Impromptu. Hier feierte er seine größten Triumphe. Das geschickte Operiren mit einem Reim-Einfall, einem epigramma- tisch zugespitzten Calembourg, verstand er besser als einer. Er war kein Dichter, aber man hätte ihn "Wilhelm den Reimer" nennen können. Eine Sammlung dieser "geflügelten Worte," wenn es möglich wäre, eine solche noch nachträglich zu veran- stalten, würde ein Witz- und Anekdotenbuch, zugleich eine Per- sonen- und Charakterschilderung aus dem zweiten Viertel dieses Jahrhunderts sein. Eine Auswahl zu treffen ist schwer.
Von gesellschaftlicher Bedeutung, ja von gesellschaft- lichem Fundament war auch die Art wie er die Kunst übte, zumal wenn wir von der Epoche absehen, wo er noch unmittelbar unter dem Einfluß Italiens und der großen Meister stand. Was er in der Gesellschaft und für die Gesellschaft schuf, das wird unter allem, was er geschaffen, das Dauerndste bleiben, nicht weil es an künstlerischer Kraft sich über anderes erhöbe, sondern lediglich deshalb weil Situation und gesell- schaftlicher Charakter des Mannes eben diesen Arbeiten einen aparten Stempel aufdrückten.
Die Arbeiten Hensel's, die wir hierbei im Sinne haben, sind seine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entstan- denen Portraits, die eine in ihrer Art berühmte Sammlung bilden. Wir gehen zum Schluß unserer Arbeit näher darauf ein.
Diese Sammlung, in Händen seines Sohnes befindlich, besteht aus 47 Jahres-Mappen, die in einem alten Schildpat- oder Boule-Schranke aufbewahrt werden und die ganze obere Hälfte desselben füllen. Schon die bloßen Mappen-Deckel bil- den eine Sehenswürdigkeit. Bekanntlich gab es in früheren Jahrhunderten, weit über das hinaus was jetzt geleistet wird, auch eine Buchbinde-Kunst, und solcher untergegangenen Kunst- Epoche scheinen diese Mappen, von denen übrigens keine älter ist als 50 Jahr, anzugehören. Sie sind alle verschieden, in Farbe wie Stoff; Sammt, Seide, Maroquin wechseln ab; das Vergilbte und Verschossene kleidet ihnen gut; die Goldverzierun- gen sind schön erhalten; einzelne (die Lieblingsmappen) tragen
Impromptu. Hier feierte er ſeine größten Triumphe. Das geſchickte Operiren mit einem Reim-Einfall, einem epigramma- tiſch zugeſpitzten Calembourg, verſtand er beſſer als einer. Er war kein Dichter, aber man hätte ihn „Wilhelm den Reimer“ nennen können. Eine Sammlung dieſer „geflügelten Worte,“ wenn es möglich wäre, eine ſolche noch nachträglich zu veran- ſtalten, würde ein Witz- und Anekdotenbuch, zugleich eine Per- ſonen- und Charakterſchilderung aus dem zweiten Viertel dieſes Jahrhunderts ſein. Eine Auswahl zu treffen iſt ſchwer.
Von geſellſchaftlicher Bedeutung, ja von geſellſchaft- lichem Fundament war auch die Art wie er die Kunſt übte, zumal wenn wir von der Epoche abſehen, wo er noch unmittelbar unter dem Einfluß Italiens und der großen Meiſter ſtand. Was er in der Geſellſchaft und für die Geſellſchaft ſchuf, das wird unter allem, was er geſchaffen, das Dauerndſte bleiben, nicht weil es an künſtleriſcher Kraft ſich über anderes erhöbe, ſondern lediglich deshalb weil Situation und geſell- ſchaftlicher Charakter des Mannes eben dieſen Arbeiten einen aparten Stempel aufdrückten.
Die Arbeiten Henſel’s, die wir hierbei im Sinne haben, ſind ſeine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entſtan- denen Portraits, die eine in ihrer Art berühmte Sammlung bilden. Wir gehen zum Schluß unſerer Arbeit näher darauf ein.
Dieſe Sammlung, in Händen ſeines Sohnes befindlich, beſteht aus 47 Jahres-Mappen, die in einem alten Schildpat- oder Boule-Schranke aufbewahrt werden und die ganze obere Hälfte deſſelben füllen. Schon die bloßen Mappen-Deckel bil- den eine Sehenswürdigkeit. Bekanntlich gab es in früheren Jahrhunderten, weit über das hinaus was jetzt geleiſtet wird, auch eine Buchbinde-Kunſt, und ſolcher untergegangenen Kunſt- Epoche ſcheinen dieſe Mappen, von denen übrigens keine älter iſt als 50 Jahr, anzugehören. Sie ſind alle verſchieden, in Farbe wie Stoff; Sammt, Seide, Maroquin wechſeln ab; das Vergilbte und Verſchoſſene kleidet ihnen gut; die Goldverzierun- gen ſind ſchön erhalten; einzelne (die Lieblingsmappen) tragen
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Impromptu. Hier feierte er ſeine größten Triumphe. Das
geſchickte Operiren mit einem Reim-Einfall, einem epigramma-
tiſch zugeſpitzten Calembourg, verſtand er beſſer als einer. Er
war kein Dichter, aber man hätte ihn „Wilhelm den Reimer“
nennen können. Eine Sammlung dieſer „geflügelten Worte,“
wenn es möglich wäre, eine ſolche noch nachträglich zu veran-
ſtalten, würde ein Witz- und Anekdotenbuch, zugleich eine Per-
ſonen- und Charakterſchilderung aus dem zweiten Viertel dieſes
Jahrhunderts ſein. Eine Auswahl zu treffen iſt ſchwer.
Von geſellſchaftlicher Bedeutung, ja von geſellſchaft-
lichem Fundament war auch die Art wie er die Kunſt
übte, zumal wenn wir von der Epoche abſehen, wo er noch
unmittelbar unter dem Einfluß Italiens und der großen Meiſter
ſtand. Was er in der Geſellſchaft und für die Geſellſchaft
ſchuf, das wird unter allem, was er geſchaffen, das Dauerndſte
bleiben, nicht weil es an künſtleriſcher Kraft ſich über anderes
erhöbe, ſondern lediglich deshalb weil Situation und geſell-
ſchaftlicher Charakter des Mannes eben dieſen Arbeiten einen
aparten Stempel aufdrückten.
Die Arbeiten Henſel’s, die wir hierbei im Sinne haben,
ſind ſeine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entſtan-
denen Portraits, die eine in ihrer Art berühmte Sammlung
bilden. Wir gehen zum Schluß unſerer Arbeit näher darauf ein.
Dieſe Sammlung, in Händen ſeines Sohnes befindlich,
beſteht aus 47 Jahres-Mappen, die in einem alten Schildpat-
oder Boule-Schranke aufbewahrt werden und die ganze obere
Hälfte deſſelben füllen. Schon die bloßen Mappen-Deckel bil-
den eine Sehenswürdigkeit. Bekanntlich gab es in früheren
Jahrhunderten, weit über das hinaus was jetzt geleiſtet wird,
auch eine Buchbinde-Kunſt, und ſolcher untergegangenen Kunſt-
Epoche ſcheinen dieſe Mappen, von denen übrigens keine älter
iſt als 50 Jahr, anzugehören. Sie ſind alle verſchieden, in
Farbe wie Stoff; Sammt, Seide, Maroquin wechſeln ab; das
Vergilbte und Verſchoſſene kleidet ihnen gut; die Goldverzierun-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/411>, abgerufen am 24.11.2024.
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