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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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uns wie alte Schuld und alte Liebe, und die Jugendsehnsucht
nach den Werderschen stieg wieder auf: hin nach der Havel-
Insel und ihrem grünen Kranz "wo tief im Laub die Knupper-
kirschen glühn."

Und wie alle echte Sehnsucht schließlich in Erfüllung geht,
so auch hier, und ehe noch der Juli um war, brauste der Zug
wieder über die große Havelbrücke, erst rasch, dann seinen Eil-
flug hemmend, bis er zu Füßen eines Kirschberges hielt:
"Station Werder!"

Noch eine drittel Meile bis zur Stadt; eine volle drittel
Meile, die einem um 3 Uhr Nachmittags, bei 27 Grad im
Schatten und absoluter Windstille schon die Frage vorlegen kann:
ob nicht doch vielleicht ein auf hohen Rädern ruhendes, sarg-
artiges Ungethüm, das hier unter dem Namen "Omnibus"
den Verkehr zwischen Station und Stadt unterhält, vor Spazier-
gangsversuchen zu bevorzugen sei. Aber es handelt sich für
uns nicht um die Frage "bequem oder unbequem," sondern um
Umschau, um den Beginn unserer Studien, da die großen
Kirschplantagen, die den Reichthum Werders bilden, vorzugs-
weise zu beiden Seiten eben dieser Wegstrecke gelegen sind, und
so lassen wir denn dem Omnibus einen Vorsprung, gönnen
dem Staube 10 Minuten Zeit sich wieder zu setzen und folgen
nun zu Fuß auf der großen Straße.

Gärten und Obstbaum-Plantagen zu beiden Seiten; links
bis zur Havel hinunter, rechts bis zu den Kuppen der Berge hinauf.
Keine Spur von Unkraut; alles rein geharkt; der weiße Sand
des Bodens liegt oben auf. Große Beete mit Erdbeeren und
ganze Kirschbaum-Wälder breiten sich aus. Wo noch vor wenig
Jahren der Wind über Thymian und Hauhechel strich, da hat
der Spaten die schwache Rasennarbe umgewühlt, und in wohl-
gerichteten Reihen neigen die Bäume ihre fruchtbeladenen Zweige.

Je näher zur Stadt, um so schattiger werden rechts und
links die Gärten; denn hier sind die Anlagen älter, somit auch
die Bäume. Viele der letzteren sind mit edleren Sorten gepfropft,

uns wie alte Schuld und alte Liebe, und die Jugendſehnſucht
nach den Werderſchen ſtieg wieder auf: hin nach der Havel-
Inſel und ihrem grünen Kranz „wo tief im Laub die Knupper-
kirſchen glühn.“

Und wie alle echte Sehnſucht ſchließlich in Erfüllung geht,
ſo auch hier, und ehe noch der Juli um war, brauſte der Zug
wieder über die große Havelbrücke, erſt raſch, dann ſeinen Eil-
flug hemmend, bis er zu Füßen eines Kirſchberges hielt:
„Station Werder!“

Noch eine drittel Meile bis zur Stadt; eine volle drittel
Meile, die einem um 3 Uhr Nachmittags, bei 27 Grad im
Schatten und abſoluter Windſtille ſchon die Frage vorlegen kann:
ob nicht doch vielleicht ein auf hohen Rädern ruhendes, ſarg-
artiges Ungethüm, das hier unter dem Namen „Omnibus“
den Verkehr zwiſchen Station und Stadt unterhält, vor Spazier-
gangsverſuchen zu bevorzugen ſei. Aber es handelt ſich für
uns nicht um die Frage „bequem oder unbequem,“ ſondern um
Umſchau, um den Beginn unſerer Studien, da die großen
Kirſchplantagen, die den Reichthum Werders bilden, vorzugs-
weiſe zu beiden Seiten eben dieſer Wegſtrecke gelegen ſind, und
ſo laſſen wir denn dem Omnibus einen Vorſprung, gönnen
dem Staube 10 Minuten Zeit ſich wieder zu ſetzen und folgen
nun zu Fuß auf der großen Straße.

Gärten und Obſtbaum-Plantagen zu beiden Seiten; links
bis zur Havel hinunter, rechts bis zu den Kuppen der Berge hinauf.
Keine Spur von Unkraut; alles rein geharkt; der weiße Sand
des Bodens liegt oben auf. Große Beete mit Erdbeeren und
ganze Kirſchbaum-Wälder breiten ſich aus. Wo noch vor wenig
Jahren der Wind über Thymian und Hauhechel ſtrich, da hat
der Spaten die ſchwache Raſennarbe umgewühlt, und in wohl-
gerichteten Reihen neigen die Bäume ihre fruchtbeladenen Zweige.

Je näher zur Stadt, um ſo ſchattiger werden rechts und
links die Gärten; denn hier ſind die Anlagen älter, ſomit auch
die Bäume. Viele der letzteren ſind mit edleren Sorten gepfropft,

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[226/0244] uns wie alte Schuld und alte Liebe, und die Jugendſehnſucht nach den Werderſchen ſtieg wieder auf: hin nach der Havel- Inſel und ihrem grünen Kranz „wo tief im Laub die Knupper- kirſchen glühn.“ Und wie alle echte Sehnſucht ſchließlich in Erfüllung geht, ſo auch hier, und ehe noch der Juli um war, brauſte der Zug wieder über die große Havelbrücke, erſt raſch, dann ſeinen Eil- flug hemmend, bis er zu Füßen eines Kirſchberges hielt: „Station Werder!“ Noch eine drittel Meile bis zur Stadt; eine volle drittel Meile, die einem um 3 Uhr Nachmittags, bei 27 Grad im Schatten und abſoluter Windſtille ſchon die Frage vorlegen kann: ob nicht doch vielleicht ein auf hohen Rädern ruhendes, ſarg- artiges Ungethüm, das hier unter dem Namen „Omnibus“ den Verkehr zwiſchen Station und Stadt unterhält, vor Spazier- gangsverſuchen zu bevorzugen ſei. Aber es handelt ſich für uns nicht um die Frage „bequem oder unbequem,“ ſondern um Umſchau, um den Beginn unſerer Studien, da die großen Kirſchplantagen, die den Reichthum Werders bilden, vorzugs- weiſe zu beiden Seiten eben dieſer Wegſtrecke gelegen ſind, und ſo laſſen wir denn dem Omnibus einen Vorſprung, gönnen dem Staube 10 Minuten Zeit ſich wieder zu ſetzen und folgen nun zu Fuß auf der großen Straße. Gärten und Obſtbaum-Plantagen zu beiden Seiten; links bis zur Havel hinunter, rechts bis zu den Kuppen der Berge hinauf. Keine Spur von Unkraut; alles rein geharkt; der weiße Sand des Bodens liegt oben auf. Große Beete mit Erdbeeren und ganze Kirſchbaum-Wälder breiten ſich aus. Wo noch vor wenig Jahren der Wind über Thymian und Hauhechel ſtrich, da hat der Spaten die ſchwache Raſennarbe umgewühlt, und in wohl- gerichteten Reihen neigen die Bäume ihre fruchtbeladenen Zweige. Je näher zur Stadt, um ſo ſchattiger werden rechts und links die Gärten; denn hier ſind die Anlagen älter, ſomit auch die Bäume. Viele der letzteren ſind mit edleren Sorten gepfropft,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/244>, abgerufen am 24.11.2024.