das dichte Laubgebüsch desselben, seinen Verfolgern zu entgehn. Der Mönchsbruder eilte inzwischen vorauf, um Hülfe aus dem Kloster herbei zu holen. Abt Siebold schien gerettet, aber ein Schlüsselbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren hatte, verrieth seinen Versteck und brachte ihn in's Verderben. Wohl kamen endlich die Mönche und beschworen den tobenden Volkshaufen, von seinem Vorhaben abzulassen. Der Säckel- meister bot Geld, der Abt selbst, aus seinem Versteck heraus, versprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Haide, -- aber die wilden Burschen bestanden auf ihrer Rache. Sie hieben, da der Abt sich weigerte herabzusteigen, die Eiche um und erschlugen endlich den am Boden Liegenden. -- Die Mönche, die den Mord nicht hindern konnten, kehrten unter Mißhandlungen von Seiten der Fischersleute in ihr Kloster zurück und standen bereits auf dem Punkt, wenige Tage später die Mauern desselben für immer zu verlassen, als ihnen, so erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erschien und ihnen zurief: Redeatis! Nihil deerit vobis (Kehret zurück; es soll euch an nichts fehlen), Worte, die Allen ein neues Gottver- trauen einflößten und sie zu muthigem Ausharren vermochten. So die Tradition, von der ich bekenne, daß ich ihr Anfangs mißtraute. Sie schien mir nicht den Charakter des 12. Jahrhun- derts zu tragen, indem das Mönchthum, gehoben und miterfüllt von den großen Ideen jener Zeit, auch seinerseits ideeller, gehei- ligter, reiner dastand, als zu irgend einer anderen Epoche kirch- lichen Lebens. Abt und Mönche von Lehnin, so schloß ich wei- ter, gaben damals, in der Blüthezeit des Cistercienserthums, schwerlich zu Eifersuchtsausbrüchen der wendischen Bevölkerung irgend welche Veranlassung, und so konnte auch damals, d. h. also Ausgangs des 12. Jahrhunderts, keine Geschichte entstehen, die namentlich in ihrer populärsten Fassung (von der ich, wie billig, Abstand genommen habe), weit etwas anders als ein bloßes Mißtrauen in die kirchlichen Absichten des Abtes Siebold durchblicken läßt. Auch jetzt noch setze ich Zweifel in die volle Aechtheit und Glaubwürdigkeit der Ueberlieferung.
das dichte Laubgebüſch deſſelben, ſeinen Verfolgern zu entgehn. Der Mönchsbruder eilte inzwiſchen vorauf, um Hülfe aus dem Kloſter herbei zu holen. Abt Siebold ſchien gerettet, aber ein Schlüſſelbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren hatte, verrieth ſeinen Verſteck und brachte ihn in’s Verderben. Wohl kamen endlich die Mönche und beſchworen den tobenden Volkshaufen, von ſeinem Vorhaben abzulaſſen. Der Säckel- meiſter bot Geld, der Abt ſelbſt, aus ſeinem Verſteck heraus, verſprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Haide, — aber die wilden Burſchen beſtanden auf ihrer Rache. Sie hieben, da der Abt ſich weigerte herabzuſteigen, die Eiche um und erſchlugen endlich den am Boden Liegenden. — Die Mönche, die den Mord nicht hindern konnten, kehrten unter Mißhandlungen von Seiten der Fiſchersleute in ihr Kloſter zurück und ſtanden bereits auf dem Punkt, wenige Tage ſpäter die Mauern deſſelben für immer zu verlaſſen, als ihnen, ſo erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erſchien und ihnen zurief: Redeatis! Nihil deerit vobis (Kehret zurück; es ſoll euch an nichts fehlen), Worte, die Allen ein neues Gottver- trauen einflößten und ſie zu muthigem Ausharren vermochten. So die Tradition, von der ich bekenne, daß ich ihr Anfangs mißtraute. Sie ſchien mir nicht den Charakter des 12. Jahrhun- derts zu tragen, indem das Mönchthum, gehoben und miterfüllt von den großen Ideen jener Zeit, auch ſeinerſeits ideeller, gehei- ligter, reiner daſtand, als zu irgend einer anderen Epoche kirch- lichen Lebens. Abt und Mönche von Lehnin, ſo ſchloß ich wei- ter, gaben damals, in der Blüthezeit des Ciſtercienſerthums, ſchwerlich zu Eiferſuchtsausbrüchen der wendiſchen Bevölkerung irgend welche Veranlaſſung, und ſo konnte auch damals, d. h. alſo Ausgangs des 12. Jahrhunderts, keine Geſchichte entſtehen, die namentlich in ihrer populärſten Faſſung (von der ich, wie billig, Abſtand genommen habe), weit etwas anders als ein bloßes Mißtrauen in die kirchlichen Abſichten des Abtes Siebold durchblicken läßt. Auch jetzt noch ſetze ich Zweifel in die volle Aechtheit und Glaubwürdigkeit der Ueberlieferung.
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das dichte Laubgebüſch deſſelben, ſeinen Verfolgern zu entgehn.
Der Mönchsbruder eilte inzwiſchen vorauf, um Hülfe aus dem
Kloſter herbei zu holen. Abt Siebold ſchien gerettet, aber ein
Schlüſſelbund, das er beim Erklettern des Baumes verloren
hatte, verrieth ſeinen Verſteck und brachte ihn in’s Verderben.
Wohl kamen endlich die Mönche und beſchworen den tobenden
Volkshaufen, von ſeinem Vorhaben abzulaſſen. Der Säckel-
meiſter bot Geld, der Abt ſelbſt, aus ſeinem Verſteck heraus,
verſprach ihnen Erlaß des Zehnten, dazu Feld und Haide, —
aber die wilden Burſchen beſtanden auf ihrer Rache. Sie
hieben, da der Abt ſich weigerte herabzuſteigen, die Eiche um
und erſchlugen endlich den am Boden Liegenden. — Die
Mönche, die den Mord nicht hindern konnten, kehrten unter
Mißhandlungen von Seiten der Fiſchersleute in ihr Kloſter
zurück und ſtanden bereits auf dem Punkt, wenige Tage ſpäter
die Mauern deſſelben für immer zu verlaſſen, als ihnen, ſo
erzählt die Sage, die Jungfrau Maria erſchien und ihnen
zurief: Redeatis! Nihil deerit vobis (Kehret zurück; es ſoll
euch an nichts fehlen), Worte, die Allen ein neues Gottver-
trauen einflößten und ſie zu muthigem Ausharren vermochten.
So die Tradition, von der ich bekenne, daß ich ihr Anfangs
mißtraute. Sie ſchien mir nicht den Charakter des 12. Jahrhun-
derts zu tragen, indem das Mönchthum, gehoben und miterfüllt
von den großen Ideen jener Zeit, auch ſeinerſeits ideeller, gehei-
ligter, reiner daſtand, als zu irgend einer anderen Epoche kirch-
lichen Lebens. Abt und Mönche von Lehnin, ſo ſchloß ich wei-
ter, gaben damals, in der Blüthezeit des Ciſtercienſerthums,
ſchwerlich zu Eiferſuchtsausbrüchen der wendiſchen Bevölkerung
irgend welche Veranlaſſung, und ſo konnte auch damals, d. h.
alſo Ausgangs des 12. Jahrhunderts, keine Geſchichte entſtehen,
die namentlich in ihrer populärſten Faſſung (von der ich,
wie billig, Abſtand genommen habe), weit etwas anders als
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/100>, abgerufen am 31.10.2024.
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