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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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begegnete, war ein Heidelberger Freund, Sohn eines reichen In-
dustriellen, der willfährig mit seiner Reisekasse aushalf, muthmaß-
lich auch seine Wohnung zur Verfügung stellte. Die erborgte
Geldsumme wurde gewissenhaft getheilt, und die eine Hälfte in
Wäsche, Hut und Handschuhen, die andere in Cab-Fahrten und
Soupers bei Very und den Freres Provencaux angelegt. Ob er
die Ausstellung besuchte, ist mindestens zweifelhaft. Am zweiten
Tage war er pünktlich am Bahnhof, um die Rückreise anzutreten;
plötzlich aber, ganz nach Art eines kühnen Hazardeurs, von der
unbezwinglichen Neigung erfaßt sein Glück noch einmal zu ver-
suchen, trat er an das Schalter, ließ sein Billet abstempeln und
blieb. Er mochte -- und nicht ganz mit Unrecht -- davon aus-
gehen, daß nur von Seiten des Kassenmannes eine exakte Prüfung
des Billets zu gewärtigen, von dem im Momente der Abfahrt aber
die Controle führenden Schaffner nicht allzu viel böses zu befürch-
ten sei. Auf diesen Calcül hin, dehnte er seinen Pariser Aufent-
halt um weitere drei Tage, will sagen bis zur Erschöpfung der
letzten Resourcen aus, sah auch in Bezug auf Conducteur-
Controle seine Berechnungen glänzend gerechtfertigt, und ge-
langte glücklich bis Straßburg. Hier erst von der französischen
auf die deutsche Bahn übergehend, wurde die Sache bemerkt und
die Weiterfahrt verweigert. Aber so nah am Hafen, wollt' unser
Freund sein Schiff nicht scheitern lassen. Er verließ den Perron,
stellte sich auf die entgegengesetzte Seite der Wagenreihe, riß im
Moment der Abfahrt eine Coupethür auf und sprang hinein. So
kam er nach Karlsruhe, hungrig und keinen Kreuzer in der Tasche.
Gleichviel, bis hierher reichten die Heidelberger Beziehungen und
-- terra firma war wieder unter seinen Füßen.

Noch im selben Jahre, Herbst 1868, ging er, behufs Absol-
virung seines Militärjahres, in die Heimath zurück. Er trat bei
den Fürstenwalder Ulanen ein. Das kavalleristische Leben, das
Reiten und Pistolenschießen, das Straffe des Dienstes und da-
neben die kecke, mit der Gefahr spielende Ungebundenheit der freien
Stunden, das alles entsprach so recht dem Hange seiner Natur. Kein
Wunder also, daß er am Schluß seines Volontairjahres erklärte,
das Rechtsstudium aufgeben und die Frische des Daseins weiter
genießen zu wollen. Er blieb Soldat, trat von den 3. (Fürsten-

begegnete, war ein Heidelberger Freund, Sohn eines reichen In-
duſtriellen, der willfährig mit ſeiner Reiſekaſſe aushalf, muthmaß-
lich auch ſeine Wohnung zur Verfügung ſtellte. Die erborgte
Geldſumme wurde gewiſſenhaft getheilt, und die eine Hälfte in
Wäſche, Hut und Handſchuhen, die andere in Cab-Fahrten und
Soupers bei Very und den Frères Provencaux angelegt. Ob er
die Ausſtellung beſuchte, iſt mindeſtens zweifelhaft. Am zweiten
Tage war er pünktlich am Bahnhof, um die Rückreiſe anzutreten;
plötzlich aber, ganz nach Art eines kühnen Hazardeurs, von der
unbezwinglichen Neigung erfaßt ſein Glück noch einmal zu ver-
ſuchen, trat er an das Schalter, ließ ſein Billet abſtempeln und
blieb. Er mochte — und nicht ganz mit Unrecht — davon aus-
gehen, daß nur von Seiten des Kaſſenmannes eine exakte Prüfung
des Billets zu gewärtigen, von dem im Momente der Abfahrt aber
die Controle führenden Schaffner nicht allzu viel böſes zu befürch-
ten ſei. Auf dieſen Calcül hin, dehnte er ſeinen Pariſer Aufent-
halt um weitere drei Tage, will ſagen bis zur Erſchöpfung der
letzten Reſourcen aus, ſah auch in Bezug auf Conducteur-
Controle ſeine Berechnungen glänzend gerechtfertigt, und ge-
langte glücklich bis Straßburg. Hier erſt von der franzöſiſchen
auf die deutſche Bahn übergehend, wurde die Sache bemerkt und
die Weiterfahrt verweigert. Aber ſo nah am Hafen, wollt’ unſer
Freund ſein Schiff nicht ſcheitern laſſen. Er verließ den Perron,
ſtellte ſich auf die entgegengeſetzte Seite der Wagenreihe, riß im
Moment der Abfahrt eine Coupéthür auf und ſprang hinein. So
kam er nach Karlsruhe, hungrig und keinen Kreuzer in der Taſche.
Gleichviel, bis hierher reichten die Heidelberger Beziehungen und
terra firma war wieder unter ſeinen Füßen.

Noch im ſelben Jahre, Herbſt 1868, ging er, behufs Abſol-
virung ſeines Militärjahres, in die Heimath zurück. Er trat bei
den Fürſtenwalder Ulanen ein. Das kavalleriſtiſche Leben, das
Reiten und Piſtolenſchießen, das Straffe des Dienſtes und da-
neben die kecke, mit der Gefahr ſpielende Ungebundenheit der freien
Stunden, das alles entſprach ſo recht dem Hange ſeiner Natur. Kein
Wunder alſo, daß er am Schluß ſeines Volontairjahres erklärte,
das Rechtsſtudium aufgeben und die Friſche des Daſeins weiter
genießen zu wollen. Er blieb Soldat, trat von den 3. (Fürſten-

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[121/0137] begegnete, war ein Heidelberger Freund, Sohn eines reichen In- duſtriellen, der willfährig mit ſeiner Reiſekaſſe aushalf, muthmaß- lich auch ſeine Wohnung zur Verfügung ſtellte. Die erborgte Geldſumme wurde gewiſſenhaft getheilt, und die eine Hälfte in Wäſche, Hut und Handſchuhen, die andere in Cab-Fahrten und Soupers bei Very und den Frères Provencaux angelegt. Ob er die Ausſtellung beſuchte, iſt mindeſtens zweifelhaft. Am zweiten Tage war er pünktlich am Bahnhof, um die Rückreiſe anzutreten; plötzlich aber, ganz nach Art eines kühnen Hazardeurs, von der unbezwinglichen Neigung erfaßt ſein Glück noch einmal zu ver- ſuchen, trat er an das Schalter, ließ ſein Billet abſtempeln und blieb. Er mochte — und nicht ganz mit Unrecht — davon aus- gehen, daß nur von Seiten des Kaſſenmannes eine exakte Prüfung des Billets zu gewärtigen, von dem im Momente der Abfahrt aber die Controle führenden Schaffner nicht allzu viel böſes zu befürch- ten ſei. Auf dieſen Calcül hin, dehnte er ſeinen Pariſer Aufent- halt um weitere drei Tage, will ſagen bis zur Erſchöpfung der letzten Reſourcen aus, ſah auch in Bezug auf Conducteur- Controle ſeine Berechnungen glänzend gerechtfertigt, und ge- langte glücklich bis Straßburg. Hier erſt von der franzöſiſchen auf die deutſche Bahn übergehend, wurde die Sache bemerkt und die Weiterfahrt verweigert. Aber ſo nah am Hafen, wollt’ unſer Freund ſein Schiff nicht ſcheitern laſſen. Er verließ den Perron, ſtellte ſich auf die entgegengeſetzte Seite der Wagenreihe, riß im Moment der Abfahrt eine Coupéthür auf und ſprang hinein. So kam er nach Karlsruhe, hungrig und keinen Kreuzer in der Taſche. Gleichviel, bis hierher reichten die Heidelberger Beziehungen und — terra firma war wieder unter ſeinen Füßen. Noch im ſelben Jahre, Herbſt 1868, ging er, behufs Abſol- virung ſeines Militärjahres, in die Heimath zurück. Er trat bei den Fürſtenwalder Ulanen ein. Das kavalleriſtiſche Leben, das Reiten und Piſtolenſchießen, das Straffe des Dienſtes und da- neben die kecke, mit der Gefahr ſpielende Ungebundenheit der freien Stunden, das alles entſprach ſo recht dem Hange ſeiner Natur. Kein Wunder alſo, daß er am Schluß ſeines Volontairjahres erklärte, das Rechtsſtudium aufgeben und die Friſche des Daſeins weiter genießen zu wollen. Er blieb Soldat, trat von den 3. (Fürſten-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/137>, abgerufen am 24.11.2024.