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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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der Havel hin, dann links in den Forst hinein. "Jetzt!" Er
riß seinen Rock auf. Nein, noch nicht. So vergingen Stunden.

Wo ist Schupke? hieß es derweilen in der Kaserne. Man
öffnete seinen Schrank. Da lagen Uhr und Kette. Man sah
auf den Büchsenstand. Eine Büchse fehlte; Schupkes. Alles
war klar.

Der Hauptmann seiner Compagnie, Graf Schlieffen, warf
sich auf's Pferd. Der Weg war wie vorgeschrieben. Er sagte
sich: ein Jäger ist in den Wald gegangen. 500 Schritt
hinterm Schützenhause begegnete ihm ein Mann, der Reisig auf
seiner Karre heimkarrte. "Guten Tag, Papa, habt Ihr nicht
einen Gardejäger hier herum gesehen?"

"Woll, den hebb ick sehn. Reitens man to, Herr Haupt-
mann. Mit den Jäger is et nich richtig. Ick kaek durch dat
Kirchhof-Door. Do läg he an een von de Gräber up sine
Knie, un ick hürte, wie he lise beden und spreeken deih. Un
denn legt he sinen Kopp up det Grab, immer deeper int Gras.
Mit den Jäger is et nich richtig. Reitens man to, Herr
Hauptmann."

Also doch. Graf Schlieffen jagte vor. In einer Minute
hielt er an dem halb angelehnten Thorflügel. Da lag der
Gardejäger noch auf seinen Knieen, wie der Reisigsammler erzählt
hatte, und betete. Schupke! rief der Graf.

Schupke sprang auf und griff nach seiner Büchse. Er sah
wie gestört aus; dann winkte er mit der Hand, wie um an-
zudeuten: der Graf solle ihn nicht stören.

Der aber ritt näher. Schupke winkte noch einmal. Als
der Graf auch jetzt noch weiter vorritt, griff Schupke nach der
neben ihm liegenden Büchse: Zurück, Herr Hauptmann, oder
ich schieße!

Der Graf hielt; -- ein Gardejäger trifft seinen Mann.
So war Zeit gewonnen. Im nächsten Augenblick aber fiel ein
Schuß. Schupke hatte sich durch die Brust geschossen.

Auf einer Bahre trugen sie ihn hinein. Er schien ein
Sterbender. Aber die Jugend war stärker als der Tod. Drei

der Havel hin, dann links in den Forſt hinein. „Jetzt!“ Er
riß ſeinen Rock auf. Nein, noch nicht. So vergingen Stunden.

Wo iſt Schupke? hieß es derweilen in der Kaſerne. Man
öffnete ſeinen Schrank. Da lagen Uhr und Kette. Man ſah
auf den Büchſenſtand. Eine Büchſe fehlte; Schupkes. Alles
war klar.

Der Hauptmann ſeiner Compagnie, Graf Schlieffen, warf
ſich auf’s Pferd. Der Weg war wie vorgeſchrieben. Er ſagte
ſich: ein Jäger iſt in den Wald gegangen. 500 Schritt
hinterm Schützenhauſe begegnete ihm ein Mann, der Reiſig auf
ſeiner Karre heimkarrte. „Guten Tag, Papa, habt Ihr nicht
einen Gardejäger hier herum geſehen?“

„Woll, den hebb ick ſehn. Reitens man to, Herr Haupt-
mann. Mit den Jäger is et nich richtig. Ick kaek durch dat
Kirchhof-Door. Do läg he an een von de Gräber up ſine
Knie, un ick hürte, wie he liſe beden und ſpreeken deih. Un
denn legt he ſinen Kopp up det Grab, immer deeper int Gras.
Mit den Jäger is et nich richtig. Reitens man to, Herr
Hauptmann.“

Alſo doch. Graf Schlieffen jagte vor. In einer Minute
hielt er an dem halb angelehnten Thorflügel. Da lag der
Gardejäger noch auf ſeinen Knieen, wie der Reiſigſammler erzählt
hatte, und betete. Schupke! rief der Graf.

Schupke ſprang auf und griff nach ſeiner Büchſe. Er ſah
wie geſtört aus; dann winkte er mit der Hand, wie um an-
zudeuten: der Graf ſolle ihn nicht ſtören.

Der aber ritt näher. Schupke winkte noch einmal. Als
der Graf auch jetzt noch weiter vorritt, griff Schupke nach der
neben ihm liegenden Büchſe: Zurück, Herr Hauptmann, oder
ich ſchieße!

Der Graf hielt; — ein Gardejäger trifft ſeinen Mann.
So war Zeit gewonnen. Im nächſten Augenblick aber fiel ein
Schuß. Schupke hatte ſich durch die Bruſt geſchoſſen.

Auf einer Bahre trugen ſie ihn hinein. Er ſchien ein
Sterbender. Aber die Jugend war ſtärker als der Tod. Drei

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[206/0224] der Havel hin, dann links in den Forſt hinein. „Jetzt!“ Er riß ſeinen Rock auf. Nein, noch nicht. So vergingen Stunden. Wo iſt Schupke? hieß es derweilen in der Kaſerne. Man öffnete ſeinen Schrank. Da lagen Uhr und Kette. Man ſah auf den Büchſenſtand. Eine Büchſe fehlte; Schupkes. Alles war klar. Der Hauptmann ſeiner Compagnie, Graf Schlieffen, warf ſich auf’s Pferd. Der Weg war wie vorgeſchrieben. Er ſagte ſich: ein Jäger iſt in den Wald gegangen. 500 Schritt hinterm Schützenhauſe begegnete ihm ein Mann, der Reiſig auf ſeiner Karre heimkarrte. „Guten Tag, Papa, habt Ihr nicht einen Gardejäger hier herum geſehen?“ „Woll, den hebb ick ſehn. Reitens man to, Herr Haupt- mann. Mit den Jäger is et nich richtig. Ick kaek durch dat Kirchhof-Door. Do läg he an een von de Gräber up ſine Knie, un ick hürte, wie he liſe beden und ſpreeken deih. Un denn legt he ſinen Kopp up det Grab, immer deeper int Gras. Mit den Jäger is et nich richtig. Reitens man to, Herr Hauptmann.“ Alſo doch. Graf Schlieffen jagte vor. In einer Minute hielt er an dem halb angelehnten Thorflügel. Da lag der Gardejäger noch auf ſeinen Knieen, wie der Reiſigſammler erzählt hatte, und betete. Schupke! rief der Graf. Schupke ſprang auf und griff nach ſeiner Büchſe. Er ſah wie geſtört aus; dann winkte er mit der Hand, wie um an- zudeuten: der Graf ſolle ihn nicht ſtören. Der aber ritt näher. Schupke winkte noch einmal. Als der Graf auch jetzt noch weiter vorritt, griff Schupke nach der neben ihm liegenden Büchſe: Zurück, Herr Hauptmann, oder ich ſchieße! Der Graf hielt; — ein Gardejäger trifft ſeinen Mann. So war Zeit gewonnen. Im nächſten Augenblick aber fiel ein Schuß. Schupke hatte ſich durch die Bruſt geſchoſſen. Auf einer Bahre trugen ſie ihn hinein. Er ſchien ein Sterbender. Aber die Jugend war ſtärker als der Tod. Drei

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/224>, abgerufen am 26.11.2024.