Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

der unsrige. Das ließ für den letzteren auf ein Alter von
500 bis 700 Jahre schließen, und das wird wohl richtig
sein.

Dieser unser Taxusbaum war vor 100 oder 120 Jahren
eine Zierde unseres Thiergartens, der damals bis an die
Mauerstraße ging. Als später die Stadt in den Thiergarten
hineinwuchs, ließ man in den Gartenstücken der nach und nach
entstehenden Häuser einige der schönsten Bäume stehen, ganz in
derselben Weise, wie man auch heute noch verfahren ist, wo
man die alten Elsen und Eichen von "Kemperhof" wenig-
stens theilweise den Villen und Gärten der Victoriastraße
belassen hat.

Unser Taxusbaum, Jahrhunderte lang ein Thiergar-
tenb
aum, wurde, ohne daß er sich vom Fleck gerührt hätte,
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Garten-
baum. Noch etwa 20 Jahre später tritt der Baum aus seiner
bis dahin dunklen Vergangenheit in die Geschichte ein.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts gehörten Haus und Garten
dem General-Intendanten v. d. Recke, der öfters von den
Königlichen Kindern, zumal vom Kronprinzen, dem späteren
König Friedrich Wilhelm IV., Besuch empfing. Der Kronprinz
liebte diesen v. d. Reckeschen Garten ganz ungemein; es wurde
ein bevorzugter Spielplatz von ihm, und der alte Taxusbaum
mußte herhalten zu den ersten Kletterkünsten des bekanntlich bis
zur Ausgelassenheit heitern und lebhaften Knaben. Der Prinz
(der spätere König) vergaß das dem alten Eibenbaum nie. Wer
überhaupt dankbar ist, ist es gegen Alles, Mensch oder Baum.
Vielleicht regte sich in dem phantastischen Gemüthe des Knaben
noch ein Anderes; vielleicht sah er in dem schönen, fremdartigen
Baume einen Fremdling, der unter Märkischen Kiefern Wurzel
gefaßt; vielleicht war er mit den Hohenzollern selbst ins Land
gekommen, und es wob sich ein geheimnißvolles Lebensband
zwischen diesem Baum und seinem eignen fränkischen Geschlecht.
War es doch selbst an dieser Stelle erschienen, wie eine hohe
Tanne unter den Kiefern.

der unſrige. Das ließ für den letzteren auf ein Alter von
500 bis 700 Jahre ſchließen, und das wird wohl richtig
ſein.

Dieſer unſer Taxusbaum war vor 100 oder 120 Jahren
eine Zierde unſeres Thiergartens, der damals bis an die
Mauerſtraße ging. Als ſpäter die Stadt in den Thiergarten
hineinwuchs, ließ man in den Gartenſtücken der nach und nach
entſtehenden Häuſer einige der ſchönſten Bäume ſtehen, ganz in
derſelben Weiſe, wie man auch heute noch verfahren iſt, wo
man die alten Elſen und Eichen von „Kemperhof“ wenig-
ſtens theilweiſe den Villen und Gärten der Victoriaſtraße
belaſſen hat.

Unſer Taxusbaum, Jahrhunderte lang ein Thiergar-
tenb
aum, wurde, ohne daß er ſich vom Fleck gerührt hätte,
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Garten-
baum. Noch etwa 20 Jahre ſpäter tritt der Baum aus ſeiner
bis dahin dunklen Vergangenheit in die Geſchichte ein.

Zu Anfang dieſes Jahrhunderts gehörten Haus und Garten
dem General-Intendanten v. d. Recke, der öfters von den
Königlichen Kindern, zumal vom Kronprinzen, dem ſpäteren
König Friedrich Wilhelm IV., Beſuch empfing. Der Kronprinz
liebte dieſen v. d. Reckeſchen Garten ganz ungemein; es wurde
ein bevorzugter Spielplatz von ihm, und der alte Taxusbaum
mußte herhalten zu den erſten Kletterkünſten des bekanntlich bis
zur Ausgelaſſenheit heitern und lebhaften Knaben. Der Prinz
(der ſpätere König) vergaß das dem alten Eibenbaum nie. Wer
überhaupt dankbar iſt, iſt es gegen Alles, Menſch oder Baum.
Vielleicht regte ſich in dem phantaſtiſchen Gemüthe des Knaben
noch ein Anderes; vielleicht ſah er in dem ſchönen, fremdartigen
Baume einen Fremdling, der unter Märkiſchen Kiefern Wurzel
gefaßt; vielleicht war er mit den Hohenzollern ſelbſt ins Land
gekommen, und es wob ſich ein geheimnißvolles Lebensband
zwiſchen dieſem Baum und ſeinem eignen fränkiſchen Geſchlecht.
War es doch ſelbſt an dieſer Stelle erſchienen, wie eine hohe
Tanne unter den Kiefern.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="56"/>
der un&#x017F;rige. Das ließ für den letzteren auf ein Alter von<lb/>
500 bis 700 Jahre &#x017F;chließen, und das wird wohl richtig<lb/>
&#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er un&#x017F;er Taxusbaum war vor 100 oder 120 Jahren<lb/>
eine Zierde un&#x017F;eres <hi rendition="#g">Thiergartens</hi>, der damals bis an die<lb/>
Mauer&#x017F;traße ging. Als &#x017F;päter die Stadt in den Thiergarten<lb/>
hineinwuchs, ließ man in den Garten&#x017F;tücken der nach und nach<lb/>
ent&#x017F;tehenden Häu&#x017F;er einige der &#x017F;chön&#x017F;ten Bäume &#x017F;tehen, ganz in<lb/>
der&#x017F;elben Wei&#x017F;e, wie man auch heute noch verfahren i&#x017F;t, wo<lb/>
man die alten El&#x017F;en und Eichen von &#x201E;Kemperhof&#x201C; wenig-<lb/>
&#x017F;tens theilwei&#x017F;e den Villen und Gärten der Victoria&#x017F;traße<lb/>
bela&#x017F;&#x017F;en hat.</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;er Taxusbaum, Jahrhunderte lang ein <hi rendition="#g">Thiergar-<lb/>
tenb</hi>aum, wurde, ohne daß er &#x017F;ich vom Fleck gerührt hätte,<lb/>
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein <hi rendition="#g">Garten</hi>-<lb/>
baum. Noch etwa 20 Jahre &#x017F;päter tritt der Baum aus &#x017F;einer<lb/>
bis dahin dunklen Vergangenheit in die Ge&#x017F;chichte ein.</p><lb/>
        <p>Zu Anfang die&#x017F;es Jahrhunderts gehörten Haus und Garten<lb/>
dem General-Intendanten v. d. Recke, der öfters von den<lb/>
Königlichen Kindern, zumal vom Kronprinzen, dem &#x017F;päteren<lb/>
König Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV.</hi>, Be&#x017F;uch empfing. Der Kronprinz<lb/>
liebte die&#x017F;en v. d. Recke&#x017F;chen Garten ganz ungemein; es wurde<lb/>
ein bevorzugter Spielplatz von ihm, und der alte Taxusbaum<lb/>
mußte herhalten zu den er&#x017F;ten Kletterkün&#x017F;ten des bekanntlich bis<lb/>
zur Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit heitern und lebhaften Knaben. Der Prinz<lb/>
(der &#x017F;pätere König) vergaß das dem alten Eibenbaum nie. Wer<lb/>
überhaupt dankbar i&#x017F;t, i&#x017F;t es gegen Alles, Men&#x017F;ch oder Baum.<lb/>
Vielleicht regte &#x017F;ich in dem phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Gemüthe des Knaben<lb/>
noch ein Anderes; vielleicht &#x017F;ah er in dem &#x017F;chönen, fremdartigen<lb/>
Baume einen Fremdling, der unter Märki&#x017F;chen Kiefern Wurzel<lb/>
gefaßt; vielleicht war er mit den Hohenzollern &#x017F;elb&#x017F;t ins Land<lb/>
gekommen, und es wob &#x017F;ich ein geheimnißvolles Lebensband<lb/>
zwi&#x017F;chen die&#x017F;em Baum und &#x017F;einem eignen fränki&#x017F;chen Ge&#x017F;chlecht.<lb/>
War es doch &#x017F;elb&#x017F;t an die&#x017F;er Stelle er&#x017F;chienen, wie eine hohe<lb/>
Tanne unter den Kiefern.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0074] der unſrige. Das ließ für den letzteren auf ein Alter von 500 bis 700 Jahre ſchließen, und das wird wohl richtig ſein. Dieſer unſer Taxusbaum war vor 100 oder 120 Jahren eine Zierde unſeres Thiergartens, der damals bis an die Mauerſtraße ging. Als ſpäter die Stadt in den Thiergarten hineinwuchs, ließ man in den Gartenſtücken der nach und nach entſtehenden Häuſer einige der ſchönſten Bäume ſtehen, ganz in derſelben Weiſe, wie man auch heute noch verfahren iſt, wo man die alten Elſen und Eichen von „Kemperhof“ wenig- ſtens theilweiſe den Villen und Gärten der Victoriaſtraße belaſſen hat. Unſer Taxusbaum, Jahrhunderte lang ein Thiergar- tenbaum, wurde, ohne daß er ſich vom Fleck gerührt hätte, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Garten- baum. Noch etwa 20 Jahre ſpäter tritt der Baum aus ſeiner bis dahin dunklen Vergangenheit in die Geſchichte ein. Zu Anfang dieſes Jahrhunderts gehörten Haus und Garten dem General-Intendanten v. d. Recke, der öfters von den Königlichen Kindern, zumal vom Kronprinzen, dem ſpäteren König Friedrich Wilhelm IV., Beſuch empfing. Der Kronprinz liebte dieſen v. d. Reckeſchen Garten ganz ungemein; es wurde ein bevorzugter Spielplatz von ihm, und der alte Taxusbaum mußte herhalten zu den erſten Kletterkünſten des bekanntlich bis zur Ausgelaſſenheit heitern und lebhaften Knaben. Der Prinz (der ſpätere König) vergaß das dem alten Eibenbaum nie. Wer überhaupt dankbar iſt, iſt es gegen Alles, Menſch oder Baum. Vielleicht regte ſich in dem phantaſtiſchen Gemüthe des Knaben noch ein Anderes; vielleicht ſah er in dem ſchönen, fremdartigen Baume einen Fremdling, der unter Märkiſchen Kiefern Wurzel gefaßt; vielleicht war er mit den Hohenzollern ſelbſt ins Land gekommen, und es wob ſich ein geheimnißvolles Lebensband zwiſchen dieſem Baum und ſeinem eignen fränkiſchen Geſchlecht. War es doch ſelbſt an dieſer Stelle erſchienen, wie eine hohe Tanne unter den Kiefern.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/74
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/74>, abgerufen am 09.11.2024.