Einend schirme alle Zweige Einer Krone Laubgeflecht.*)
Außer diesen Turnerfahrten scheint die Eiche, vorher und nachher, nicht allzu viel gesehen und erlebt zu haben. Sie lebte wie so mancher Alte, still und abgeschieden. Ein beständiges Gleichmaß in beständigem Wechsel. Auf Sommerdürre folgten die Stürme, dann fiel Schnee, dann war Alles Sumpf und Bruch, dann wieder Sommerdürre; -- so kamen die Jahre, so gingen sie. Nichts geschah. Es giebt Hollunderbäume in Pfarrgärten, die in 50 Jahren mehr gesehen haben, als die große Eiche in 500. Nur die letzten Jahrzehnte schufen einen Wandel: Landpartien und Berliner kamen.
Es handelte sich jetzt für uns darum, ihr ein besondere Zeichen unserer Huldigung zu geben. Ein dreimaliges Hurrah erschien uns für unsere civilen Verhältnisse theils zu prätensiös, theils unausreichend. Aus dieser Verlegenheit indeß sollten wir alsbald gerissen werden; -- unser Reisegefährte hatte alles bereits sinnig erwogen. Er nahm seine umsponnene Flasche, füllte ein Glas mit rothgoldenem Cap Constantia-Wein, trat vor und sprach: "Eiche, tausendjährige, sei uns gegrüßt! Hier hat der Wende gelagert und der Berliner, und allerlei Wein, fränkischer und deutscher, nicht minder die "gebrannten Wässer" beider Indien, Jamaica's und Goa's, sind Dir zu Ehren an dieser
*) Diese Verse, wie ich nachträglich erfahre, rühren nicht aus der Jahn'schen Zeit her, sondern sind erst, vor kaum zehn Jahren, nieder- geschrieben und an der Brieselang-Eiche befestigt worden. Das geschah an einem heißen August-Nachmittage 1862 durch zwei Mitglieder des kurz zuvor gegründeten Nauener Turnvereins. Der eine dieser beiden Turner hatte die Verse verfaßt, der andere die technische Niederschrift geliefert. Beide Turner blieben seitdem vereint; sie dienten in demselben Truppentheil (der Garde); sie fochten am 3. Juli bei Königgrätz; und abermals an einem heißen Augusttage, heißer als jener Wandertag, der sie 8 Jahre vorher zur Königs-Eiche geführt hatte, stürmten sie ge- meinschaftlich gegen St. Privat. Beide fielen schwerverwundet, der eine durch den Schenkel, der andere durch die Brust geschossen; beide sind genesen.
Einend ſchirme alle Zweige Einer Krone Laubgeflecht.*)
Außer dieſen Turnerfahrten ſcheint die Eiche, vorher und nachher, nicht allzu viel geſehen und erlebt zu haben. Sie lebte wie ſo mancher Alte, ſtill und abgeſchieden. Ein beſtändiges Gleichmaß in beſtändigem Wechſel. Auf Sommerdürre folgten die Stürme, dann fiel Schnee, dann war Alles Sumpf und Bruch, dann wieder Sommerdürre; — ſo kamen die Jahre, ſo gingen ſie. Nichts geſchah. Es giebt Hollunderbäume in Pfarrgärten, die in 50 Jahren mehr geſehen haben, als die große Eiche in 500. Nur die letzten Jahrzehnte ſchufen einen Wandel: Landpartien und Berliner kamen.
Es handelte ſich jetzt für uns darum, ihr ein beſondere Zeichen unſerer Huldigung zu geben. Ein dreimaliges Hurrah erſchien uns für unſere civilen Verhältniſſe theils zu prätenſiös, theils unausreichend. Aus dieſer Verlegenheit indeß ſollten wir alsbald geriſſen werden; — unſer Reiſegefährte hatte alles bereits ſinnig erwogen. Er nahm ſeine umſponnene Flaſche, füllte ein Glas mit rothgoldenem Cap Conſtantia-Wein, trat vor und ſprach: „Eiche, tauſendjährige, ſei uns gegrüßt! Hier hat der Wende gelagert und der Berliner, und allerlei Wein, fränkiſcher und deutſcher, nicht minder die „gebrannten Wäſſer“ beider Indien, Jamaica’s und Goa’s, ſind Dir zu Ehren an dieſer
*) Dieſe Verſe, wie ich nachträglich erfahre, rühren nicht aus der Jahn’ſchen Zeit her, ſondern ſind erſt, vor kaum zehn Jahren, nieder- geſchrieben und an der Brieſelang-Eiche befeſtigt worden. Das geſchah an einem heißen Auguſt-Nachmittage 1862 durch zwei Mitglieder des kurz zuvor gegründeten Nauener Turnvereins. Der eine dieſer beiden Turner hatte die Verſe verfaßt, der andere die techniſche Niederſchrift geliefert. Beide Turner blieben ſeitdem vereint; ſie dienten in demſelben Truppentheil (der Garde); ſie fochten am 3. Juli bei Königgrätz; und abermals an einem heißen Auguſttage, heißer als jener Wandertag, der ſie 8 Jahre vorher zur Königs-Eiche geführt hatte, ſtürmten ſie ge- meinſchaftlich gegen St. Privat. Beide fielen ſchwerverwundet, der eine durch den Schenkel, der andere durch die Bruſt geſchoſſen; beide ſind geneſen.
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Einend ſchirme alle Zweige
Einer Krone Laubgeflecht. *)
Außer dieſen Turnerfahrten ſcheint die Eiche, vorher und
nachher, nicht allzu viel geſehen und erlebt zu haben. Sie lebte
wie ſo mancher Alte, ſtill und abgeſchieden. Ein beſtändiges
Gleichmaß in beſtändigem Wechſel. Auf Sommerdürre folgten
die Stürme, dann fiel Schnee, dann war Alles Sumpf und
Bruch, dann wieder Sommerdürre; — ſo kamen die Jahre,
ſo gingen ſie. Nichts geſchah. Es giebt Hollunderbäume in
Pfarrgärten, die in 50 Jahren mehr geſehen haben, als die
große Eiche in 500. Nur die letzten Jahrzehnte ſchufen einen
Wandel: Landpartien und Berliner kamen.
Es handelte ſich jetzt für uns darum, ihr ein beſondere
Zeichen unſerer Huldigung zu geben. Ein dreimaliges Hurrah
erſchien uns für unſere civilen Verhältniſſe theils zu prätenſiös,
theils unausreichend. Aus dieſer Verlegenheit indeß ſollten wir
alsbald geriſſen werden; — unſer Reiſegefährte hatte alles bereits
ſinnig erwogen. Er nahm ſeine umſponnene Flaſche, füllte ein
Glas mit rothgoldenem Cap Conſtantia-Wein, trat vor und
ſprach: „Eiche, tauſendjährige, ſei uns gegrüßt! Hier hat der
Wende gelagert und der Berliner, und allerlei Wein, fränkiſcher
und deutſcher, nicht minder die „gebrannten Wäſſer“ beider
Indien, Jamaica’s und Goa’s, ſind Dir zu Ehren an dieſer
*) Dieſe Verſe, wie ich nachträglich erfahre, rühren nicht aus der
Jahn’ſchen Zeit her, ſondern ſind erſt, vor kaum zehn Jahren, nieder-
geſchrieben und an der Brieſelang-Eiche befeſtigt worden. Das geſchah
an einem heißen Auguſt-Nachmittage 1862 durch zwei Mitglieder des
kurz zuvor gegründeten Nauener Turnvereins. Der eine dieſer beiden
Turner hatte die Verſe verfaßt, der andere die techniſche Niederſchrift
geliefert. Beide Turner blieben ſeitdem vereint; ſie dienten in demſelben
Truppentheil (der Garde); ſie fochten am 3. Juli bei Königgrätz; und
abermals an einem heißen Auguſttage, heißer als jener Wandertag, der
ſie 8 Jahre vorher zur Königs-Eiche geführt hatte, ſtürmten ſie ge-
meinſchaftlich gegen St. Privat. Beide fielen ſchwerverwundet,
der eine durch den Schenkel, der andere durch die Bruſt geſchoſſen;
beide ſind geneſen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/71>, abgerufen am 20.02.2025.
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