Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

hohe Erker und Altane, vor Allem aber ein paar abgestutzte Eck-
thürme an seinen zwei Giebelseiten trägt. Diese West- und Ost-
kuppe der Müggelsberge gestatten die weiteste Aussicht in's Land
hinein. Besonders die Westkuppe. Ueber den Rücken des Berges
hin schreiten wir dieser letzteren zu.

Der Weg führt durch dichtes Gehölz, das wie ein grüner
Wandschirm dasteht und nach keiner Seite hin einen Durchblick
gestattet. Die Bäume selbst sind noch jung, und nur alle funfzig
Schritte begegnen wir einigen halberstorbenen Eichen, von denen
es schwer zu sagen ist, was sie vor der Axt des Holzschlägers ge-
rettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre malerische Schönheit, oder
eine abergläubisch-pietätsvolle Rücksicht gegen das Geschlecht der
Spechte, die darin wohnen und auf den Müggelsberg-Kuppen in
ähnlicher Weise heimisch sind, wie die Raben und Dohlen auf den
Kirchthürmen alter Städte. Sie zimmern sich mit geschäftigem
Schnabel ihre soliden Nester in das harte Holz und machen, viel-
leicht aus Geselligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art
Familienhaus. Oft fünfzig Nester in einem Baum. Ueberall
huscht es heraus und hinein, pickt und kreischt, und im Vorüber-
gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus ihren Löchern
hervorlugen und neugierig sind zu erfahren, ob Freund oder Feind
im Anzuge sei.

So erreichen wir nach kurzem Gang unser Ziel, eine kahle,
kreisrunde Plattform. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von
einem Feuer, das erst gestern gebrannt zu haben scheint; sonst
Alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhang eine einzige
Distel. Die Kiefern und Fichten, die bis dahin als dichtes Ge-
büsch zu beiden Seiten des Weges standen, hier haben sie sich
abwärts gezogen und ragen nur noch mit ihren Gipfeln über das
Plateau hinweg. In einem Riesenkranze von dunklen Nadeln be-
wegt sich's um uns her und nur eine einzige Kiefer, ein schlanker,
hellrother Stamm, der stolz wie eine Pinie dasteht, ragt noch hoch
auf, als ob es ein Flaggenstock wär', und streckt seine grüne Krone
wie ein Wahrzeichen weit in's Land hinein.

Wir lehnen uns an den Stamm des schönen Baumes und
blicken westlich auf die Bilder modernen Lebens und lachender
Gegenwart. Aus der Sand- und Sumpfwüste früherer Jahr-

hohe Erker und Altane, vor Allem aber ein paar abgeſtutzte Eck-
thürme an ſeinen zwei Giebelſeiten trägt. Dieſe Weſt- und Oſt-
kuppe der Müggelsberge geſtatten die weiteſte Ausſicht in’s Land
hinein. Beſonders die Weſtkuppe. Ueber den Rücken des Berges
hin ſchreiten wir dieſer letzteren zu.

Der Weg führt durch dichtes Gehölz, das wie ein grüner
Wandſchirm daſteht und nach keiner Seite hin einen Durchblick
geſtattet. Die Bäume ſelbſt ſind noch jung, und nur alle funfzig
Schritte begegnen wir einigen halberſtorbenen Eichen, von denen
es ſchwer zu ſagen iſt, was ſie vor der Axt des Holzſchlägers ge-
rettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre maleriſche Schönheit, oder
eine abergläubiſch-pietätsvolle Rückſicht gegen das Geſchlecht der
Spechte, die darin wohnen und auf den Müggelsberg-Kuppen in
ähnlicher Weiſe heimiſch ſind, wie die Raben und Dohlen auf den
Kirchthürmen alter Städte. Sie zimmern ſich mit geſchäftigem
Schnabel ihre ſoliden Neſter in das harte Holz und machen, viel-
leicht aus Geſelligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art
Familienhaus. Oft fünfzig Neſter in einem Baum. Ueberall
huſcht es heraus und hinein, pickt und kreiſcht, und im Vorüber-
gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus ihren Löchern
hervorlugen und neugierig ſind zu erfahren, ob Freund oder Feind
im Anzuge ſei.

So erreichen wir nach kurzem Gang unſer Ziel, eine kahle,
kreisrunde Plattform. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von
einem Feuer, das erſt geſtern gebrannt zu haben ſcheint; ſonſt
Alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhang eine einzige
Diſtel. Die Kiefern und Fichten, die bis dahin als dichtes Ge-
büſch zu beiden Seiten des Weges ſtanden, hier haben ſie ſich
abwärts gezogen und ragen nur noch mit ihren Gipfeln über das
Plateau hinweg. In einem Rieſenkranze von dunklen Nadeln be-
wegt ſich’s um uns her und nur eine einzige Kiefer, ein ſchlanker,
hellrother Stamm, der ſtolz wie eine Pinie daſteht, ragt noch hoch
auf, als ob es ein Flaggenſtock wär’, und ſtreckt ſeine grüne Krone
wie ein Wahrzeichen weit in’s Land hinein.

Wir lehnen uns an den Stamm des ſchönen Baumes und
blicken weſtlich auf die Bilder modernen Lebens und lachender
Gegenwart. Aus der Sand- und Sumpfwüſte früherer Jahr-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0127" n="111"/>
hohe Erker und Altane, vor Allem aber ein paar abge&#x017F;tutzte Eck-<lb/>
thürme an &#x017F;einen zwei Giebel&#x017F;eiten trägt. Die&#x017F;e We&#x017F;t- und O&#x017F;t-<lb/>
kuppe der Müggelsberge ge&#x017F;tatten die weite&#x017F;te Aus&#x017F;icht in&#x2019;s Land<lb/>
hinein. Be&#x017F;onders die We&#x017F;tkuppe. Ueber den Rücken des Berges<lb/>
hin &#x017F;chreiten wir die&#x017F;er letzteren zu.</p><lb/>
          <p>Der Weg führt durch dichtes Gehölz, das wie ein grüner<lb/>
Wand&#x017F;chirm da&#x017F;teht und nach keiner Seite hin einen Durchblick<lb/>
ge&#x017F;tattet. Die Bäume &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind noch jung, und nur alle funfzig<lb/>
Schritte begegnen wir einigen halber&#x017F;torbenen Eichen, von denen<lb/>
es &#x017F;chwer zu &#x017F;agen i&#x017F;t, was &#x017F;ie vor der Axt des Holz&#x017F;chlägers ge-<lb/>
rettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre maleri&#x017F;che Schönheit, oder<lb/>
eine abergläubi&#x017F;ch-pietätsvolle Rück&#x017F;icht gegen das Ge&#x017F;chlecht der<lb/>
Spechte, die darin wohnen und auf den Müggelsberg-Kuppen in<lb/>
ähnlicher Wei&#x017F;e heimi&#x017F;ch &#x017F;ind, wie die Raben und Dohlen auf den<lb/>
Kirchthürmen alter Städte. Sie zimmern &#x017F;ich mit ge&#x017F;chäftigem<lb/>
Schnabel ihre &#x017F;oliden Ne&#x017F;ter in das harte Holz und machen, viel-<lb/>
leicht aus Ge&#x017F;elligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art<lb/>
Familienhaus. Oft fünfzig Ne&#x017F;ter in einem Baum. Ueberall<lb/>
hu&#x017F;cht es heraus und hinein, pickt und krei&#x017F;cht, und im Vorüber-<lb/>
gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus ihren Löchern<lb/>
hervorlugen und neugierig &#x017F;ind zu erfahren, ob Freund oder Feind<lb/>
im Anzuge &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>So erreichen wir nach kurzem Gang un&#x017F;er Ziel, eine kahle,<lb/>
kreisrunde Plattform. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von<lb/>
einem Feuer, das er&#x017F;t ge&#x017F;tern gebrannt zu haben &#x017F;cheint; &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
Alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhang eine einzige<lb/>
Di&#x017F;tel. Die Kiefern und Fichten, die bis dahin als dichtes Ge-<lb/>&#x017F;ch zu beiden Seiten des Weges &#x017F;tanden, hier haben &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
abwärts gezogen und ragen nur noch mit ihren Gipfeln über das<lb/>
Plateau hinweg. In einem Rie&#x017F;enkranze von dunklen Nadeln be-<lb/>
wegt &#x017F;ich&#x2019;s um uns her und nur eine einzige Kiefer, ein &#x017F;chlanker,<lb/>
hellrother Stamm, der &#x017F;tolz wie eine Pinie da&#x017F;teht, ragt noch hoch<lb/>
auf, als ob es ein Flaggen&#x017F;tock wär&#x2019;, <choice><sic>nnd</sic><corr>und</corr></choice> &#x017F;treckt &#x017F;eine grüne Krone<lb/>
wie ein Wahrzeichen weit in&#x2019;s Land hinein.</p><lb/>
          <p>Wir lehnen uns an den Stamm des &#x017F;chönen Baumes und<lb/>
blicken we&#x017F;tlich auf die Bilder modernen Lebens und lachender<lb/>
Gegenwart. Aus der Sand- und Sumpfwü&#x017F;te früherer Jahr-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0127] hohe Erker und Altane, vor Allem aber ein paar abgeſtutzte Eck- thürme an ſeinen zwei Giebelſeiten trägt. Dieſe Weſt- und Oſt- kuppe der Müggelsberge geſtatten die weiteſte Ausſicht in’s Land hinein. Beſonders die Weſtkuppe. Ueber den Rücken des Berges hin ſchreiten wir dieſer letzteren zu. Der Weg führt durch dichtes Gehölz, das wie ein grüner Wandſchirm daſteht und nach keiner Seite hin einen Durchblick geſtattet. Die Bäume ſelbſt ſind noch jung, und nur alle funfzig Schritte begegnen wir einigen halberſtorbenen Eichen, von denen es ſchwer zu ſagen iſt, was ſie vor der Axt des Holzſchlägers ge- rettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre maleriſche Schönheit, oder eine abergläubiſch-pietätsvolle Rückſicht gegen das Geſchlecht der Spechte, die darin wohnen und auf den Müggelsberg-Kuppen in ähnlicher Weiſe heimiſch ſind, wie die Raben und Dohlen auf den Kirchthürmen alter Städte. Sie zimmern ſich mit geſchäftigem Schnabel ihre ſoliden Neſter in das harte Holz und machen, viel- leicht aus Geſelligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art Familienhaus. Oft fünfzig Neſter in einem Baum. Ueberall huſcht es heraus und hinein, pickt und kreiſcht, und im Vorüber- gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus ihren Löchern hervorlugen und neugierig ſind zu erfahren, ob Freund oder Feind im Anzuge ſei. So erreichen wir nach kurzem Gang unſer Ziel, eine kahle, kreisrunde Plattform. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von einem Feuer, das erſt geſtern gebrannt zu haben ſcheint; ſonſt Alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhang eine einzige Diſtel. Die Kiefern und Fichten, die bis dahin als dichtes Ge- büſch zu beiden Seiten des Weges ſtanden, hier haben ſie ſich abwärts gezogen und ragen nur noch mit ihren Gipfeln über das Plateau hinweg. In einem Rieſenkranze von dunklen Nadeln be- wegt ſich’s um uns her und nur eine einzige Kiefer, ein ſchlanker, hellrother Stamm, der ſtolz wie eine Pinie daſteht, ragt noch hoch auf, als ob es ein Flaggenſtock wär’, und ſtreckt ſeine grüne Krone wie ein Wahrzeichen weit in’s Land hinein. Wir lehnen uns an den Stamm des ſchönen Baumes und blicken weſtlich auf die Bilder modernen Lebens und lachender Gegenwart. Aus der Sand- und Sumpfwüſte früherer Jahr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/127
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/127>, abgerufen am 24.11.2024.