scheln unbehülflich zum Karren, um wo möglich die Ersten zu sein, die etwas erhalten. Ihre Berechnung wird aber jedesmal getäuscht, denn, wenn recht viele aus dem Wasser heraus und andere im Begriff sind, ihnen zu folgen, wird der Gersten- karren rasch auf die entfernteste Stelle des Futterplatzes gescho- ben. Kaum sehen die auf's Land gekommenen Schwäne, daß ihnen ihre Eile nichts hilft, so stürzen sie sich so rasch als mög- lich in das Wasser zurück; aber es hält schwer, in der dicht- gedrängten Masse der schwimmenden Schwäne ein Fleckchen zu finden, wo sie noch Platz hätten. Mit einer unglaublichen Gewaltsamkeit drängen die Hintersten gegen das Ufer. Nun erfolgt der erste Wurf weit in's Wasser hinein, und wo die Gerste das Wasser berühren kann, verschwinden im Nu alle Hälse, und man sieht plötzlich Hunderte von Zuckerhüten auf dem Wasser schwimmen. Unmittelbar am Ufer aber gelangt die Gerste gar nicht in's Wasser, sondern bleibt auf den dicht aneinander gedrängten Rücken der Schwäne liegen. Um sie auf- zulesen, verschlingen die langen Hälse sich hin und wieder zu Knoten, so daß es oft den Anschein hat, als könnten sie kaum wieder auseinander kommen. So weit jeder Wurf reicht, tritt für einige Augenblicke eine gewisse Ruhe ein; desto unruhiger und drängender geht es rings umher zu. Mit Bissen und Flügelschlägen suchen sich die Entferntesten Bahn in den dichten Haufen zu brechen; aber vergebens, denn es kann keines der Thiere Platz machen, wenn es auch wollte, aber es will auch nicht, sondern beißt und schlägt abwehrend auf seinen Angrei- fer los. Wieder kommt ein Wurf und wieder beruhigt sich eine Gruppe; ein dritter, ein vierter, -- der letzte ist aber noch nicht geschehen, so kommen die, welche zuerst gefres- sen, schon wieder herbeigerauscht und drängen die Fressen- den zu einem dichten Knäuel. Wild treibende Eisschollen, vom Föhn durcheinander gewälzte Schneemassen, können kein seltsameres Bild geben, als diese blendend weißen, belebten Körper auf dem dunklen Wasser der Havel, rings von Eis und Schnee umgeben, so daß man kaum unterscheiden kann,
ſcheln unbehülflich zum Karren, um wo möglich die Erſten zu ſein, die etwas erhalten. Ihre Berechnung wird aber jedesmal getäuſcht, denn, wenn recht viele aus dem Waſſer heraus und andere im Begriff ſind, ihnen zu folgen, wird der Gerſten- karren raſch auf die entfernteſte Stelle des Futterplatzes geſcho- ben. Kaum ſehen die auf’s Land gekommenen Schwäne, daß ihnen ihre Eile nichts hilft, ſo ſtürzen ſie ſich ſo raſch als mög- lich in das Waſſer zurück; aber es hält ſchwer, in der dicht- gedrängten Maſſe der ſchwimmenden Schwäne ein Fleckchen zu finden, wo ſie noch Platz hätten. Mit einer unglaublichen Gewaltſamkeit drängen die Hinterſten gegen das Ufer. Nun erfolgt der erſte Wurf weit in’s Waſſer hinein, und wo die Gerſte das Waſſer berühren kann, verſchwinden im Nu alle Hälſe, und man ſieht plötzlich Hunderte von Zuckerhüten auf dem Waſſer ſchwimmen. Unmittelbar am Ufer aber gelangt die Gerſte gar nicht in’s Waſſer, ſondern bleibt auf den dicht aneinander gedrängten Rücken der Schwäne liegen. Um ſie auf- zuleſen, verſchlingen die langen Hälſe ſich hin und wieder zu Knoten, ſo daß es oft den Anſchein hat, als könnten ſie kaum wieder auseinander kommen. So weit jeder Wurf reicht, tritt für einige Augenblicke eine gewiſſe Ruhe ein; deſto unruhiger und drängender geht es rings umher zu. Mit Biſſen und Flügelſchlägen ſuchen ſich die Entfernteſten Bahn in den dichten Haufen zu brechen; aber vergebens, denn es kann keines der Thiere Platz machen, wenn es auch wollte, aber es will auch nicht, ſondern beißt und ſchlägt abwehrend auf ſeinen Angrei- fer los. Wieder kommt ein Wurf und wieder beruhigt ſich eine Gruppe; ein dritter, ein vierter, — der letzte iſt aber noch nicht geſchehen, ſo kommen die, welche zuerſt gefreſ- ſen, ſchon wieder herbeigerauſcht und drängen die Freſſen- den zu einem dichten Knäuel. Wild treibende Eisſchollen, vom Föhn durcheinander gewälzte Schneemaſſen, können kein ſeltſameres Bild geben, als dieſe blendend weißen, belebten Körper auf dem dunklen Waſſer der Havel, rings von Eis und Schnee umgeben, ſo daß man kaum unterſcheiden kann,
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ſcheln unbehülflich zum Karren, um wo möglich die Erſten zu
ſein, die etwas erhalten. Ihre Berechnung wird aber jedesmal
getäuſcht, denn, wenn recht viele aus dem Waſſer heraus und
andere im Begriff ſind, ihnen zu folgen, wird der Gerſten-
karren raſch auf die entfernteſte Stelle des Futterplatzes geſcho-
ben. Kaum ſehen die auf’s Land gekommenen Schwäne, daß
ihnen ihre Eile nichts hilft, ſo ſtürzen ſie ſich ſo raſch als mög-
lich in das Waſſer zurück; aber es hält ſchwer, in der dicht-
gedrängten Maſſe der ſchwimmenden Schwäne ein Fleckchen zu
finden, wo ſie noch Platz hätten. Mit einer unglaublichen
Gewaltſamkeit drängen die Hinterſten gegen das Ufer. Nun
erfolgt der erſte Wurf weit in’s Waſſer hinein, und wo die
Gerſte das Waſſer berühren kann, verſchwinden im Nu alle
Hälſe, und man ſieht plötzlich Hunderte von Zuckerhüten auf
dem Waſſer ſchwimmen. Unmittelbar am Ufer aber gelangt die
Gerſte gar nicht in’s Waſſer, ſondern bleibt auf den dicht
aneinander gedrängten Rücken der Schwäne liegen. Um ſie auf-
zuleſen, verſchlingen die langen Hälſe ſich hin und wieder zu
Knoten, ſo daß es oft den Anſchein hat, als könnten ſie kaum
wieder auseinander kommen. So weit jeder Wurf reicht, tritt
für einige Augenblicke eine gewiſſe Ruhe ein; deſto unruhiger
und drängender geht es rings umher zu. Mit Biſſen und
Flügelſchlägen ſuchen ſich die Entfernteſten Bahn in den dichten
Haufen zu brechen; aber vergebens, denn es kann keines der
Thiere Platz machen, wenn es auch wollte, aber es will auch
nicht, ſondern beißt und ſchlägt abwehrend auf ſeinen Angrei-
fer los. Wieder kommt ein Wurf und wieder beruhigt ſich
eine Gruppe; ein dritter, ein vierter, — der letzte iſt
aber noch nicht geſchehen, ſo kommen die, welche zuerſt gefreſ-
ſen, ſchon wieder herbeigerauſcht und drängen die Freſſen-
den zu einem dichten Knäuel. Wild treibende Eisſchollen,
vom Föhn durcheinander gewälzte Schneemaſſen, können kein
ſeltſameres Bild geben, als dieſe blendend weißen, belebten
Körper auf dem dunklen Waſſer der Havel, rings von Eis
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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