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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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tien, übersiedelte der letztere nach Linum, in dessen Pfarrhause
wir denn auch unsern Wilhelm Hensel während seiner Knaben-
zeit zu suchen haben. Den Unterricht ertheilte der Vater selbst;
1809, gut vorbereitet, bezog der Sohn die Bergakademie.
Seinem schon damals lebhaft geäußerten Wunsche, sich der Kunst
widmen zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen.

Das Talent war aber zu ausgesprochen, als daß die Lauf-
bahn, der er seiner Natur nach angehörte, ihm hätte verschlos-
sen bleiben können. Seine eigenen Vorgesetzten ermunterten
ihn, in seiner Beschäftigung mit den Künsten auszuharren und
als er bei einer bestimmten Gelegenheit ein Blatt in Wasser-
farben ausführte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze
tropische Landschaft vor aller Augen entstehen ließ, drang der
Direktor des Instituts in ihn, das Bergfach aufzugeben und
Maler zu werden. *)

Den Widerstand des Vaters, der auch jetzt noch fort-
dauerte, brach endlich der Tod. Pastor Hensel starb 1811;
unser Wilhelm Hensel war nun Maler. Er studirte Anatomie
und Perspektive, zeichnete nach der Antike und dem lebenden
Modell und bewährte sich als so tüchtig, daß er schon 1812 die
Kunstausstellung (die erste, die in Berlin überhaupt stattfand)
beschicken konnte.

Der Frühling 1813 unterbrach die kaum begonnene Lauf-
bahn. Von Jugend auf voll patriotischen Eifers, folgte er
dem "Aufruf" und trat in das eben damals errichtete Garde-

*) Dies Blatt befindet sich noch in den zahlreichen Mappen, die
Sebastian Hensel, aus dem reichen Nachlasse seines Vaters aufbewahrt.
Wir kommen auf diesen Nachlaß am Schluß des Aufsatzes zurück. Was
dies aquarellirte Blatt angeht, so ist es eine Felsenpartie; Palmen und
Bautrümmer fassen ein Gewässer ein, in dem Mädchen baden. Es
nimmt sich aus wie eine Farbenskizze zu einem großen Tapetenbilde.
Als Arbeit eines in künstlerischen Dingen ohne alle Schule aufgewach-
senen jungen Mannes, mußte dieselbe allerdings überraschen. Heutzu-
tage, wo jeder zeichnen und seinen Baumschlag machen kann, würde
man dergleichen ruhig hinnehmen.

tien, überſiedelte der letztere nach Linum, in deſſen Pfarrhauſe
wir denn auch unſern Wilhelm Henſel während ſeiner Knaben-
zeit zu ſuchen haben. Den Unterricht ertheilte der Vater ſelbſt;
1809, gut vorbereitet, bezog der Sohn die Bergakademie.
Seinem ſchon damals lebhaft geäußerten Wunſche, ſich der Kunſt
widmen zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen.

Das Talent war aber zu ausgeſprochen, als daß die Lauf-
bahn, der er ſeiner Natur nach angehörte, ihm hätte verſchloſ-
ſen bleiben können. Seine eigenen Vorgeſetzten ermunterten
ihn, in ſeiner Beſchäftigung mit den Künſten auszuharren und
als er bei einer beſtimmten Gelegenheit ein Blatt in Waſſer-
farben ausführte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze
tropiſche Landſchaft vor aller Augen entſtehen ließ, drang der
Direktor des Inſtituts in ihn, das Bergfach aufzugeben und
Maler zu werden. *)

Den Widerſtand des Vaters, der auch jetzt noch fort-
dauerte, brach endlich der Tod. Paſtor Henſel ſtarb 1811;
unſer Wilhelm Henſel war nun Maler. Er ſtudirte Anatomie
und Perſpektive, zeichnete nach der Antike und dem lebenden
Modell und bewährte ſich als ſo tüchtig, daß er ſchon 1812 die
Kunſtausſtellung (die erſte, die in Berlin überhaupt ſtattfand)
beſchicken konnte.

Der Frühling 1813 unterbrach die kaum begonnene Lauf-
bahn. Von Jugend auf voll patriotiſchen Eifers, folgte er
dem „Aufruf“ und trat in das eben damals errichtete Garde-

*) Dies Blatt befindet ſich noch in den zahlreichen Mappen, die
Sebaſtian Henſel, aus dem reichen Nachlaſſe ſeines Vaters aufbewahrt.
Wir kommen auf dieſen Nachlaß am Schluß des Aufſatzes zurück. Was
dies aquarellirte Blatt angeht, ſo iſt es eine Felſenpartie; Palmen und
Bautrümmer faſſen ein Gewäſſer ein, in dem Mädchen baden. Es
nimmt ſich aus wie eine Farbenſkizze zu einem großen Tapetenbilde.
Als Arbeit eines in künſtleriſchen Dingen ohne alle Schule aufgewach-
ſenen jungen Mannes, mußte dieſelbe allerdings überraſchen. Heutzu-
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man dergleichen ruhig hinnehmen.
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[384/0402] tien, überſiedelte der letztere nach Linum, in deſſen Pfarrhauſe wir denn auch unſern Wilhelm Henſel während ſeiner Knaben- zeit zu ſuchen haben. Den Unterricht ertheilte der Vater ſelbſt; 1809, gut vorbereitet, bezog der Sohn die Bergakademie. Seinem ſchon damals lebhaft geäußerten Wunſche, ſich der Kunſt widmen zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen. Das Talent war aber zu ausgeſprochen, als daß die Lauf- bahn, der er ſeiner Natur nach angehörte, ihm hätte verſchloſ- ſen bleiben können. Seine eigenen Vorgeſetzten ermunterten ihn, in ſeiner Beſchäftigung mit den Künſten auszuharren und als er bei einer beſtimmten Gelegenheit ein Blatt in Waſſer- farben ausführte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze tropiſche Landſchaft vor aller Augen entſtehen ließ, drang der Direktor des Inſtituts in ihn, das Bergfach aufzugeben und Maler zu werden. *) Den Widerſtand des Vaters, der auch jetzt noch fort- dauerte, brach endlich der Tod. Paſtor Henſel ſtarb 1811; unſer Wilhelm Henſel war nun Maler. Er ſtudirte Anatomie und Perſpektive, zeichnete nach der Antike und dem lebenden Modell und bewährte ſich als ſo tüchtig, daß er ſchon 1812 die Kunſtausſtellung (die erſte, die in Berlin überhaupt ſtattfand) beſchicken konnte. Der Frühling 1813 unterbrach die kaum begonnene Lauf- bahn. Von Jugend auf voll patriotiſchen Eifers, folgte er dem „Aufruf“ und trat in das eben damals errichtete Garde- *) Dies Blatt befindet ſich noch in den zahlreichen Mappen, die Sebaſtian Henſel, aus dem reichen Nachlaſſe ſeines Vaters aufbewahrt. Wir kommen auf dieſen Nachlaß am Schluß des Aufſatzes zurück. Was dies aquarellirte Blatt angeht, ſo iſt es eine Felſenpartie; Palmen und Bautrümmer faſſen ein Gewäſſer ein, in dem Mädchen baden. Es nimmt ſich aus wie eine Farbenſkizze zu einem großen Tapetenbilde. Als Arbeit eines in künſtleriſchen Dingen ohne alle Schule aufgewach- ſenen jungen Mannes, mußte dieſelbe allerdings überraſchen. Heutzu- tage, wo jeder zeichnen und ſeinen Baumſchlag machen kann, würde man dergleichen ruhig hinnehmen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/402>, abgerufen am 24.11.2024.