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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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zwar in den meisten Fällen nicht wahrscheinlich, aber doch
immerhin möglich, und so bleiben Unsicherheiten. Nehmen wir
indeß das Wahrscheinliche als Norm, so ergeben sich für einen
Zeitraum von 362 Jahren 30 Aebte, wonach also jeder einzelne
12 Jahre regiert haben würde, was eine sehr glaubliche Durch-
schnittszahl darstellt. Von allen 30 hat es kein einziger zu
einer in Staat oder Kirche glänzend hervorragenden Stellung
gebracht; nur Mönch Kagelwit, der aber nie Abt von Leh-
nin war, wurde später Erzbischof von Magdeburg. Einige
indessen haben wenigstens an der Geschichte unseres Landes, oft
freilich mehr passiv als aktiv, Theil genommen, und bei diesen,
wie auch beim Abte Arnold, dessen privates Schicksal uns ein
gewisses Interesse einflößt, werden wir in Nachstehendem länger
oder kürzer zu verweilen haben. Wir beginnen mit Johann
Siebold, dem ersten Abt, von etwa 1180--1190.


Abt Siebold von 1180--1190.

Abt Siebold oder Sieboldus war der erste Abt von
Lehnin, und in derselben Weise, wie der älteste Theil des Klo-
sters, des nun halb in Trümmern liegenden Baues, am besten
erhalten geblieben ist, so wird auch von dem ersten und ältesten
Abt desselben am meisten und am eingehendsten erzählt. Die
Erinnerung an ihn lebt noch im Volke fort. Freilich gehören
alle diese Erinnerungen der Sage und Legende an; historisch
verbürgt ist wenig oder nichts, -- aber ob Sage oder Geschichte,
darf gleichgültig für uns sein, die wir der einen so gern nach-
forschen wie der andern.

Abt Siebold, so erzählen sich die Lehniner bis diesen
Tag, wurde von den umwohnenden Wenden erschlagen, und im
Einklang damit lesen wir auf einem alten, halb verwitterten
Bilde im Querschiff der Kirche: "Seboldus, primus abbas in
Lenyn, a Slavica gente occisus."

Abt Siebold wurde also erschlagen; gewiß eine sehr
ernsthafte Sache; die Geschichte seines Todes indessen wiederzu-

zwar in den meiſten Fällen nicht wahrſcheinlich, aber doch
immerhin möglich, und ſo bleiben Unſicherheiten. Nehmen wir
indeß das Wahrſcheinliche als Norm, ſo ergeben ſich für einen
Zeitraum von 362 Jahren 30 Aebte, wonach alſo jeder einzelne
12 Jahre regiert haben würde, was eine ſehr glaubliche Durch-
ſchnittszahl darſtellt. Von allen 30 hat es kein einziger zu
einer in Staat oder Kirche glänzend hervorragenden Stellung
gebracht; nur Mönch Kagelwit, der aber nie Abt von Leh-
nin war, wurde ſpäter Erzbiſchof von Magdeburg. Einige
indeſſen haben wenigſtens an der Geſchichte unſeres Landes, oft
freilich mehr paſſiv als aktiv, Theil genommen, und bei dieſen,
wie auch beim Abte Arnold, deſſen privates Schickſal uns ein
gewiſſes Intereſſe einflößt, werden wir in Nachſtehendem länger
oder kürzer zu verweilen haben. Wir beginnen mit Johann
Siebold, dem erſten Abt, von etwa 1180—1190.


Abt Siebold von 1180—1190.

Abt Siebold oder Sieboldus war der erſte Abt von
Lehnin, und in derſelben Weiſe, wie der älteſte Theil des Klo-
ſters, des nun halb in Trümmern liegenden Baues, am beſten
erhalten geblieben iſt, ſo wird auch von dem erſten und älteſten
Abt deſſelben am meiſten und am eingehendſten erzählt. Die
Erinnerung an ihn lebt noch im Volke fort. Freilich gehören
alle dieſe Erinnerungen der Sage und Legende an; hiſtoriſch
verbürgt iſt wenig oder nichts, — aber ob Sage oder Geſchichte,
darf gleichgültig für uns ſein, die wir der einen ſo gern nach-
forſchen wie der andern.

Abt Siebold, ſo erzählen ſich die Lehniner bis dieſen
Tag, wurde von den umwohnenden Wenden erſchlagen, und im
Einklang damit leſen wir auf einem alten, halb verwitterten
Bilde im Querſchiff der Kirche: „Seboldus, primus abbas in
Lenyn, a Slavica gente occisus.“

Abt Siebold wurde alſo erſchlagen; gewiß eine ſehr
ernſthafte Sache; die Geſchichte ſeines Todes indeſſen wiederzu-

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[80/0098] zwar in den meiſten Fällen nicht wahrſcheinlich, aber doch immerhin möglich, und ſo bleiben Unſicherheiten. Nehmen wir indeß das Wahrſcheinliche als Norm, ſo ergeben ſich für einen Zeitraum von 362 Jahren 30 Aebte, wonach alſo jeder einzelne 12 Jahre regiert haben würde, was eine ſehr glaubliche Durch- ſchnittszahl darſtellt. Von allen 30 hat es kein einziger zu einer in Staat oder Kirche glänzend hervorragenden Stellung gebracht; nur Mönch Kagelwit, der aber nie Abt von Leh- nin war, wurde ſpäter Erzbiſchof von Magdeburg. Einige indeſſen haben wenigſtens an der Geſchichte unſeres Landes, oft freilich mehr paſſiv als aktiv, Theil genommen, und bei dieſen, wie auch beim Abte Arnold, deſſen privates Schickſal uns ein gewiſſes Intereſſe einflößt, werden wir in Nachſtehendem länger oder kürzer zu verweilen haben. Wir beginnen mit Johann Siebold, dem erſten Abt, von etwa 1180—1190. Abt Siebold von 1180—1190. Abt Siebold oder Sieboldus war der erſte Abt von Lehnin, und in derſelben Weiſe, wie der älteſte Theil des Klo- ſters, des nun halb in Trümmern liegenden Baues, am beſten erhalten geblieben iſt, ſo wird auch von dem erſten und älteſten Abt deſſelben am meiſten und am eingehendſten erzählt. Die Erinnerung an ihn lebt noch im Volke fort. Freilich gehören alle dieſe Erinnerungen der Sage und Legende an; hiſtoriſch verbürgt iſt wenig oder nichts, — aber ob Sage oder Geſchichte, darf gleichgültig für uns ſein, die wir der einen ſo gern nach- forſchen wie der andern. Abt Siebold, ſo erzählen ſich die Lehniner bis dieſen Tag, wurde von den umwohnenden Wenden erſchlagen, und im Einklang damit leſen wir auf einem alten, halb verwitterten Bilde im Querſchiff der Kirche: „Seboldus, primus abbas in Lenyn, a Slavica gente occisus.“ Abt Siebold wurde alſo erſchlagen; gewiß eine ſehr ernſthafte Sache; die Geſchichte ſeines Todes indeſſen wiederzu-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/98>, abgerufen am 29.11.2024.