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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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"Nein. Ich bin erst seit 8 Tagen hier." (Er zeigte auf
das Gehöft).

"In der Schäferei?"

"Ja."

"Sie sind der Schafmeister?"

"Nein. Ich bin sein Knecht."

Mein Begleiter und ich sahen einander an. Eine unwill-
kürliche Pause trat ein. Der unumwundenen Erklärung "ich
bin dieses oder jenes Mannes Knecht" begegnet man in Städten
niemals, auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man sucht sich zu
helfen, so gut es geht. "Ick bin bi Schulze Borchardten sine
Pärd," so oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns
aber in diesem speciellen Fall ganz besonders frappirte, war
das correcte Deutsch und der männliche und zugleich bescheidene
Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Diese immer
seltener werdende Demuth und Wahrheitsliebe (jeder will über
sich hinaus), machte einen tiefen Eindruck auf uns und wir
hatten eine Freude, als der Sprechende uns bat, uns begleiten
zu dürfen. Er war, wie sich bald ergab, aus der Provinz
Sachsen (die in Schulbildung und gutem Deutsch immer einen
Schritt voraus hat), hatte in der Garde gedient und war dann
sechs oder sieben Jahre lang der Diener in einem altlutherischen
Hause, der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes gewe-
sen. So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen
Stadt in diese einfache Stellung geführt hatte, erfuhren wir nicht.

Erst über ein breites Brachfeld hin, dann einen Waldweg
hinauf, erreichten wir die Kuppe des Berges, um den es sich
zunächst für uns handelte, und traten dann in die Trümmer
des alten Baues ein, der diesem Berge den Namen gegeben
hat. Zwei Wände sind eingestürzt, zwei stehen noch, so daß
es auch für einen Laien ein Leichtes ist, sich den Bau wieder
in aller Vollständigkeit vorzustellen. Es war eine gothische
Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin
offen, genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten
Domen so oft über dem Altar begegnet.

„Nein. Ich bin erſt ſeit 8 Tagen hier.“ (Er zeigte auf
das Gehöft).

„In der Schäferei?“

„Ja.“

„Sie ſind der Schafmeiſter?“

„Nein. Ich bin ſein Knecht.“

Mein Begleiter und ich ſahen einander an. Eine unwill-
kürliche Pauſe trat ein. Der unumwundenen Erklärung „ich
bin dieſes oder jenes Mannes Knecht“ begegnet man in Städten
niemals, auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man ſucht ſich zu
helfen, ſo gut es geht. „Ick bin bi Schulze Borchardten ſine
Pärd,“ ſo oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns
aber in dieſem ſpeciellen Fall ganz beſonders frappirte, war
das correcte Deutſch und der männliche und zugleich beſcheidene
Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Dieſe immer
ſeltener werdende Demuth und Wahrheitsliebe (jeder will über
ſich hinaus), machte einen tiefen Eindruck auf uns und wir
hatten eine Freude, als der Sprechende uns bat, uns begleiten
zu dürfen. Er war, wie ſich bald ergab, aus der Provinz
Sachſen (die in Schulbildung und gutem Deutſch immer einen
Schritt voraus hat), hatte in der Garde gedient und war dann
ſechs oder ſieben Jahre lang der Diener in einem altlutheriſchen
Hauſe, der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes gewe-
ſen. So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen
Stadt in dieſe einfache Stellung geführt hatte, erfuhren wir nicht.

Erſt über ein breites Brachfeld hin, dann einen Waldweg
hinauf, erreichten wir die Kuppe des Berges, um den es ſich
zunächſt für uns handelte, und traten dann in die Trümmer
des alten Baues ein, der dieſem Berge den Namen gegeben
hat. Zwei Wände ſind eingeſtürzt, zwei ſtehen noch, ſo daß
es auch für einen Laien ein Leichtes iſt, ſich den Bau wieder
in aller Vollſtändigkeit vorzuſtellen. Es war eine gothiſche
Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin
offen, genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten
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[372/0390] „Nein. Ich bin erſt ſeit 8 Tagen hier.“ (Er zeigte auf das Gehöft). „In der Schäferei?“ „Ja.“ „Sie ſind der Schafmeiſter?“ „Nein. Ich bin ſein Knecht.“ Mein Begleiter und ich ſahen einander an. Eine unwill- kürliche Pauſe trat ein. Der unumwundenen Erklärung „ich bin dieſes oder jenes Mannes Knecht“ begegnet man in Städten niemals, auf dem Lande nicht allzuhäufig. Man ſucht ſich zu helfen, ſo gut es geht. „Ick bin bi Schulze Borchardten ſine Pärd,“ ſo oder ähnlich wird das Wort umgangen. Was uns aber in dieſem ſpeciellen Fall ganz beſonders frappirte, war das correcte Deutſch und der männliche und zugleich beſcheidene Freimuth, in dem die Antwort gegeben wurde. Dieſe immer ſeltener werdende Demuth und Wahrheitsliebe (jeder will über ſich hinaus), machte einen tiefen Eindruck auf uns und wir hatten eine Freude, als der Sprechende uns bat, uns begleiten zu dürfen. Er war, wie ſich bald ergab, aus der Provinz Sachſen (die in Schulbildung und gutem Deutſch immer einen Schritt voraus hat), hatte in der Garde gedient und war dann ſechs oder ſieben Jahre lang der Diener in einem altlutheriſchen Hauſe, der Pfleger eines einzigen gichtbrüchigen Sohnes gewe- ſen. So war denn vieles erklärt. Was ihn aus der großen Stadt in dieſe einfache Stellung geführt hatte, erfuhren wir nicht. Erſt über ein breites Brachfeld hin, dann einen Waldweg hinauf, erreichten wir die Kuppe des Berges, um den es ſich zunächſt für uns handelte, und traten dann in die Trümmer des alten Baues ein, der dieſem Berge den Namen gegeben hat. Zwei Wände ſind eingeſtürzt, zwei ſtehen noch, ſo daß es auch für einen Laien ein Leichtes iſt, ſich den Bau wieder in aller Vollſtändigkeit vorzuſtellen. Es war eine gothiſche Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin offen, genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten Domen ſo oft über dem Altar begegnet.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/390>, abgerufen am 24.11.2024.