lediglich innerhalb seiner Befugnisse gehalten) durchaus verdient habe. "Was seine Schmähungen aber gegen die sittliche Füh- rung des Klosters angehe, dem er so lange vorgestanden, so treffe ihn -- selbst wenn diese Schmähungen begründet sein sollten -- die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger Führung seine Aufgabe gewesen sein würde, diesem Verfall der Sitte zu steuern." Auch der Kurfürst (Friedrich der Eiserne), in einem an die Comissarien gerichteten Briefe, nimmt Partei für den Convent gegen den abgesetzten Abt, und so sehen wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commissare in dieser Streitsache vorläge, den neuen Abt in seinem Amte verbleiben, -- eine Thatsache, die genugsam spricht. Ueber den Inhalt der Schmähschrift, des "libellum infamiae," erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloster- sünden gewesen sein, wie sie entweder überall vorkamen oder doch überall berichtet wurden.
Wenn nun einerseits diese Absetzung Abt Arnolds und seine als Antwort darauf geschriebene Schmähschrift abermals darthun, daß die Tage Kloster Lehnin's durchaus nicht so still- idyllisch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden ist, so gewähren uns andrerseits die betreffenden Urkunden noch ein besondres Interesse dadurch, daß sie die Frage in uns anregen: wer war dieser Abt Arnold? welchen Charakters? war er im Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte sind uns gegeben, aber sie rechtfertigen die Annahme, daß er mindestens eben so sehr ein Opfer seiner geistigen Ueber- legenheit, wie seiner Uebergriffe war. Wahrscheinlich gingen diese Uebergriffe zum Theil erst aus dem Bewußtsein seiner Ueberlegenheit hervor. Er war, so vermuthen wir aus einer Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialischen aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, sehr gescheidt, sehr selbstbewußt, sehr eigensinnig, dabei lauteren Wandels, aber launenhaft und despotisch von Gemüth. Wem schwebten, aus eigener Erfahrung, nicht Beispiele dabei vor! Die Gelehrten- welt, in ihren besten und energischsten Elementen, war immer
Fontane, Wanderungen. III. 7
lediglich innerhalb ſeiner Befugniſſe gehalten) durchaus verdient habe. „Was ſeine Schmähungen aber gegen die ſittliche Füh- rung des Kloſters angehe, dem er ſo lange vorgeſtanden, ſo treffe ihn — ſelbſt wenn dieſe Schmähungen begründet ſein ſollten — die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger Führung ſeine Aufgabe geweſen ſein würde, dieſem Verfall der Sitte zu ſteuern.“ Auch der Kurfürſt (Friedrich der Eiſerne), in einem an die Comiſſarien gerichteten Briefe, nimmt Partei für den Convent gegen den abgeſetzten Abt, und ſo ſehen wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commiſſare in dieſer Streitſache vorläge, den neuen Abt in ſeinem Amte verbleiben, — eine Thatſache, die genugſam ſpricht. Ueber den Inhalt der Schmähſchrift, des „libellum infamiae,“ erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloſter- ſünden geweſen ſein, wie ſie entweder überall vorkamen oder doch überall berichtet wurden.
Wenn nun einerſeits dieſe Abſetzung Abt Arnolds und ſeine als Antwort darauf geſchriebene Schmähſchrift abermals darthun, daß die Tage Kloſter Lehnin’s durchaus nicht ſo ſtill- idylliſch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden iſt, ſo gewähren uns andrerſeits die betreffenden Urkunden noch ein beſondres Intereſſe dadurch, daß ſie die Frage in uns anregen: wer war dieſer Abt Arnold? welchen Charakters? war er im Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte ſind uns gegeben, aber ſie rechtfertigen die Annahme, daß er mindeſtens eben ſo ſehr ein Opfer ſeiner geiſtigen Ueber- legenheit, wie ſeiner Uebergriffe war. Wahrſcheinlich gingen dieſe Uebergriffe zum Theil erſt aus dem Bewußtſein ſeiner Ueberlegenheit hervor. Er war, ſo vermuthen wir aus einer Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialiſchen aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, ſehr geſcheidt, ſehr ſelbſtbewußt, ſehr eigenſinnig, dabei lauteren Wandels, aber launenhaft und despotiſch von Gemüth. Wem ſchwebten, aus eigener Erfahrung, nicht Beiſpiele dabei vor! Die Gelehrten- welt, in ihren beſten und energiſchſten Elementen, war immer
Fontane, Wanderungen. III. 7
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lediglich innerhalb ſeiner Befugniſſe gehalten) durchaus verdient
habe. „Was ſeine Schmähungen aber gegen die ſittliche Füh-
rung des Kloſters angehe, dem er ſo lange vorgeſtanden, ſo
treffe ihn — ſelbſt wenn dieſe Schmähungen begründet ſein
ſollten — die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger
Führung ſeine Aufgabe geweſen ſein würde, dieſem Verfall der
Sitte zu ſteuern.“ Auch der Kurfürſt (Friedrich der Eiſerne),
in einem an die Comiſſarien gerichteten Briefe, nimmt Partei
für den Convent gegen den abgeſetzten Abt, und ſo ſehen
wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commiſſare
in dieſer Streitſache vorläge, den neuen Abt in ſeinem Amte
verbleiben, — eine Thatſache, die genugſam ſpricht. Ueber
den Inhalt der Schmähſchrift, des „libellum infamiae,“
erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloſter-
ſünden geweſen ſein, wie ſie entweder überall vorkamen oder
doch überall berichtet wurden.
Wenn nun einerſeits dieſe Abſetzung Abt Arnolds und
ſeine als Antwort darauf geſchriebene Schmähſchrift abermals
darthun, daß die Tage Kloſter Lehnin’s durchaus nicht ſo ſtill-
idylliſch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden iſt,
ſo gewähren uns andrerſeits die betreffenden Urkunden noch ein
beſondres Intereſſe dadurch, daß ſie die Frage in uns anregen:
wer war dieſer Abt Arnold? welchen Charakters? war er im
Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte
ſind uns gegeben, aber ſie rechtfertigen die Annahme, daß er
mindeſtens eben ſo ſehr ein Opfer ſeiner geiſtigen Ueber-
legenheit, wie ſeiner Uebergriffe war. Wahrſcheinlich gingen
dieſe Uebergriffe zum Theil erſt aus dem Bewußtſein ſeiner
Ueberlegenheit hervor. Er war, ſo vermuthen wir aus einer
Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialiſchen
aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, ſehr geſcheidt, ſehr
ſelbſtbewußt, ſehr eigenſinnig, dabei lauteren Wandels, aber
launenhaft und despotiſch von Gemüth. Wem ſchwebten, aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/115>, abgerufen am 27.11.2024.
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