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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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wittweten Königlichen Frau Mutter aber wieder losgegeben worden;
hernach auf recommendation höchst derselben in seinen jetzigen posten
gekommen, der immer jährlich bis 600 Thlr. und darüber einträgt,
aber auch mit vieler Arbeit verknüpft ist. Er ist ein ansehnlicher
Mann. Schade daß er nicht fromm ist. Wenn sein natürliches Ehr-
gefühl und hospitalitas geheiliget wäre, würde er nutzbar und ange-
nehm seyn. Er dünkt sich ein starker Wolffianer zu seyn. Da ihm
aber auf die Zähne fühlte mit einem Paar dubiis, so sahe wohl, daß
er etwas, aber nicht viel von der Philosophie wußte.

Hätte sein Weib Anleitung zur Gottseligkeit, sie würde Gott sehr
treu seyn, da sie bey einem natürlichen Wesen so sehr viel artiges und
gutes an sich finden lässet. Der Herr helfe ihr, und sey gelobt, daß
er meine Seele nicht ohne Gnade in dieser Wüste gelassen.

Den 22. Febr. war Ruhetag, doch nicht für mich; denn ich reisete
mit meinem Hrn. hospite und hospita, ich zu Pferde und sie im Wagen,
nach Drentzig zum Hrn. Büttner Past. 1., weil er uns invitirte. Die-
ses Dorf liegt nach Frankfurt zu 1/2 Meile von Reppen. Wir trafen daselbst
den Amtmann von Neuendorf Hrn. Baier, der Hrn. Büttner die Kirchen-
Rechnung abnahm. Meine Seele fand daselbst keine Ruhe und gefiel mir
nichts, als daß Herr Büttner zu einem weggehenden Kirchen-Vater sagte:
fürchtet Gott und betet fleißig. Gott lehre es euch recht!

Sternberg. Den 23. ging der Marsch nach Sternberg, einem
etwas kleinern und geringern Ort als Reppen, und umliegende Dörfer.
Ich sprach unterwegs zu Botscho beym Prediger Hrn. Pirscher ein, weil
ich einen Brief von Hrn. Klewer an ihn zu bestellen bekommen. Dieser,
ein ehrlicher, und wo nicht wahrhaft frommer, doch vom Reich Gottes
nicht weit entfernter Mann, gab mir, meinen Leuten und Pferden zu
essen und Futter und bewieß sich sonst in allen Stücken cordat. Er
dimittirte mich mit vieler tendresse und Freundschaftsbezeugung, und
ich kam in Sternberg um 4 Uhr an, da ich des Morgens 3/4 auf 10 Uhr
aus Reppen gereiset. Mein Quartier daselbst ward mir angewiesen
bey dem Prediger Herrn Landvoigt, einem Manne der den Schein
eines gottseligen Wesens, oder wenn dieses nicht, doch den Namen
davon haben wollte: aber nichts von der Kraft der Gottseligkeit an sich
hatte. Indes that er mir und den meinigen Gutes.

Das Land Sternberg heißt das Knödel-Land, weil viel Knödel-
Bäume*) auf dem Felde sowie bey mir die Eichbäume stehen. Und
ist der Adel darin gleichsam gesäet. Allein in dem kleinen Flecken sollen
nach Aussage des Herrn Landvoigts an die 60 adeliche Personen seyn.
Zum Spaß, sagte mir Hr. Klewer zu Reppen nach seinem aufgeweckten
Naturell, hat man daselbst das Sprüchwort: "die Adelichen wären

*) wilde Obstbäume.
Fontane, Wanderungen. III. 29

wittweten Königlichen Frau Mutter aber wieder losgegeben worden;
hernach auf recommendation höchſt derſelben in ſeinen jetzigen posten
gekommen, der immer jährlich bis 600 Thlr. und darüber einträgt,
aber auch mit vieler Arbeit verknüpft iſt. Er iſt ein anſehnlicher
Mann. Schade daß er nicht fromm iſt. Wenn ſein natürliches Ehr-
gefühl und hospitalitas geheiliget wäre, würde er nutzbar und ange-
nehm ſeyn. Er dünkt ſich ein ſtarker Wolffianer zu ſeyn. Da ihm
aber auf die Zähne fühlte mit einem Paar dubiis, ſo ſahe wohl, daß
er etwas, aber nicht viel von der Philosophie wußte.

Hätte ſein Weib Anleitung zur Gottſeligkeit, ſie würde Gott ſehr
treu ſeyn, da ſie bey einem natürlichen Weſen ſo ſehr viel artiges und
gutes an ſich finden läſſet. Der Herr helfe ihr, und ſey gelobt, daß
er meine Seele nicht ohne Gnade in dieſer Wüſte gelaſſen.

Den 22. Febr. war Ruhetag, doch nicht für mich; denn ich reiſete
mit meinem Hrn. hospite und hospita, ich zu Pferde und ſie im Wagen,
nach Drentzig zum Hrn. Büttner Past. 1., weil er uns invitirte. Die-
ſes Dorf liegt nach Frankfurt zu ½ Meile von Reppen. Wir trafen daſelbſt
den Amtmann von Neuendorf Hrn. Baier, der Hrn. Büttner die Kirchen-
Rechnung abnahm. Meine Seele fand daſelbſt keine Ruhe und gefiel mir
nichts, als daß Herr Büttner zu einem weggehenden Kirchen-Vater ſagte:
fürchtet Gott und betet fleißig. Gott lehre es euch recht!

Sternberg. Den 23. ging der Marſch nach Sternberg, einem
etwas kleinern und geringern Ort als Reppen, und umliegende Dörfer.
Ich ſprach unterwegs zu Botſcho beym Prediger Hrn. Pirſcher ein, weil
ich einen Brief von Hrn. Klewer an ihn zu beſtellen bekommen. Dieſer,
ein ehrlicher, und wo nicht wahrhaft frommer, doch vom Reich Gottes
nicht weit entfernter Mann, gab mir, meinen Leuten und Pferden zu
eſſen und Futter und bewieß ſich ſonſt in allen Stücken cordat. Er
dimittirte mich mit vieler tendresse und Freundſchaftsbezeugung, und
ich kam in Sternberg um 4 Uhr an, da ich des Morgens ¾ auf 10 Uhr
aus Reppen gereiſet. Mein Quartier daſelbſt ward mir angewieſen
bey dem Prediger Herrn Landvoigt, einem Manne der den Schein
eines gottſeligen Weſens, oder wenn dieſes nicht, doch den Namen
davon haben wollte: aber nichts von der Kraft der Gottſeligkeit an ſich
hatte. Indes that er mir und den meinigen Gutes.

Das Land Sternberg heißt das Knödel-Land, weil viel Knödel-
Bäume*) auf dem Felde ſowie bey mir die Eichbäume ſtehen. Und
iſt der Adel darin gleichſam geſäet. Allein in dem kleinen Flecken ſollen
nach Ausſage des Herrn Landvoigts an die 60 adeliche Perſonen ſeyn.
Zum Spaß, ſagte mir Hr. Klewer zu Reppen nach ſeinem aufgeweckten
Naturell, hat man daſelbſt das Sprüchwort: „die Adelichen wären

*) wilde Obſtbäume.
Fontane, Wanderungen. III. 29
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[449/0467] wittweten Königlichen Frau Mutter aber wieder losgegeben worden; hernach auf recommendation höchſt derſelben in ſeinen jetzigen posten gekommen, der immer jährlich bis 600 Thlr. und darüber einträgt, aber auch mit vieler Arbeit verknüpft iſt. Er iſt ein anſehnlicher Mann. Schade daß er nicht fromm iſt. Wenn ſein natürliches Ehr- gefühl und hospitalitas geheiliget wäre, würde er nutzbar und ange- nehm ſeyn. Er dünkt ſich ein ſtarker Wolffianer zu ſeyn. Da ihm aber auf die Zähne fühlte mit einem Paar dubiis, ſo ſahe wohl, daß er etwas, aber nicht viel von der Philosophie wußte. Hätte ſein Weib Anleitung zur Gottſeligkeit, ſie würde Gott ſehr treu ſeyn, da ſie bey einem natürlichen Weſen ſo ſehr viel artiges und gutes an ſich finden läſſet. Der Herr helfe ihr, und ſey gelobt, daß er meine Seele nicht ohne Gnade in dieſer Wüſte gelaſſen. Den 22. Febr. war Ruhetag, doch nicht für mich; denn ich reiſete mit meinem Hrn. hospite und hospita, ich zu Pferde und ſie im Wagen, nach Drentzig zum Hrn. Büttner Past. 1., weil er uns invitirte. Die- ſes Dorf liegt nach Frankfurt zu ½ Meile von Reppen. Wir trafen daſelbſt den Amtmann von Neuendorf Hrn. Baier, der Hrn. Büttner die Kirchen- Rechnung abnahm. Meine Seele fand daſelbſt keine Ruhe und gefiel mir nichts, als daß Herr Büttner zu einem weggehenden Kirchen-Vater ſagte: fürchtet Gott und betet fleißig. Gott lehre es euch recht! Sternberg. Den 23. ging der Marſch nach Sternberg, einem etwas kleinern und geringern Ort als Reppen, und umliegende Dörfer. Ich ſprach unterwegs zu Botſcho beym Prediger Hrn. Pirſcher ein, weil ich einen Brief von Hrn. Klewer an ihn zu beſtellen bekommen. Dieſer, ein ehrlicher, und wo nicht wahrhaft frommer, doch vom Reich Gottes nicht weit entfernter Mann, gab mir, meinen Leuten und Pferden zu eſſen und Futter und bewieß ſich ſonſt in allen Stücken cordat. Er dimittirte mich mit vieler tendresse und Freundſchaftsbezeugung, und ich kam in Sternberg um 4 Uhr an, da ich des Morgens ¾ auf 10 Uhr aus Reppen gereiſet. Mein Quartier daſelbſt ward mir angewieſen bey dem Prediger Herrn Landvoigt, einem Manne der den Schein eines gottſeligen Weſens, oder wenn dieſes nicht, doch den Namen davon haben wollte: aber nichts von der Kraft der Gottſeligkeit an ſich hatte. Indes that er mir und den meinigen Gutes. Das Land Sternberg heißt das Knödel-Land, weil viel Knödel- Bäume *) auf dem Felde ſowie bey mir die Eichbäume ſtehen. Und iſt der Adel darin gleichſam geſäet. Allein in dem kleinen Flecken ſollen nach Ausſage des Herrn Landvoigts an die 60 adeliche Perſonen ſeyn. Zum Spaß, ſagte mir Hr. Klewer zu Reppen nach ſeinem aufgeweckten Naturell, hat man daſelbſt das Sprüchwort: „die Adelichen wären *) wilde Obſtbäume. Fontane, Wanderungen. III. 29

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Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/467>, abgerufen am 25.11.2024.