geben ist nicht ohne eigenthümliche Schwierigkeiten, da sich, neben dem Ernsten und entschieden Poetischen, auch Tragikomi- sches und selbst Zweideutiges mit in diese Geschichte hineinmischt. Und doch ist über diese bedenklichen Partien nicht hinwegzukom- men, sie gehören mit dazu; es sei also gewagt.
Abt Siebold und seine Mönche gingen oft über Land, um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die wendischen Fischersleute, die zäh und störrisch an ihren alten Götzen fest- hielten, zum Christenthum zu bekehren. Einstmals, in Beglei- tung eines einzigen Klosterbruders, hatte Abt Siebold in dem Klosterdorfe Prützke gepredigt, und über Mittag, bei schwerer Hitze heimkehrend, beschlossen Abt und Mönch, in dem nahe beim Kloster gelegenen Dorfe Nahmitz zu rasten, das sie eben matt und müde passirten. Der Abt trat in eines der ärmlichen Häuser ein; die Scheu aber, die hier sein Erscheinen einflößte, machte, das alles auseinander stob; die Kinder versteckten sich in Küche und Kammer, während die Frau, die ihren Mann sammt den andern Fischern am See beschäftigt wußte, ängstlich unter den Backtrog kroch, der nach damaliger Sitte nichts als ein ausgehöhlter Eichenstamm war. Abt Siebold, nichts Arges ahnend, setzte sich auf den Trog, die Kinder aber, nach- dem sie aus ihren Schlupfwinkeln allmälig hervorgekommen waren, liefen jetzt an den See und riefen dem Vater und den übrigen Fischersleuten zu: "Der Abt ist da," zugleich beschrei- bend, in welch eigenthümlicher Situation sie die Mutter und den Abt verlassen hatten. Die versammelten Fischersleute gaben dem Wort die schlimmste Deutung, und der bittre Groll, den das Wendenthum gegen die deutschen Eindringlinge unterhielt, brach jetzt in helle Flammen aus. Mit wildem Geschrei stürzten alle in's Dorf, umstellten das Haus und drangen auf den Abt ein, der sich, als er wahrnahm, daß ihm dieser Angriff gelte, sammt seinem Begleiter durch die Flucht zu retten suchte. Der nahe Wald bot vorläufig Schutz, aber die verfolgenden Dörfler waren ausdauernder als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der es endlich vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt durch
Fontane, Wanderungen. III. 6
geben iſt nicht ohne eigenthümliche Schwierigkeiten, da ſich, neben dem Ernſten und entſchieden Poetiſchen, auch Tragikomi- ſches und ſelbſt Zweideutiges mit in dieſe Geſchichte hineinmiſcht. Und doch iſt über dieſe bedenklichen Partien nicht hinwegzukom- men, ſie gehören mit dazu; es ſei alſo gewagt.
Abt Siebold und ſeine Mönche gingen oft über Land, um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die wendiſchen Fiſchersleute, die zäh und ſtörriſch an ihren alten Götzen feſt- hielten, zum Chriſtenthum zu bekehren. Einſtmals, in Beglei- tung eines einzigen Kloſterbruders, hatte Abt Siebold in dem Kloſterdorfe Prützke gepredigt, und über Mittag, bei ſchwerer Hitze heimkehrend, beſchloſſen Abt und Mönch, in dem nahe beim Kloſter gelegenen Dorfe Nahmitz zu raſten, das ſie eben matt und müde paſſirten. Der Abt trat in eines der ärmlichen Häuſer ein; die Scheu aber, die hier ſein Erſcheinen einflößte, machte, das alles auseinander ſtob; die Kinder verſteckten ſich in Küche und Kammer, während die Frau, die ihren Mann ſammt den andern Fiſchern am See beſchäftigt wußte, ängſtlich unter den Backtrog kroch, der nach damaliger Sitte nichts als ein ausgehöhlter Eichenſtamm war. Abt Siebold, nichts Arges ahnend, ſetzte ſich auf den Trog, die Kinder aber, nach- dem ſie aus ihren Schlupfwinkeln allmälig hervorgekommen waren, liefen jetzt an den See und riefen dem Vater und den übrigen Fiſchersleuten zu: „Der Abt iſt da,“ zugleich beſchrei- bend, in welch eigenthümlicher Situation ſie die Mutter und den Abt verlaſſen hatten. Die verſammelten Fiſchersleute gaben dem Wort die ſchlimmſte Deutung, und der bittre Groll, den das Wendenthum gegen die deutſchen Eindringlinge unterhielt, brach jetzt in helle Flammen aus. Mit wildem Geſchrei ſtürzten alle in’s Dorf, umſtellten das Haus und drangen auf den Abt ein, der ſich, als er wahrnahm, daß ihm dieſer Angriff gelte, ſammt ſeinem Begleiter durch die Flucht zu retten ſuchte. Der nahe Wald bot vorläufig Schutz, aber die verfolgenden Dörfler waren ausdauernder als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der es endlich vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt durch
Fontane, Wanderungen. III. 6
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geben iſt nicht ohne eigenthümliche Schwierigkeiten, da ſich,
neben dem Ernſten und entſchieden Poetiſchen, auch Tragikomi-
ſches und ſelbſt Zweideutiges mit in dieſe Geſchichte hineinmiſcht.
Und doch iſt über dieſe bedenklichen Partien nicht hinwegzukom-
men, ſie gehören mit dazu; es ſei alſo gewagt.
Abt Siebold und ſeine Mönche gingen oft über Land,
um in den umliegenden Dörfern zu predigen und die wendiſchen
Fiſchersleute, die zäh und ſtörriſch an ihren alten Götzen feſt-
hielten, zum Chriſtenthum zu bekehren. Einſtmals, in Beglei-
tung eines einzigen Kloſterbruders, hatte Abt Siebold in dem
Kloſterdorfe Prützke gepredigt, und über Mittag, bei ſchwerer
Hitze heimkehrend, beſchloſſen Abt und Mönch, in dem nahe
beim Kloſter gelegenen Dorfe Nahmitz zu raſten, das ſie eben
matt und müde paſſirten. Der Abt trat in eines der ärmlichen
Häuſer ein; die Scheu aber, die hier ſein Erſcheinen einflößte,
machte, das alles auseinander ſtob; die Kinder verſteckten ſich
in Küche und Kammer, während die Frau, die ihren Mann
ſammt den andern Fiſchern am See beſchäftigt wußte, ängſtlich
unter den Backtrog kroch, der nach damaliger Sitte nichts als
ein ausgehöhlter Eichenſtamm war. Abt Siebold, nichts
Arges ahnend, ſetzte ſich auf den Trog, die Kinder aber, nach-
dem ſie aus ihren Schlupfwinkeln allmälig hervorgekommen
waren, liefen jetzt an den See und riefen dem Vater und den
übrigen Fiſchersleuten zu: „Der Abt iſt da,“ zugleich beſchrei-
bend, in welch eigenthümlicher Situation ſie die Mutter und
den Abt verlaſſen hatten. Die verſammelten Fiſchersleute gaben
dem Wort die ſchlimmſte Deutung, und der bittre Groll, den
das Wendenthum gegen die deutſchen Eindringlinge unterhielt,
brach jetzt in helle Flammen aus. Mit wildem Geſchrei ſtürzten
alle in’s Dorf, umſtellten das Haus und drangen auf den Abt
ein, der ſich, als er wahrnahm, daß ihm dieſer Angriff gelte,
ſammt ſeinem Begleiter durch die Flucht zu retten ſuchte. Der
nahe Wald bot vorläufig Schutz, aber die verfolgenden Dörfler
waren ausdauernder als der ältliche und wohlbeleibte Abt, der
es endlich vorzog, einen Baum zu erklettern, um, gedeckt durch
Fontane, Wanderungen. III. 6
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/99>, abgerufen am 28.11.2024.
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