Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

liche und geistige Thätigkeit so wenig aus, daß im Jahre 1751
bereits zwei starke Bände "Evangelische Psalmen" vorlagen,
die Zeugniß ablegten von dem schöpferischen Drang des jungen
Geistlichen. Sie waren, beinah 200 an der Zahl, mit weni-
gen Ausnahmen ein Product der letzten drei Jahre. Ueber
die Art, wie sie entstanden, über seine Dichtungsweise über-
haupt, lassen wir ihn selber sprechen:

"Was den Ursprung dieser Lieder betrifft, so kann ich
wohl mit Wahrheit sagen: ich habe sie von dem Herrn
empfangen
. Sonst würde ich auch in meinem Gewissen keine
Freiheit haben sie drucken zu lassen ... Gott hat mir von
Natur eine Neigung zur Poesie gegeben. Schon in meiner
Kindheit fing ich an Verse zu machen. Aber erst als ich des
seligen Lehr und nach einiger Zeit auch des seligen Lau
Leben und letzte Stunden in die Hände bekam, ging etwas in
mir vor. Von dieser Zeit an ist der Trieb, dem Herrn Lieder
zu dichten, in mir recht aufgewachet. Ja er ist von Zeit
zu Zeit immer stärker worden, daß er sich auch besonders in
meinem Amte, da ihn die ohnedem überhäuften Geschäfte hätten
ersticken mögen, so vermehret hat, daß ich oft selbst nicht gewußt,
wie es zugegangen. Ich kann nichts anders sagen, als daß
ich's für eine augenscheinliche Erhöhung meines Gebets
ansehn muß.

"Oft habe ich an nichts weniger gedacht, als Verse zu
machen. Aber es fiel mir plötzlich ins Gemüth, und regte sich
ein Trieb, daß ich die Feder ergreifen mußte. Ein andermal
hatte ich keine Lust; aber es war, als müßte ich wider Willen
schreiben. Zuweilen war ich von vieler Arbeit ganz entkräftet,
allein es wurde mir eine Materie so lebendig und floß so unge-
zwungen und ohne Mühe in die Feder, daß es schien, ich könnte
das Schreiben nicht lassen. Ja ich muß gestehen, daß mir's
oft wie ein Brand im Herzen gewesen, und mehrmalen mußte
ich mich mit Gewalt zurückziehen, damit ich mich nicht über-
nähme oder meine Natur zu sehr schwächete. Wollte ich zu-
weilen 3 Verse schreiben, so wurden gleich 12, 15 oder gar

liche und geiſtige Thätigkeit ſo wenig aus, daß im Jahre 1751
bereits zwei ſtarke Bände „Evangeliſche Pſalmen“ vorlagen,
die Zeugniß ablegten von dem ſchöpferiſchen Drang des jungen
Geiſtlichen. Sie waren, beinah 200 an der Zahl, mit weni-
gen Ausnahmen ein Product der letzten drei Jahre. Ueber
die Art, wie ſie entſtanden, über ſeine Dichtungsweiſe über-
haupt, laſſen wir ihn ſelber ſprechen:

„Was den Urſprung dieſer Lieder betrifft, ſo kann ich
wohl mit Wahrheit ſagen: ich habe ſie von dem Herrn
empfangen
. Sonſt würde ich auch in meinem Gewiſſen keine
Freiheit haben ſie drucken zu laſſen … Gott hat mir von
Natur eine Neigung zur Poeſie gegeben. Schon in meiner
Kindheit fing ich an Verſe zu machen. Aber erſt als ich des
ſeligen Lehr und nach einiger Zeit auch des ſeligen Lau
Leben und letzte Stunden in die Hände bekam, ging etwas in
mir vor. Von dieſer Zeit an iſt der Trieb, dem Herrn Lieder
zu dichten, in mir recht aufgewachet. Ja er iſt von Zeit
zu Zeit immer ſtärker worden, daß er ſich auch beſonders in
meinem Amte, da ihn die ohnedem überhäuften Geſchäfte hätten
erſticken mögen, ſo vermehret hat, daß ich oft ſelbſt nicht gewußt,
wie es zugegangen. Ich kann nichts anders ſagen, als daß
ich’s für eine augenſcheinliche Erhöhung meines Gebets
anſehn muß.

„Oft habe ich an nichts weniger gedacht, als Verſe zu
machen. Aber es fiel mir plötzlich ins Gemüth, und regte ſich
ein Trieb, daß ich die Feder ergreifen mußte. Ein andermal
hatte ich keine Luſt; aber es war, als müßte ich wider Willen
ſchreiben. Zuweilen war ich von vieler Arbeit ganz entkräftet,
allein es wurde mir eine Materie ſo lebendig und floß ſo unge-
zwungen und ohne Mühe in die Feder, daß es ſchien, ich könnte
das Schreiben nicht laſſen. Ja ich muß geſtehen, daß mir’s
oft wie ein Brand im Herzen geweſen, und mehrmalen mußte
ich mich mit Gewalt zurückziehen, damit ich mich nicht über-
nähme oder meine Natur zu ſehr ſchwächete. Wollte ich zu-
weilen 3 Verſe ſchreiben, ſo wurden gleich 12, 15 oder gar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0442" n="424"/>
liche und gei&#x017F;tige Thätigkeit &#x017F;o wenig aus, daß im Jahre 1751<lb/>
bereits zwei &#x017F;tarke Bände &#x201E;Evangeli&#x017F;che P&#x017F;almen&#x201C; vorlagen,<lb/>
die Zeugniß ablegten von dem &#x017F;chöpferi&#x017F;chen Drang des jungen<lb/>
Gei&#x017F;tlichen. Sie waren, beinah 200 an der Zahl, mit weni-<lb/>
gen Ausnahmen ein Product der letzten drei Jahre. Ueber<lb/>
die Art, wie &#x017F;ie ent&#x017F;tanden, über &#x017F;eine Dichtungswei&#x017F;e über-<lb/>
haupt, la&#x017F;&#x017F;en wir ihn &#x017F;elber &#x017F;prechen:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Was den Ur&#x017F;prung die&#x017F;er Lieder betrifft, &#x017F;o kann ich<lb/>
wohl mit Wahrheit &#x017F;agen: <hi rendition="#g">ich habe &#x017F;ie von dem Herrn<lb/>
empfangen</hi>. Son&#x017F;t würde ich auch in meinem Gewi&#x017F;&#x017F;en keine<lb/>
Freiheit haben &#x017F;ie drucken zu la&#x017F;&#x017F;en &#x2026; Gott hat mir von<lb/>
Natur eine Neigung zur Poe&#x017F;ie gegeben. Schon in meiner<lb/>
Kindheit fing ich an Ver&#x017F;e zu machen. Aber er&#x017F;t als ich des<lb/>
&#x017F;eligen <hi rendition="#g">Lehr</hi> und nach einiger Zeit auch des &#x017F;eligen <hi rendition="#g">Lau</hi><lb/>
Leben und letzte Stunden in die Hände bekam, ging etwas in<lb/>
mir vor. Von die&#x017F;er Zeit an i&#x017F;t der Trieb, dem Herrn Lieder<lb/>
zu dichten, in mir recht <hi rendition="#g">aufgewachet</hi>. Ja er i&#x017F;t von Zeit<lb/>
zu Zeit immer &#x017F;tärker worden, daß er &#x017F;ich auch be&#x017F;onders in<lb/>
meinem Amte, da ihn die ohnedem überhäuften Ge&#x017F;chäfte hätten<lb/>
er&#x017F;ticken mögen, &#x017F;o vermehret hat, daß ich oft &#x017F;elb&#x017F;t nicht gewußt,<lb/>
wie es zugegangen. Ich kann nichts anders &#x017F;agen, als daß<lb/>
ich&#x2019;s für eine augen&#x017F;cheinliche <hi rendition="#g">Erhöhung meines Gebets</hi><lb/>
an&#x017F;ehn muß.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Oft habe ich an nichts weniger gedacht, als Ver&#x017F;e zu<lb/>
machen. Aber es fiel mir plötzlich ins Gemüth, und regte &#x017F;ich<lb/>
ein Trieb, daß ich die Feder ergreifen mußte. Ein andermal<lb/>
hatte ich keine Lu&#x017F;t; aber es war, als müßte ich wider Willen<lb/>
&#x017F;chreiben. Zuweilen war ich von vieler Arbeit ganz entkräftet,<lb/>
allein es wurde mir eine Materie &#x017F;o lebendig und floß &#x017F;o unge-<lb/>
zwungen und ohne Mühe in die Feder, daß es &#x017F;chien, ich könnte<lb/>
das Schreiben nicht la&#x017F;&#x017F;en. Ja ich muß ge&#x017F;tehen, daß mir&#x2019;s<lb/>
oft wie ein Brand im Herzen gewe&#x017F;en, und mehrmalen mußte<lb/>
ich mich mit Gewalt zurückziehen, damit ich mich nicht über-<lb/>
nähme oder meine Natur zu &#x017F;ehr &#x017F;chwächete. Wollte ich zu-<lb/>
weilen 3 Ver&#x017F;e &#x017F;chreiben, &#x017F;o wurden gleich 12, 15 oder gar<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0442] liche und geiſtige Thätigkeit ſo wenig aus, daß im Jahre 1751 bereits zwei ſtarke Bände „Evangeliſche Pſalmen“ vorlagen, die Zeugniß ablegten von dem ſchöpferiſchen Drang des jungen Geiſtlichen. Sie waren, beinah 200 an der Zahl, mit weni- gen Ausnahmen ein Product der letzten drei Jahre. Ueber die Art, wie ſie entſtanden, über ſeine Dichtungsweiſe über- haupt, laſſen wir ihn ſelber ſprechen: „Was den Urſprung dieſer Lieder betrifft, ſo kann ich wohl mit Wahrheit ſagen: ich habe ſie von dem Herrn empfangen. Sonſt würde ich auch in meinem Gewiſſen keine Freiheit haben ſie drucken zu laſſen … Gott hat mir von Natur eine Neigung zur Poeſie gegeben. Schon in meiner Kindheit fing ich an Verſe zu machen. Aber erſt als ich des ſeligen Lehr und nach einiger Zeit auch des ſeligen Lau Leben und letzte Stunden in die Hände bekam, ging etwas in mir vor. Von dieſer Zeit an iſt der Trieb, dem Herrn Lieder zu dichten, in mir recht aufgewachet. Ja er iſt von Zeit zu Zeit immer ſtärker worden, daß er ſich auch beſonders in meinem Amte, da ihn die ohnedem überhäuften Geſchäfte hätten erſticken mögen, ſo vermehret hat, daß ich oft ſelbſt nicht gewußt, wie es zugegangen. Ich kann nichts anders ſagen, als daß ich’s für eine augenſcheinliche Erhöhung meines Gebets anſehn muß. „Oft habe ich an nichts weniger gedacht, als Verſe zu machen. Aber es fiel mir plötzlich ins Gemüth, und regte ſich ein Trieb, daß ich die Feder ergreifen mußte. Ein andermal hatte ich keine Luſt; aber es war, als müßte ich wider Willen ſchreiben. Zuweilen war ich von vieler Arbeit ganz entkräftet, allein es wurde mir eine Materie ſo lebendig und floß ſo unge- zwungen und ohne Mühe in die Feder, daß es ſchien, ich könnte das Schreiben nicht laſſen. Ja ich muß geſtehen, daß mir’s oft wie ein Brand im Herzen geweſen, und mehrmalen mußte ich mich mit Gewalt zurückziehen, damit ich mich nicht über- nähme oder meine Natur zu ſehr ſchwächete. Wollte ich zu- weilen 3 Verſe ſchreiben, ſo wurden gleich 12, 15 oder gar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/442
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/442>, abgerufen am 24.11.2024.