ich daran ſchreibe; — wenn die Andern nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes vier- tes Kapitel habe ich mir, nach vielem Kauen, geſtern aus einem Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geſchnitten und heute abgeſchrieben. Es iſt auch ſchon eher Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Proſa-ſchreiben wird mir ungeheuer ſauer, mein Brouillon ſieht toller aus als alle Verſe, die ich je gemacht.“
Bald nach dieſem Briefe ſcheint Chamiſſo nach Berlin zu- rückgekehrt zu ſein. Es wird zwar in Cunersdorf erzählt, er habe ſich zunächſt nach Nennhauſen hin, zu Fouqué, auf den Weg gemacht, um dieſem ſeinen Schlemihl vorzuleſen; es liegen aber doch wohl Monate dazwiſchen, da, wie wir aus dem letztcitirten Briefe erſehen, bis etwa Mitte Oktober, erſt vier Kapitel von elf beendigt waren. Uebrigens ſtand Fouqué damals auch wohl im Felde.
So waren die Erlebniſſe von Schloß Cunersdorf, ſo waren die Perſonen, die, während eines halben Jahrhunderts und darüber, dort kamen und gingen.
Wir durchſchreiten jetzt zunächſt die Säle und Zimmer des Erdgeſchoſſes und verweilen vor älteren und neueren Familienpor- träts von zum Theil künſtleriſchem Intereſſe. Die Aufzeichnung dieſer Bilder aber an andrer Stelle gebend (Siehe die Anmer- kungen), wenden wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk ge- legenen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächſt den Bildniſſen derer begegnen, die einſt Freunde des Cunersdorfer Hauſes waren: Thaer, Wildenow, Alexander von Humboldt, Reil ꝛc. Was aber unſer Intereſſe lebhafter in Anſpruch nimmt, das iſt ein großer pultartiger Schrank, der in ſeinen verſchiedenen Käſten
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.... Ich kratze immer an meinem „Schlagſchatten“, und
wenn ich’s Dir geſtehen muß, lache und fürchte ich mich manch-
mal darüber, ſo wie ich daran ſchreibe; — wenn die Andern
nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes vier-
tes Kapitel habe ich mir, nach vielem Kauen, geſtern aus einem
Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geſchnitten und
heute abgeſchrieben. Es iſt auch ſchon eher Morgen als Nacht,
darum ade. Das Blitz-Proſa-ſchreiben wird mir ungeheuer
ſauer, mein Brouillon ſieht toller aus als alle Verſe, die ich
je gemacht.“
Bald nach dieſem Briefe ſcheint Chamiſſo nach Berlin zu-
rückgekehrt zu ſein. Es wird zwar in Cunersdorf erzählt, er habe
ſich zunächſt nach Nennhauſen hin, zu Fouqué, auf den Weg
gemacht, um dieſem ſeinen Schlemihl vorzuleſen; es liegen aber
doch wohl Monate dazwiſchen, da, wie wir aus dem letztcitirten
Briefe erſehen, bis etwa Mitte Oktober, erſt vier Kapitel von
elf beendigt waren. Uebrigens ſtand Fouqué damals auch wohl
im Felde.
So waren die Erlebniſſe von Schloß Cunersdorf, ſo waren
die Perſonen, die, während eines halben Jahrhunderts und
darüber, dort kamen und gingen.
Wir durchſchreiten jetzt zunächſt die Säle und Zimmer des
Erdgeſchoſſes und verweilen vor älteren und neueren Familienpor-
träts von zum Theil künſtleriſchem Intereſſe. Die Aufzeichnung
dieſer Bilder aber an andrer Stelle gebend (Siehe die Anmer-
kungen), wenden wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk ge-
legenen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächſt den Bildniſſen derer
begegnen, die einſt Freunde des Cunersdorfer Hauſes waren:
Thaer, Wildenow, Alexander von Humboldt, Reil ꝛc.
Was aber unſer Intereſſe lebhafter in Anſpruch nimmt, das iſt
ein großer pultartiger Schrank, der in ſeinen verſchiedenen Käſten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/484>, abgerufen am 24.11.2024.
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