Joachim I. und II. beziehen), die an Charakterisirung von Zeit und Personen damit verglichen werden können. Wenn aus- weichend geantwortet ist, es handle sich in allen dreien um bloße Allgemeinheiten, so ist das theilweis nicht richtig, theilweis bezeichnet es den Charakter der ganzen Dichtung überhaupt, gleichviel, ob dieselbe Nahes oder Zurückliegendes in Worte faßt.
Es ist nach dem allen nicht zu verwundern, daß der Streit über die Aechtheit nach wie vor schwebt, und daß die Weissagung, selbst unter den Protestanten (die im Allgemeinen in Verwerfung derselben einig sind), die verschie- densten Urtheile erfahren hat. Küster nennt das Vaticinium einfach ein "Spiel des Witzes" (lusus ingenii); Guhrauer bezeichnet es als eine lakonisch-orakelmäßige Darstellung, die, mit Rücksicht auf die einmal befolgte Tendenz, nicht ohne Geschick angelegt und durchgeführt worden sei. Schulrath Otto Schulz geht in seinem Unmuth schon weiter und ist der festen Ueberzeugung, "daß der gesunde Sinn des preußischen Volkes diese Weissagung als die Ausgeburt eines hämischen Fanatikers zu würdigen wissen werde." Professor Trahndorff denkt noch schlimmer darüber, indem er sie gradezu für Teu- felswerk ausgiebt; hält sie aber andererseits für eine wirkliche, wenn auch diabo lische Prophezeihung. "Diese 100 Verse," so sagt er, "sind als eine ächte Prophezeihung anzusehn, aber zugleich wegen des darin waltenden unevangelischen Geistes als das Werk des Lügengeistes zu verwerfen." Von Trahndorff zu Meinhold, dem Verfasser der Bernstein- hexe, ist nur noch ein Schritt. Wenn jener die wirkliche Prophezeihung zugegeben hat, so fragt es sich nur noch, ob nicht der Lügengeist, den der eine darin findet, durch den andern ohne viel Mühe in einen Geist der Wahrheit ver- kehrt werden kann. Meinhold vollzieht denn auch, wenig- stens für seine eigene Person, diese Umwandlung und versichert, "daß er beim Lesen dieser Lehninschen Weissagung die Schauer der Ewigkeit gefühlt habe."
Joachim I. und II. beziehen), die an Charakteriſirung von Zeit und Perſonen damit verglichen werden können. Wenn aus- weichend geantwortet iſt, es handle ſich in allen dreien um bloße Allgemeinheiten, ſo iſt das theilweis nicht richtig, theilweis bezeichnet es den Charakter der ganzen Dichtung überhaupt, gleichviel, ob dieſelbe Nahes oder Zurückliegendes in Worte faßt.
Es iſt nach dem allen nicht zu verwundern, daß der Streit über die Aechtheit nach wie vor ſchwebt, und daß die Weiſſagung, ſelbſt unter den Proteſtanten (die im Allgemeinen in Verwerfung derſelben einig ſind), die verſchie- denſten Urtheile erfahren hat. Küſter nennt das Vaticinium einfach ein „Spiel des Witzes“ (lusus ingenii); Guhrauer bezeichnet es als eine lakoniſch-orakelmäßige Darſtellung, die, mit Rückſicht auf die einmal befolgte Tendenz, nicht ohne Geſchick angelegt und durchgeführt worden ſei. Schulrath Otto Schulz geht in ſeinem Unmuth ſchon weiter und iſt der feſten Ueberzeugung, „daß der geſunde Sinn des preußiſchen Volkes dieſe Weiſſagung als die Ausgeburt eines hämiſchen Fanatikers zu würdigen wiſſen werde.“ Profeſſor Trahndorff denkt noch ſchlimmer darüber, indem er ſie gradezu für Teu- felswerk ausgiebt; hält ſie aber andererſeits für eine wirkliche, wenn auch diabo liſche Prophezeihung. „Dieſe 100 Verſe,“ ſo ſagt er, „ſind als eine ächte Prophezeihung anzuſehn, aber zugleich wegen des darin waltenden unevangeliſchen Geiſtes als das Werk des Lügengeiſtes zu verwerfen.“ Von Trahndorff zu Meinhold, dem Verfaſſer der Bernſtein- hexe, iſt nur noch ein Schritt. Wenn jener die wirkliche Prophezeihung zugegeben hat, ſo fragt es ſich nur noch, ob nicht der Lügengeiſt, den der eine darin findet, durch den andern ohne viel Mühe in einen Geiſt der Wahrheit ver- kehrt werden kann. Meinhold vollzieht denn auch, wenig- ſtens für ſeine eigene Perſon, dieſe Umwandlung und verſichert, „daß er beim Leſen dieſer Lehninſchen Weiſſagung die Schauer der Ewigkeit gefühlt habe.“
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Joachim I. und II. beziehen), die an Charakteriſirung von Zeit
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Allgemeinheiten, ſo iſt das theilweis nicht richtig, theilweis
bezeichnet es den Charakter der ganzen Dichtung überhaupt,
gleichviel, ob dieſelbe Nahes oder Zurückliegendes in Worte
faßt.
Es iſt nach dem allen nicht zu verwundern, daß der
Streit über die Aechtheit nach wie vor ſchwebt, und daß die
Weiſſagung, ſelbſt unter den Proteſtanten (die im
Allgemeinen in Verwerfung derſelben einig ſind), die verſchie-
denſten Urtheile erfahren hat. Küſter nennt das Vaticinium
einfach ein „Spiel des Witzes“ (lusus ingenii); Guhrauer
bezeichnet es als eine lakoniſch-orakelmäßige Darſtellung, die,
mit Rückſicht auf die einmal befolgte Tendenz, nicht
ohne Geſchick angelegt und durchgeführt worden ſei. Schulrath
Otto Schulz geht in ſeinem Unmuth ſchon weiter und iſt der
feſten Ueberzeugung, „daß der geſunde Sinn des preußiſchen
Volkes dieſe Weiſſagung als die Ausgeburt eines hämiſchen
Fanatikers zu würdigen wiſſen werde.“ Profeſſor Trahndorff
denkt noch ſchlimmer darüber, indem er ſie gradezu für Teu-
felswerk ausgiebt; hält ſie aber andererſeits für eine wirkliche,
wenn auch diabo liſche Prophezeihung. „Dieſe 100 Verſe,“ ſo
ſagt er, „ſind als eine ächte Prophezeihung anzuſehn,
aber zugleich wegen des darin waltenden unevangeliſchen
Geiſtes als das Werk des Lügengeiſtes zu verwerfen.“ Von
Trahndorff zu Meinhold, dem Verfaſſer der Bernſtein-
hexe, iſt nur noch ein Schritt. Wenn jener die wirkliche
Prophezeihung zugegeben hat, ſo fragt es ſich nur noch, ob
nicht der Lügengeiſt, den der eine darin findet, durch den
andern ohne viel Mühe in einen Geiſt der Wahrheit ver-
kehrt werden kann. Meinhold vollzieht denn auch, wenig-
ſtens für ſeine eigene Perſon, dieſe Umwandlung und verſichert,
„daß er beim Leſen dieſer Lehninſchen Weiſſagung die Schauer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/136>, abgerufen am 25.11.2024.
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