Wir wenden uns nun dem Sommerfang der Schwäne zu. Er erfolgt zweimal und hat den doppelten Zweck: den Jung- Schwan zu lähmen und den Alt-Schwan zu rupfen. Ueber die Lähmung ist nicht viel zu sagen; ein Flügelglied wird weg- geschnitten, damit ist es gethan. -- Desto komplizirter ist der Prozeß des Rupfens. Es geschieht nicht nur zweimal (im Mai und August), sondern auch an zwei verschiedenen Stellen. Die Schwäne der Ober-Havel werden auf dem Pichelswerder, die Schwäne der Unter-Havel auf dem "Depothof" bei Potsdam gerupft. Das Verfahren ist an beiden Orten dasselbe. Wir geben es, wie wir es auf dem Depothof sahen.
Der "Schwanenmeister," Gesammtbeherrscher des ganzen Volkes cygnus zwischen Tegel und Brandenburg, gibt die Ordre: "Am 20. Mai (der Tag wechselt) wird gerupft." Nun beginnt das Einfangen. Die Fischer der verschiedenen Haveldörfer machen sich auf, treiben die auf ihrem Revier schwimmenden Schwäne in eine Bucht oder Ecke zusammen, fahren dann mit einem zehn Fuß langen Hakenstock in die Schwanenmasse hinein, legen den Haken, der wie bei dem Schäferstock eine halboffene Oese bildet, geschickt um den Hals des Schwanes, ziehen ihn heran und in ihr Fahrzeug hinein. Dieß geschieht mit großer Schnelligkeit, so daß binnen ganz kurzer Zeit das Boot mit dicht neben ein- ander hockenden Schwänen besetzt ist und zwar derart, daß die langen Hälse der Schwäne, über die Bootkante fort, nach außen blicken. Ein sehr eigenthümlicher, grotesker Anblick.
In dieser Ausrüstung treffen nun die Boote aus wenig- stens zwanzig Dörfern auf dem Depothof ein und liefern ihre Schwanenfracht in die dort befindlichen Hürden ab, von wo sie nach und nach zur Rupfbank geschleppt werden.
Diese Rupfbank ist ein langer Tisch, der in einem mäch- tigen Schuppen steht. An der einen Seite des Tisches entlang, mit scharfem Auge und flinker Hand, sitzen die Rupfweiber, meist Kietzfischer-Frauen. Ein Schwanenknecht trägt nun Stück auf Stück die Schwäne herein, reicht sie über den Tisch, die Frauen packen zu und klemmen den Hals zwischen die Beine
Wir wenden uns nun dem Sommerfang der Schwäne zu. Er erfolgt zweimal und hat den doppelten Zweck: den Jung- Schwan zu lähmen und den Alt-Schwan zu rupfen. Ueber die Lähmung iſt nicht viel zu ſagen; ein Flügelglied wird weg- geſchnitten, damit iſt es gethan. — Deſto komplizirter iſt der Prozeß des Rupfens. Es geſchieht nicht nur zweimal (im Mai und Auguſt), ſondern auch an zwei verſchiedenen Stellen. Die Schwäne der Ober-Havel werden auf dem Pichelswerder, die Schwäne der Unter-Havel auf dem „Depothof“ bei Potsdam gerupft. Das Verfahren iſt an beiden Orten daſſelbe. Wir geben es, wie wir es auf dem Depothof ſahen.
Der „Schwanenmeiſter,“ Geſammtbeherrſcher des ganzen Volkes cygnus zwiſchen Tegel und Brandenburg, gibt die Ordre: „Am 20. Mai (der Tag wechſelt) wird gerupft.“ Nun beginnt das Einfangen. Die Fiſcher der verſchiedenen Haveldörfer machen ſich auf, treiben die auf ihrem Revier ſchwimmenden Schwäne in eine Bucht oder Ecke zuſammen, fahren dann mit einem zehn Fuß langen Hakenſtock in die Schwanenmaſſe hinein, legen den Haken, der wie bei dem Schäferſtock eine halboffene Oeſe bildet, geſchickt um den Hals des Schwanes, ziehen ihn heran und in ihr Fahrzeug hinein. Dieß geſchieht mit großer Schnelligkeit, ſo daß binnen ganz kurzer Zeit das Boot mit dicht neben ein- ander hockenden Schwänen beſetzt iſt und zwar derart, daß die langen Hälſe der Schwäne, über die Bootkante fort, nach außen blicken. Ein ſehr eigenthümlicher, grotesker Anblick.
In dieſer Ausrüſtung treffen nun die Boote aus wenig- ſtens zwanzig Dörfern auf dem Depothof ein und liefern ihre Schwanenfracht in die dort befindlichen Hürden ab, von wo ſie nach und nach zur Rupfbank geſchleppt werden.
Dieſe Rupfbank iſt ein langer Tiſch, der in einem mäch- tigen Schuppen ſteht. An der einen Seite des Tiſches entlang, mit ſcharfem Auge und flinker Hand, ſitzen die Rupfweiber, meiſt Kietzfiſcher-Frauen. Ein Schwanenknecht trägt nun Stück auf Stück die Schwäne herein, reicht ſie über den Tiſch, die Frauen packen zu und klemmen den Hals zwiſchen die Beine
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Wir wenden uns nun dem Sommerfang der Schwäne zu.
Er erfolgt zweimal und hat den doppelten Zweck: den Jung-
Schwan zu lähmen und den Alt-Schwan zu rupfen. Ueber die
Lähmung iſt nicht viel zu ſagen; ein Flügelglied wird weg-
geſchnitten, damit iſt es gethan. — Deſto komplizirter iſt der
Prozeß des Rupfens. Es geſchieht nicht nur zweimal (im Mai
und Auguſt), ſondern auch an zwei verſchiedenen Stellen. Die
Schwäne der Ober-Havel werden auf dem Pichelswerder, die
Schwäne der Unter-Havel auf dem „Depothof“ bei Potsdam
gerupft. Das Verfahren iſt an beiden Orten daſſelbe. Wir
geben es, wie wir es auf dem Depothof ſahen.
Der „Schwanenmeiſter,“ Geſammtbeherrſcher des ganzen
Volkes cygnus zwiſchen Tegel und Brandenburg, gibt die Ordre:
„Am 20. Mai (der Tag wechſelt) wird gerupft.“ Nun beginnt
das Einfangen. Die Fiſcher der verſchiedenen Haveldörfer machen
ſich auf, treiben die auf ihrem Revier ſchwimmenden Schwäne
in eine Bucht oder Ecke zuſammen, fahren dann mit einem zehn
Fuß langen Hakenſtock in die Schwanenmaſſe hinein, legen den
Haken, der wie bei dem Schäferſtock eine halboffene Oeſe bildet,
geſchickt um den Hals des Schwanes, ziehen ihn heran und in
ihr Fahrzeug hinein. Dieß geſchieht mit großer Schnelligkeit,
ſo daß binnen ganz kurzer Zeit das Boot mit dicht neben ein-
ander hockenden Schwänen beſetzt iſt und zwar derart, daß die
langen Hälſe der Schwäne, über die Bootkante fort, nach außen
blicken. Ein ſehr eigenthümlicher, grotesker Anblick.
In dieſer Ausrüſtung treffen nun die Boote aus wenig-
ſtens zwanzig Dörfern auf dem Depothof ein und liefern ihre
Schwanenfracht in die dort befindlichen Hürden ab, von wo ſie
nach und nach zur Rupfbank geſchleppt werden.
Dieſe Rupfbank iſt ein langer Tiſch, der in einem mäch-
tigen Schuppen ſteht. An der einen Seite des Tiſches entlang,
mit ſcharfem Auge und flinker Hand, ſitzen die Rupfweiber,
meiſt Kietzfiſcher-Frauen. Ein Schwanenknecht trägt nun Stück
auf Stück die Schwäne herein, reicht ſie über den Tiſch, die
Frauen packen zu und klemmen den Hals zwiſchen die Beine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/141>, abgerufen am 25.11.2024.
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