braucht 20 Schritt ihn zu umschreiten. Sein Holzinhalt wird auf 25 Klafter und sein Alter auf 1000 Jahre berechnet. Bis vor Kurzem lebte er noch; seit etwa drei Jahren indeß ist er völlig todt, nirgends ein grünes Blatt, die Rinde halb abge- fallen. Aber noch im Tode ist er gesund. Alles Kernholz. Die Forstleute sagen: er steht noch 100 Jahr. Dem wird Jeder zustimmen, der die "Königseiche" sieht. Auf einen Laien macht sie den Eindruck, als halte sie nur einen langen Winterschlaf, als brauche sie dazu mehr Zeit als junge Bäume und müsse deshalb ein paar Sommer überschlagen, aber als sei ihr Erwa- chen unter allen Umständen gewiß und als würd' es binnen Kurzem im ganzen Brieselang heißen: sie lebt wieder.
Eine Welt von Gethier bewohnt die alte Eiche. Der Bockkäfer in wahren Riesenexemplaren hat sich zu Hunderten darin eingenistet; am ersten großen Ast schwärmen Waldbienen um ihren Stock, und im kahlen Geäst, höher hinauf, haben zahllose Spechte ihre Nestlöcher.
In den Tagen sich regenden deutschen Geistes, in den Tagen Jahn's und der Turnerei, wurde die Eiche Wanderziel und Symbol. Dies war ihre historische Zeit. Damals verei- nigte man sich hier, gelobte sich Treue und Ausharren und befestigte in Mittelhöhe des Stammes die Inschrifttafel, die bis diese Stunde dem Baum erhalten worden ist. Die Inschrift selbst aber, die um des Kaisergedankens willen, den sie ausspricht, in diesem Augenblicke wieder ein besonderes Interesse gewährt, ist die folgende:
Sinnbild alter deutscher Treue, Das des Reiches Glanz gesehn, Eiche, hehre, stolze, freie, Sieh, Dein Volk wird auferstehn. Brüder, alle die da wallen, Her zn diesem heilgen Baum, Laßt ein deutsches Lied erschallen Auf dem altgeweihten Raum: Wie in Sturmeswehn die Eiche Stehet fest bei Treu und Recht;
braucht 20 Schritt ihn zu umſchreiten. Sein Holzinhalt wird auf 25 Klafter und ſein Alter auf 1000 Jahre berechnet. Bis vor Kurzem lebte er noch; ſeit etwa drei Jahren indeß iſt er völlig todt, nirgends ein grünes Blatt, die Rinde halb abge- fallen. Aber noch im Tode iſt er geſund. Alles Kernholz. Die Forſtleute ſagen: er ſteht noch 100 Jahr. Dem wird Jeder zuſtimmen, der die „Königseiche“ ſieht. Auf einen Laien macht ſie den Eindruck, als halte ſie nur einen langen Winterſchlaf, als brauche ſie dazu mehr Zeit als junge Bäume und müſſe deshalb ein paar Sommer überſchlagen, aber als ſei ihr Erwa- chen unter allen Umſtänden gewiß und als würd’ es binnen Kurzem im ganzen Brieſelang heißen: ſie lebt wieder.
Eine Welt von Gethier bewohnt die alte Eiche. Der Bockkäfer in wahren Rieſenexemplaren hat ſich zu Hunderten darin eingeniſtet; am erſten großen Aſt ſchwärmen Waldbienen um ihren Stock, und im kahlen Geäſt, höher hinauf, haben zahlloſe Spechte ihre Neſtlöcher.
In den Tagen ſich regenden deutſchen Geiſtes, in den Tagen Jahn’s und der Turnerei, wurde die Eiche Wanderziel und Symbol. Dies war ihre hiſtoriſche Zeit. Damals verei- nigte man ſich hier, gelobte ſich Treue und Ausharren und befeſtigte in Mittelhöhe des Stammes die Inſchrifttafel, die bis dieſe Stunde dem Baum erhalten worden iſt. Die Inſchrift ſelbſt aber, die um des Kaiſergedankens willen, den ſie ausſpricht, in dieſem Augenblicke wieder ein beſonderes Intereſſe gewährt, iſt die folgende:
Sinnbild alter deutſcher Treue, Das des Reiches Glanz geſehn, Eiche, hehre, ſtolze, freie, Sieh, Dein Volk wird auferſtehn. Brüder, alle die da wallen, Her zn dieſem heilgen Baum, Laßt ein deutſches Lied erſchallen Auf dem altgeweihten Raum: Wie in Sturmeswehn die Eiche Stehet feſt bei Treu und Recht;
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braucht 20 Schritt ihn zu umſchreiten. Sein Holzinhalt wird
auf 25 Klafter und ſein Alter auf 1000 Jahre berechnet. Bis
vor Kurzem lebte er noch; ſeit etwa drei Jahren indeß iſt er
völlig todt, nirgends ein grünes Blatt, die Rinde halb abge-
fallen. Aber noch im Tode iſt er geſund. Alles Kernholz.
Die Forſtleute ſagen: er ſteht noch 100 Jahr. Dem wird Jeder
zuſtimmen, der die „Königseiche“ ſieht. Auf einen Laien macht
ſie den Eindruck, als halte ſie nur einen langen Winterſchlaf,
als brauche ſie dazu mehr Zeit als junge Bäume und müſſe
deshalb ein paar Sommer überſchlagen, aber als ſei ihr Erwa-
chen unter allen Umſtänden gewiß und als würd’ es binnen
Kurzem im ganzen Brieſelang heißen: ſie lebt wieder.
Eine Welt von Gethier bewohnt die alte Eiche. Der
Bockkäfer in wahren Rieſenexemplaren hat ſich zu Hunderten
darin eingeniſtet; am erſten großen Aſt ſchwärmen Waldbienen
um ihren Stock, und im kahlen Geäſt, höher hinauf, haben
zahlloſe Spechte ihre Neſtlöcher.
In den Tagen ſich regenden deutſchen Geiſtes, in den
Tagen Jahn’s und der Turnerei, wurde die Eiche Wanderziel
und Symbol. Dies war ihre hiſtoriſche Zeit. Damals verei-
nigte man ſich hier, gelobte ſich Treue und Ausharren und
befeſtigte in Mittelhöhe des Stammes die Inſchrifttafel, die bis
dieſe Stunde dem Baum erhalten worden iſt. Die Inſchrift
ſelbſt aber, die um des Kaiſergedankens willen, den ſie
ausſpricht, in dieſem Augenblicke wieder ein beſonderes Intereſſe
gewährt, iſt die folgende:
Sinnbild alter deutſcher Treue,
Das des Reiches Glanz geſehn,
Eiche, hehre, ſtolze, freie,
Sieh, Dein Volk wird auferſtehn.
Brüder, alle die da wallen,
Her zn dieſem heilgen Baum,
Laßt ein deutſches Lied erſchallen
Auf dem altgeweihten Raum:
Wie in Sturmeswehn die Eiche
Stehet feſt bei Treu und Recht;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/70>, abgerufen am 09.11.2024.
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