hier herum ihre Heerden durch Wald und Sumpf treiben, haben das Alles mehr denn einmal gesehen und das Knistern ihres Seidenkleides gehört; wir aber, die wir die Johannisnacht sträflich versäumt haben und erst um die Mitte Oktober in diese Gegenden kommen, müssen uns begnügen den drei harkenden Frauen be- gegnet zu sein, die so trefflich zur Herbstlandschaft stimmten und spukhaft genug waldeinwärts zeigten.
Unmittelbar hinter dem Teufelssee erheben sich die Müggels- berge. Wir verschmähen den bequemen Weg, der sich hinaufschlängelt, und nehmen den Berg auf geradestem Wege wie im Sturm. Oft zurückgleitend, wo die abgefallenen Kiennadeln am dichtesten liegen, und im Zurückgleiten einen Birkenstrauch oder eine junge Tanne fassend, so dringen wir muthig vor, jede Stelle preisend, an der raschelndes Eichenlaub statt der glatten Nadeln zu unsern Füßen liegt. Nun aber haben wir's überwunden, das Erdreich wird feuchter, Treppeneinschnitte und Rasenbänke gönnen uns abwech- selnd einen Halt und eine Rast, und endlich eine dichte Hecke durchbrechend, die fast schon am Grat des Berges entlang läuft, haben wir das Ziel unserer Wanderschaft erreicht -- die Höhe der Müggelsberge.
Diese Müggelsberge repräsentiren ein höchst eigenthümliches Stück Natur, abweichend von dem, was wir sonst wohl in unserem Sand- und Flachlande zu sehen gewohnt sind. Unsere Märkischen Berge (wenn man uns diese stolze Bezeichnung gestatten will) sind entweder einfache Kegel oder Plateau-Abhänge. Nicht so die Müggelsberge. Diese machen den Eindruck eines Gebirgs-modells, etwa als hab' es die Natur in heiterer Laune versuchen wollen, ob nicht auch eine Urgebirgsform aus Märkischem Sande herzustellen sei. Alles en miniature, aber doch nichts vergessen. Ein Stock des Gebirges, ein langgestreckter Grat, Ausläufer, Schluchten, Kulme, Kuppen, Alles ist nach Art einer Reliefkarte vor die Thore Berlins gelegt, um die flachländische Residenzjugend hinausführen und ihr über Gebirgs- Formationen Einiges ad oculos demonstriren zu können.
Wir haben den Grat ohngefähr in seiner Mitte erreicht, wo er mehr eine muldenartige Vertiefung als eine Erhöhung zeigt. Die Kuppen befinden sich an den vorgeschobeneren Punkten, so daß der ganze Berg einem ausgedehnten alten Schloßbau gleicht, der
hier herum ihre Heerden durch Wald und Sumpf treiben, haben das Alles mehr denn einmal geſehen und das Kniſtern ihres Seidenkleides gehört; wir aber, die wir die Johannisnacht ſträflich verſäumt haben und erſt um die Mitte Oktober in dieſe Gegenden kommen, müſſen uns begnügen den drei harkenden Frauen be- gegnet zu ſein, die ſo trefflich zur Herbſtlandſchaft ſtimmten und ſpukhaft genug waldeinwärts zeigten.
Unmittelbar hinter dem Teufelsſee erheben ſich die Müggels- berge. Wir verſchmähen den bequemen Weg, der ſich hinaufſchlängelt, und nehmen den Berg auf geradeſtem Wege wie im Sturm. Oft zurückgleitend, wo die abgefallenen Kiennadeln am dichteſten liegen, und im Zurückgleiten einen Birkenſtrauch oder eine junge Tanne faſſend, ſo dringen wir muthig vor, jede Stelle preiſend, an der raſchelndes Eichenlaub ſtatt der glatten Nadeln zu unſern Füßen liegt. Nun aber haben wir’s überwunden, das Erdreich wird feuchter, Treppeneinſchnitte und Raſenbänke gönnen uns abwech- ſelnd einen Halt und eine Raſt, und endlich eine dichte Hecke durchbrechend, die faſt ſchon am Grat des Berges entlang läuft, haben wir das Ziel unſerer Wanderſchaft erreicht — die Höhe der Müggelsberge.
Dieſe Müggelsberge repräſentiren ein höchſt eigenthümliches Stück Natur, abweichend von dem, was wir ſonſt wohl in unſerem Sand- und Flachlande zu ſehen gewohnt ſind. Unſere Märkiſchen Berge (wenn man uns dieſe ſtolze Bezeichnung geſtatten will) ſind entweder einfache Kegel oder Plateau-Abhänge. Nicht ſo die Müggelsberge. Dieſe machen den Eindruck eines Gebirgs-modells, etwa als hab’ es die Natur in heiterer Laune verſuchen wollen, ob nicht auch eine Urgebirgsform aus Märkiſchem Sande herzuſtellen ſei. Alles en miniature, aber doch nichts vergeſſen. Ein Stock des Gebirges, ein langgeſtreckter Grat, Ausläufer, Schluchten, Kulme, Kuppen, Alles iſt nach Art einer Reliefkarte vor die Thore Berlins gelegt, um die flachländiſche Reſidenzjugend hinausführen und ihr über Gebirgs- Formationen Einiges ad oculos demonſtriren zu können.
Wir haben den Grat ohngefähr in ſeiner Mitte erreicht, wo er mehr eine muldenartige Vertiefung als eine Erhöhung zeigt. Die Kuppen befinden ſich an den vorgeſchobeneren Punkten, ſo daß der ganze Berg einem ausgedehnten alten Schloßbau gleicht, der
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hier herum ihre Heerden durch Wald und Sumpf treiben, haben
das Alles mehr denn einmal geſehen und das Kniſtern ihres
Seidenkleides gehört; wir aber, die wir die Johannisnacht ſträflich
verſäumt haben und erſt um die Mitte Oktober in dieſe Gegenden
kommen, müſſen uns begnügen den drei harkenden Frauen be-
gegnet zu ſein, die ſo trefflich zur Herbſtlandſchaft ſtimmten und
ſpukhaft genug waldeinwärts zeigten.
Unmittelbar hinter dem Teufelsſee erheben ſich die Müggels-
berge. Wir verſchmähen den bequemen Weg, der ſich hinaufſchlängelt,
und nehmen den Berg auf geradeſtem Wege wie im Sturm. Oft
zurückgleitend, wo die abgefallenen Kiennadeln am dichteſten liegen,
und im Zurückgleiten einen Birkenſtrauch oder eine junge Tanne
faſſend, ſo dringen wir muthig vor, jede Stelle preiſend, an der
raſchelndes Eichenlaub ſtatt der glatten Nadeln zu unſern Füßen
liegt. Nun aber haben wir’s überwunden, das Erdreich wird
feuchter, Treppeneinſchnitte und Raſenbänke gönnen uns abwech-
ſelnd einen Halt und eine Raſt, und endlich eine dichte Hecke
durchbrechend, die faſt ſchon am Grat des Berges entlang läuft,
haben wir das Ziel unſerer Wanderſchaft erreicht — die Höhe
der Müggelsberge.
Dieſe Müggelsberge repräſentiren ein höchſt eigenthümliches
Stück Natur, abweichend von dem, was wir ſonſt wohl in unſerem
Sand- und Flachlande zu ſehen gewohnt ſind. Unſere Märkiſchen
Berge (wenn man uns dieſe ſtolze Bezeichnung geſtatten will)
ſind entweder einfache Kegel oder Plateau-Abhänge. Nicht ſo die
Müggelsberge. Dieſe machen den Eindruck eines Gebirgs-modells,
etwa als hab’ es die Natur in heiterer Laune verſuchen wollen, ob nicht
auch eine Urgebirgsform aus Märkiſchem Sande herzuſtellen ſei. Alles
en miniature, aber doch nichts vergeſſen. Ein Stock des Gebirges, ein
langgeſtreckter Grat, Ausläufer, Schluchten, Kulme, Kuppen, Alles
iſt nach Art einer Reliefkarte vor die Thore Berlins gelegt, um die
flachländiſche Reſidenzjugend hinausführen und ihr über Gebirgs-
Formationen Einiges ad oculos demonſtriren zu können.
Wir haben den Grat ohngefähr in ſeiner Mitte erreicht, wo
er mehr eine muldenartige Vertiefung als eine Erhöhung zeigt.
Die Kuppen befinden ſich an den vorgeſchobeneren Punkten, ſo daß
der ganze Berg einem ausgedehnten alten Schloßbau gleicht, der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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