selten zufriert. Diese ist Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr- Fütterung.
Schon um Mittag ziehen sich die Schwäne von allen noch offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in der Nähe der Eisenbahnbrücke zusammen. Unruhig ziehen sie nicht einzeln, sondern zu Hunderten neben und hintereinander am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter dem letzten Bogen der Eisenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle, von wo sie mit hochaufgerecktem Halse über die Uferbrüstung hinweg den langen Wallweg hinunter sehen können, auf dem der Schwanenmeister mit seinem Kornkarren heranfahren muß. Sie kennen ihn auch schon in weitester Entfernung, und kaum taucht seine Mütze zwischen den Bäumen auf, so fährt eine ganz besondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchster Anstren- gung rudern sie sofort unter der Eisenbahnbrücke hindurch, nach dem Futterplatze, und wenn sie ihn dort noch nicht angekommen sehen, wieder zurück zu der Stelle, wo sie seine Annäherung beobachten können. Diese unruhige Wanderung wiederholt sich so lange, bis der Schwanenmeister mit Karre und Gerstensack an der Brücke angekommen ist. Nun entsteht ein wahrer Tumult unter den Thieren. Alles stürzt über einander, neben einander hin und reckt die Hälse, um nur ja keine Bewegung ihres Hüters zu übersehen und den ersten Schaufelwurf zu versäumen. Noch ist es indessen nicht so weit. Der Schwanenmeister geht erst auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen sein "Hans! Hans!" zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verspäteten von allen Seiten herbei schwimmen. So lange dieß Rufen dauert, halten sich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört es aber auf, und wendet der Rufende sich zu dem eigentlichen Fütterungsplatze, so rauscht das ganze Schwanenheer in einer großen, blendend weißen Masse, drängend wie ein Keil und gewaltsam wie die Räder eines Dampfschiffs, im Wasser neben dem am Ufer gehenden Schwanenmeister her. Während der Sack aufgebunden wird, schroten sich einige der Gierigsten über die Eisschollen und Ränder am Ufer auf das feste Land, wat-
ſelten zufriert. Dieſe iſt Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr- Fütterung.
Schon um Mittag ziehen ſich die Schwäne von allen noch offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in der Nähe der Eiſenbahnbrücke zuſammen. Unruhig ziehen ſie nicht einzeln, ſondern zu Hunderten neben und hintereinander am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter dem letzten Bogen der Eiſenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle, von wo ſie mit hochaufgerecktem Halſe über die Uferbrüſtung hinweg den langen Wallweg hinunter ſehen können, auf dem der Schwanenmeiſter mit ſeinem Kornkarren heranfahren muß. Sie kennen ihn auch ſchon in weiteſter Entfernung, und kaum taucht ſeine Mütze zwiſchen den Bäumen auf, ſo fährt eine ganz beſondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchſter Anſtren- gung rudern ſie ſofort unter der Eiſenbahnbrücke hindurch, nach dem Futterplatze, und wenn ſie ihn dort noch nicht angekommen ſehen, wieder zurück zu der Stelle, wo ſie ſeine Annäherung beobachten können. Dieſe unruhige Wanderung wiederholt ſich ſo lange, bis der Schwanenmeiſter mit Karre und Gerſtenſack an der Brücke angekommen iſt. Nun entſteht ein wahrer Tumult unter den Thieren. Alles ſtürzt über einander, neben einander hin und reckt die Hälſe, um nur ja keine Bewegung ihres Hüters zu überſehen und den erſten Schaufelwurf zu verſäumen. Noch iſt es indeſſen nicht ſo weit. Der Schwanenmeiſter geht erſt auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen ſein „Hans! Hans!“ zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verſpäteten von allen Seiten herbei ſchwimmen. So lange dieß Rufen dauert, halten ſich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört es aber auf, und wendet der Rufende ſich zu dem eigentlichen Fütterungsplatze, ſo rauſcht das ganze Schwanenheer in einer großen, blendend weißen Maſſe, drängend wie ein Keil und gewaltſam wie die Räder eines Dampfſchiffs, im Waſſer neben dem am Ufer gehenden Schwanenmeiſter her. Während der Sack aufgebunden wird, ſchroten ſich einige der Gierigſten über die Eisſchollen und Ränder am Ufer auf das feſte Land, wat-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0143"n="125"/>ſelten zufriert. Dieſe iſt Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr-<lb/>
Fütterung.</p><lb/><p>Schon um Mittag ziehen ſich die Schwäne von allen noch<lb/>
offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in<lb/>
der Nähe der Eiſenbahnbrücke zuſammen. Unruhig ziehen ſie<lb/>
nicht einzeln, ſondern zu Hunderten neben und hintereinander<lb/>
am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter<lb/>
dem letzten Bogen der Eiſenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle,<lb/>
von wo ſie mit hochaufgerecktem Halſe über die Uferbrüſtung<lb/>
hinweg den langen Wallweg hinunter ſehen können, auf dem<lb/>
der Schwanenmeiſter mit ſeinem Kornkarren heranfahren muß.<lb/>
Sie kennen ihn auch ſchon in weiteſter Entfernung, und kaum<lb/>
taucht ſeine Mütze zwiſchen den Bäumen auf, ſo fährt eine ganz<lb/>
beſondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchſter Anſtren-<lb/>
gung rudern ſie ſofort unter der Eiſenbahnbrücke hindurch, nach<lb/>
dem Futterplatze, und wenn ſie ihn dort noch nicht angekommen<lb/>ſehen, wieder zurück zu der Stelle, wo ſie ſeine Annäherung<lb/>
beobachten können. Dieſe unruhige Wanderung wiederholt ſich<lb/>ſo lange, bis der Schwanenmeiſter mit Karre und Gerſtenſack<lb/>
an der Brücke angekommen iſt. Nun entſteht ein wahrer Tumult<lb/>
unter den Thieren. Alles ſtürzt über einander, neben einander<lb/>
hin und reckt die Hälſe, um nur ja keine Bewegung ihres<lb/>
Hüters zu überſehen und den erſten Schaufelwurf zu verſäumen.<lb/>
Noch iſt es indeſſen nicht ſo weit. Der Schwanenmeiſter geht<lb/>
erſt auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen ſein „Hans!<lb/>
Hans!“ zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verſpäteten<lb/>
von allen Seiten herbei ſchwimmen. So lange dieß Rufen<lb/>
dauert, halten ſich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört<lb/>
es aber auf, und wendet der Rufende ſich zu dem eigentlichen<lb/>
Fütterungsplatze, ſo rauſcht das ganze Schwanenheer in einer<lb/>
großen, blendend weißen Maſſe, drängend wie ein Keil und<lb/>
gewaltſam wie die Räder eines Dampfſchiffs, im Waſſer neben<lb/>
dem am Ufer gehenden Schwanenmeiſter her. Während der<lb/>
Sack aufgebunden wird, ſchroten ſich einige der Gierigſten über<lb/>
die Eisſchollen und Ränder am Ufer auf das feſte Land, wat-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[125/0143]
ſelten zufriert. Dieſe iſt Rendezvous. Wir geben die 3-Uhr-
Fütterung.
Schon um Mittag ziehen ſich die Schwäne von allen noch
offenen Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in
der Nähe der Eiſenbahnbrücke zuſammen. Unruhig ziehen ſie
nicht einzeln, ſondern zu Hunderten neben und hintereinander
am Ufer hin und her, die alten und erfahreneren aber unter
dem letzten Bogen der Eiſenbahnbrücke hindurch, auf eine Stelle,
von wo ſie mit hochaufgerecktem Halſe über die Uferbrüſtung
hinweg den langen Wallweg hinunter ſehen können, auf dem
der Schwanenmeiſter mit ſeinem Kornkarren heranfahren muß.
Sie kennen ihn auch ſchon in weiteſter Entfernung, und kaum
taucht ſeine Mütze zwiſchen den Bäumen auf, ſo fährt eine ganz
beſondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In höchſter Anſtren-
gung rudern ſie ſofort unter der Eiſenbahnbrücke hindurch, nach
dem Futterplatze, und wenn ſie ihn dort noch nicht angekommen
ſehen, wieder zurück zu der Stelle, wo ſie ſeine Annäherung
beobachten können. Dieſe unruhige Wanderung wiederholt ſich
ſo lange, bis der Schwanenmeiſter mit Karre und Gerſtenſack
an der Brücke angekommen iſt. Nun entſteht ein wahrer Tumult
unter den Thieren. Alles ſtürzt über einander, neben einander
hin und reckt die Hälſe, um nur ja keine Bewegung ihres
Hüters zu überſehen und den erſten Schaufelwurf zu verſäumen.
Noch iſt es indeſſen nicht ſo weit. Der Schwanenmeiſter geht
erſt auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen ſein „Hans!
Hans!“ zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verſpäteten
von allen Seiten herbei ſchwimmen. So lange dieß Rufen
dauert, halten ſich die Schwäne in der Nähe der Brücke. Hört
es aber auf, und wendet der Rufende ſich zu dem eigentlichen
Fütterungsplatze, ſo rauſcht das ganze Schwanenheer in einer
großen, blendend weißen Maſſe, drängend wie ein Keil und
gewaltſam wie die Räder eines Dampfſchiffs, im Waſſer neben
dem am Ufer gehenden Schwanenmeiſter her. Während der
Sack aufgebunden wird, ſchroten ſich einige der Gierigſten über
die Eisſchollen und Ränder am Ufer auf das feſte Land, wat-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/143>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.