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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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selten zufriert. Diese ist Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr-
Fütterung.

Schon um Mittag ziehen sich die Schwäne von allen noch
offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in
der Nähe der Eisenbahnbrücke zusammen. Unruhig ziehen sie
nicht einzeln, sondern zu Hunderten neben und hintereinander
am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter
dem letzten Bogen der Eisenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle,
von wo sie mit hochaufgerecktem Halse über die Uferbrüstung
hinweg den langen Wallweg hinunter sehen können, auf dem
der Schwanenmeister mit seinem Kornkarren heranfahren muß.
Sie kennen ihn auch schon in weitester Entfernung, und kaum
taucht seine Mütze zwischen den Bäumen auf, so fährt eine ganz
besondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchster Anstren-
gung rudern sie sofort unter der Eisenbahnbrücke hindurch, nach
dem Futterplatze, und wenn sie ihn dort noch nicht angekommen
sehen, wieder zurück zu der Stelle, wo sie seine Annäherung
beobachten können. Diese unruhige Wanderung wiederholt sich
so lange, bis der Schwanenmeister mit Karre und Gerstensack
an der Brücke angekommen ist. Nun entsteht ein wahrer Tumult
unter den Thieren. Alles stürzt über einander, neben einander
hin und reckt die Hälse, um nur ja keine Bewegung ihres
Hüters zu übersehen und den ersten Schaufelwurf zu versäumen.
Noch ist es indessen nicht so weit. Der Schwanenmeister geht
erst auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen sein "Hans!
Hans!" zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verspäteten
von allen Seiten herbei schwimmen. So lange dieß Rufen
dauert, halten sich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört
es aber auf, und wendet der Rufende sich zu dem eigentlichen
Fütterungsplatze, so rauscht das ganze Schwanenheer in einer
großen, blendend weißen Masse, drängend wie ein Keil und
gewaltsam wie die Räder eines Dampfschiffs, im Wasser neben
dem am Ufer gehenden Schwanenmeister her. Während der
Sack aufgebunden wird, schroten sich einige der Gierigsten über
die Eisschollen und Ränder am Ufer auf das feste Land, wat-

ſelten zufriert. Dieſe iſt Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr-
Fütterung.

Schon um Mittag ziehen ſich die Schwäne von allen noch
offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in
der Nähe der Eiſenbahnbrücke zuſammen. Unruhig ziehen ſie
nicht einzeln, ſondern zu Hunderten neben und hintereinander
am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter
dem letzten Bogen der Eiſenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle,
von wo ſie mit hochaufgerecktem Halſe über die Uferbrüſtung
hinweg den langen Wallweg hinunter ſehen können, auf dem
der Schwanenmeiſter mit ſeinem Kornkarren heranfahren muß.
Sie kennen ihn auch ſchon in weiteſter Entfernung, und kaum
taucht ſeine Mütze zwiſchen den Bäumen auf, ſo fährt eine ganz
beſondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchſter Anſtren-
gung rudern ſie ſofort unter der Eiſenbahnbrücke hindurch, nach
dem Futterplatze, und wenn ſie ihn dort noch nicht angekommen
ſehen, wieder zurück zu der Stelle, wo ſie ſeine Annäherung
beobachten können. Dieſe unruhige Wanderung wiederholt ſich
ſo lange, bis der Schwanenmeiſter mit Karre und Gerſtenſack
an der Brücke angekommen iſt. Nun entſteht ein wahrer Tumult
unter den Thieren. Alles ſtürzt über einander, neben einander
hin und reckt die Hälſe, um nur ja keine Bewegung ihres
Hüters zu überſehen und den erſten Schaufelwurf zu verſäumen.
Noch iſt es indeſſen nicht ſo weit. Der Schwanenmeiſter geht
erſt auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen ſein „Hans!
Hans!“ zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verſpäteten
von allen Seiten herbei ſchwimmen. So lange dieß Rufen
dauert, halten ſich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört
es aber auf, und wendet der Rufende ſich zu dem eigentlichen
Fütterungsplatze, ſo rauſcht das ganze Schwanenheer in einer
großen, blendend weißen Maſſe, drängend wie ein Keil und
gewaltſam wie die Räder eines Dampfſchiffs, im Waſſer neben
dem am Ufer gehenden Schwanenmeiſter her. Während der
Sack aufgebunden wird, ſchroten ſich einige der Gierigſten über
die Eisſchollen und Ränder am Ufer auf das feſte Land, wat-

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[125/0143] ſelten zufriert. Dieſe iſt Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr- Fütterung. Schon um Mittag ziehen ſich die Schwäne von allen noch offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in der Nähe der Eiſenbahnbrücke zuſammen. Unruhig ziehen ſie nicht einzeln, ſondern zu Hunderten neben und hintereinander am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter dem letzten Bogen der Eiſenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle, von wo ſie mit hochaufgerecktem Halſe über die Uferbrüſtung hinweg den langen Wallweg hinunter ſehen können, auf dem der Schwanenmeiſter mit ſeinem Kornkarren heranfahren muß. Sie kennen ihn auch ſchon in weiteſter Entfernung, und kaum taucht ſeine Mütze zwiſchen den Bäumen auf, ſo fährt eine ganz beſondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchſter Anſtren- gung rudern ſie ſofort unter der Eiſenbahnbrücke hindurch, nach dem Futterplatze, und wenn ſie ihn dort noch nicht angekommen ſehen, wieder zurück zu der Stelle, wo ſie ſeine Annäherung beobachten können. Dieſe unruhige Wanderung wiederholt ſich ſo lange, bis der Schwanenmeiſter mit Karre und Gerſtenſack an der Brücke angekommen iſt. Nun entſteht ein wahrer Tumult unter den Thieren. Alles ſtürzt über einander, neben einander hin und reckt die Hälſe, um nur ja keine Bewegung ihres Hüters zu überſehen und den erſten Schaufelwurf zu verſäumen. Noch iſt es indeſſen nicht ſo weit. Der Schwanenmeiſter geht erſt auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen ſein „Hans! Hans!“ zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verſpäteten von allen Seiten herbei ſchwimmen. So lange dieß Rufen dauert, halten ſich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört es aber auf, und wendet der Rufende ſich zu dem eigentlichen Fütterungsplatze, ſo rauſcht das ganze Schwanenheer in einer großen, blendend weißen Maſſe, drängend wie ein Keil und gewaltſam wie die Räder eines Dampfſchiffs, im Waſſer neben dem am Ufer gehenden Schwanenmeiſter her. Während der Sack aufgebunden wird, ſchroten ſich einige der Gierigſten über die Eisſchollen und Ränder am Ufer auf das feſte Land, wat-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/143>, abgerufen am 24.11.2024.