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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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sah, ein einziges Haus: die Müggelbude. Auf einer vor-
springenden Sanddüne gelegen, die sich vom Westufer aus in die
Müggel hinein erstreckt, ist sie oder war sie der geeignetste Punkt,
um den See und seine Ufer zu überblicken.

Eben diese Müggelbude, nach der von Cöpenick aus ein
reizender Spaziergang durch den Wald führt*), ist Leuchthurm,
Fischerwohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem ist sie doch
Gasthaus. Sie ist es nach jenem überall hervortretenden Gesetze,
welches in unwirthbaren Gegenden ein jedes einzeln stehende Haus
zum Gasthause macht. Die oft angerufene und oft gewährte
Hülfe führt schließlich dazu die Hülfe zu einem Geschäft zu machen.
So auch die Müggelbude. Freilich ist es ein wild-verwogenes
Geschlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden,
und der Fährmann, der erfahren haben mag, daß uns das Unglück
nicht blos zu seltsamen Schlafkameraden führt, sondern uns auch
umgekehrt ebenso seltsame Schlafkameraden bringt, hat wohlweislich
Vorkehrungen getroffen, um sein eigentliches Haus vor ihnen sicher
zu stellen. Seine Müggelbude repräsentirt ein "Gasthaus erster
Klasse"; für die Unbekannten und Schlecht-Legitimirten aber hat
er abwärts auf dem untersten schmalen Uferstreifen eine Art
Schiffer-Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das sich
See und Sand beständig streitig machen, erheben sich flachgewölbte
Holzhütten, die sich bei näherer Besichtigung als ausrangirte Schiffs-
kajüten erweisen. Durch die halb offen stehende Thür gewinnt
man Einblick in das Innere derselben: auf vier hohen Pfosten
ruht ein roh zusammengenagelter Kasten, groß genug für zwei

*) Parallel mit diesem Wege, der sich durch die Haide zieht, läuft die
Spree, hinter Bäumen verborgen. An einigen Stellen des Weges, und
zwar in der Richtung auf den Fluß zu, hat man den Wald gelichtet und nur
gerade noch Bäume genug am Ufer hin stehen lassen, um als grüner
Schirm für die Spree zu dienen. Diese stehen gebliebenen Bäume sind ziem-
lich hoch, aber die Masten der Spreekähne sind doch noch höher und so wachsen
denn die Oberseegel der vorüberkommenden Schiffe weit über die grünen Kronen
hinaus. Was diesen Anblick doppelt schön macht, ist, daß die Kiefern am
jenseitigen Ufer etwas höher stehn und nun wiederum ihrerseits einen dunklen
Hintergrund für die Segel bilden. Wer im Zwielicht hier des Weges kommt,
glaubt weiße Riesenvögel langsam und geräuschlos über und an den Wipfeln
hinschweben zu sehn.
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ſah, ein einziges Haus: die Müggelbude. Auf einer vor-
ſpringenden Sanddüne gelegen, die ſich vom Weſtufer aus in die
Müggel hinein erſtreckt, iſt ſie oder war ſie der geeignetſte Punkt,
um den See und ſeine Ufer zu überblicken.

Eben dieſe Müggelbude, nach der von Cöpenick aus ein
reizender Spaziergang durch den Wald führt*), iſt Leuchthurm,
Fiſcherwohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem iſt ſie doch
Gaſthaus. Sie iſt es nach jenem überall hervortretenden Geſetze,
welches in unwirthbaren Gegenden ein jedes einzeln ſtehende Haus
zum Gaſthauſe macht. Die oft angerufene und oft gewährte
Hülfe führt ſchließlich dazu die Hülfe zu einem Geſchäft zu machen.
So auch die Müggelbude. Freilich iſt es ein wild-verwogenes
Geſchlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden,
und der Fährmann, der erfahren haben mag, daß uns das Unglück
nicht blos zu ſeltſamen Schlafkameraden führt, ſondern uns auch
umgekehrt ebenſo ſeltſame Schlafkameraden bringt, hat wohlweislich
Vorkehrungen getroffen, um ſein eigentliches Haus vor ihnen ſicher
zu ſtellen. Seine Müggelbude repräſentirt ein „Gaſthaus erſter
Klaſſe“; für die Unbekannten und Schlecht-Legitimirten aber hat
er abwärts auf dem unterſten ſchmalen Uferſtreifen eine Art
Schiffer-Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das ſich
See und Sand beſtändig ſtreitig machen, erheben ſich flachgewölbte
Holzhütten, die ſich bei näherer Beſichtigung als ausrangirte Schiffs-
kajüten erweiſen. Durch die halb offen ſtehende Thür gewinnt
man Einblick in das Innere derſelben: auf vier hohen Pfoſten
ruht ein roh zuſammengenagelter Kaſten, groß genug für zwei

*) Parallel mit dieſem Wege, der ſich durch die Haide zieht, läuft die
Spree, hinter Bäumen verborgen. An einigen Stellen des Weges, und
zwar in der Richtung auf den Fluß zu, hat man den Wald gelichtet und nur
gerade noch Bäume genug am Ufer hin ſtehen laſſen, um als grüner
Schirm für die Spree zu dienen. Dieſe ſtehen gebliebenen Bäume ſind ziem-
lich hoch, aber die Maſten der Spreekähne ſind doch noch höher und ſo wachſen
denn die Oberſeegel der vorüberkommenden Schiffe weit über die grünen Kronen
hinaus. Was dieſen Anblick doppelt ſchön macht, iſt, daß die Kiefern am
jenſeitigen Ufer etwas höher ſtehn und nun wiederum ihrerſeits einen dunklen
Hintergrund für die Segel bilden. Wer im Zwielicht hier des Weges kommt,
glaubt weiße Rieſenvögel langſam und geräuſchlos über und an den Wipfeln
hinſchweben zu ſehn.
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[115/0131] ſah, ein einziges Haus: die Müggelbude. Auf einer vor- ſpringenden Sanddüne gelegen, die ſich vom Weſtufer aus in die Müggel hinein erſtreckt, iſt ſie oder war ſie der geeignetſte Punkt, um den See und ſeine Ufer zu überblicken. Eben dieſe Müggelbude, nach der von Cöpenick aus ein reizender Spaziergang durch den Wald führt *), iſt Leuchthurm, Fiſcherwohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem iſt ſie doch Gaſthaus. Sie iſt es nach jenem überall hervortretenden Geſetze, welches in unwirthbaren Gegenden ein jedes einzeln ſtehende Haus zum Gaſthauſe macht. Die oft angerufene und oft gewährte Hülfe führt ſchließlich dazu die Hülfe zu einem Geſchäft zu machen. So auch die Müggelbude. Freilich iſt es ein wild-verwogenes Geſchlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden, und der Fährmann, der erfahren haben mag, daß uns das Unglück nicht blos zu ſeltſamen Schlafkameraden führt, ſondern uns auch umgekehrt ebenſo ſeltſame Schlafkameraden bringt, hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um ſein eigentliches Haus vor ihnen ſicher zu ſtellen. Seine Müggelbude repräſentirt ein „Gaſthaus erſter Klaſſe“; für die Unbekannten und Schlecht-Legitimirten aber hat er abwärts auf dem unterſten ſchmalen Uferſtreifen eine Art Schiffer-Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das ſich See und Sand beſtändig ſtreitig machen, erheben ſich flachgewölbte Holzhütten, die ſich bei näherer Beſichtigung als ausrangirte Schiffs- kajüten erweiſen. Durch die halb offen ſtehende Thür gewinnt man Einblick in das Innere derſelben: auf vier hohen Pfoſten ruht ein roh zuſammengenagelter Kaſten, groß genug für zwei *) Parallel mit dieſem Wege, der ſich durch die Haide zieht, läuft die Spree, hinter Bäumen verborgen. An einigen Stellen des Weges, und zwar in der Richtung auf den Fluß zu, hat man den Wald gelichtet und nur gerade noch Bäume genug am Ufer hin ſtehen laſſen, um als grüner Schirm für die Spree zu dienen. Dieſe ſtehen gebliebenen Bäume ſind ziem- lich hoch, aber die Maſten der Spreekähne ſind doch noch höher und ſo wachſen denn die Oberſeegel der vorüberkommenden Schiffe weit über die grünen Kronen hinaus. Was dieſen Anblick doppelt ſchön macht, iſt, daß die Kiefern am jenſeitigen Ufer etwas höher ſtehn und nun wiederum ihrerſeits einen dunklen Hintergrund für die Segel bilden. Wer im Zwielicht hier des Weges kommt, glaubt weiße Rieſenvögel langſam und geräuſchlos über und an den Wipfeln hinſchweben zu ſehn. 8*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/131>, abgerufen am 24.11.2024.