auf Artikel 207 unsres Code militaire, zum Tode verurtheilt worden ist. Mit ihm Mr. Bauer, der den Eintritt des jungen Offiziers in diese unsre Festung Thionville begünstigt hatte. Jede Vorschrift unsrer Militair-Gerichtsbarkeit ist innegehalten und heute früh das Urtheil vollstreckt worden.
Wie ich schon die Ehre hatte, in einem Schreiben vom 21. d. M. Ihnen zu melden, ist Fähnrich Anderssen durch den Chef- arzt unseres Militär-Hospitals sowohl im Gefängniß wie vor dem Kriegsgericht, dazu auch in den von ihm geschriebenen Briefen auf das Aufmerksamste untersucht worden. Das Resultat dieser Untersuchung hat ergeben, daß der junge Offizier von dem Tag an wo er seinen Fehltritt beging, bis zu dem wo er dafür büßte, bei völligster und ruhigster Ueberlegung gewesen ist.
Fähnrich Anderssen hat im Uebrigen all die Zeit hindurch eine vorzügliche, eben so passende wie würdige Haltung bewiesen und ist gestorben wie ein ächter Soldat (il est mort en vrai soldat).
Ich bedaure, daß meine überaus schwierige Lage und die Macht der Umstände mir nicht gestattet haben, den Gang dieser furchtbaren Angelegenheit (de cette terrible affaire) aufzuhalten.
Empfangen Sie, mein Herr Oberst, die Versicherung meiner auszeichnendsten Gefühle.
Thionville, am 29. Oktober 70.
Turnier, Oberst und erster Kommandant."
Ende Februar -- der Präliminarfriede war inzwischen ge- schlossen -- wurde die Leiche ausgegraben, um nach Berlin über- geführt zu werden. Thionville hatte um diese Zeit bereits eine preußische Besatzung, vom 30. Regiment wenn ich nicht irre. Die Erinnerung an den so jung und so brav Gestorbenen war noch in aller Herzen lebendig, und als der Conduct durch die Straßen der Stadt ging, dem Eisenbahnhofe zu, schloß sich die ganze männ- liche Bevölkerung dem Militär-Kommando an, alle Frauen und Mädchen aber standen an den offenen Fenstern und folgten theil- nahmevoll dem langen Zuge. Tugend und Tapferkeit erobern jedes Herz, auch das des Feindes.
Am 10. März traf der Sarg hier ein und wurd' in der
auf Artikel 207 unſres Code militaire, zum Tode verurtheilt worden iſt. Mit ihm Mr. Bauer, der den Eintritt des jungen Offiziers in dieſe unſre Feſtung Thionville begünſtigt hatte. Jede Vorſchrift unſrer Militair-Gerichtsbarkeit iſt innegehalten und heute früh das Urtheil vollſtreckt worden.
Wie ich ſchon die Ehre hatte, in einem Schreiben vom 21. d. M. Ihnen zu melden, iſt Fähnrich Anderſſen durch den Chef- arzt unſeres Militär-Hoſpitals ſowohl im Gefängniß wie vor dem Kriegsgericht, dazu auch in den von ihm geſchriebenen Briefen auf das Aufmerkſamſte unterſucht worden. Das Reſultat dieſer Unterſuchung hat ergeben, daß der junge Offizier von dem Tag an wo er ſeinen Fehltritt beging, bis zu dem wo er dafür büßte, bei völligſter und ruhigſter Ueberlegung geweſen iſt.
Fähnrich Anderſſen hat im Uebrigen all die Zeit hindurch eine vorzügliche, eben ſo paſſende wie würdige Haltung bewieſen und iſt geſtorben wie ein ächter Soldat (il est mort en vrai soldat).
Ich bedaure, daß meine überaus ſchwierige Lage und die Macht der Umſtände mir nicht geſtattet haben, den Gang dieſer furchtbaren Angelegenheit (de cette terrible affaire) aufzuhalten.
Empfangen Sie, mein Herr Oberſt, die Verſicherung meiner auszeichnendſten Gefühle.
Thionville, am 29. Oktober 70.
Turnier, Oberſt und erſter Kommandant.“
Ende Februar — der Präliminarfriede war inzwiſchen ge- ſchloſſen — wurde die Leiche ausgegraben, um nach Berlin über- geführt zu werden. Thionville hatte um dieſe Zeit bereits eine preußiſche Beſatzung, vom 30. Regiment wenn ich nicht irre. Die Erinnerung an den ſo jung und ſo brav Geſtorbenen war noch in aller Herzen lebendig, und als der Conduct durch die Straßen der Stadt ging, dem Eiſenbahnhofe zu, ſchloß ſich die ganze männ- liche Bevölkerung dem Militär-Kommando an, alle Frauen und Mädchen aber ſtanden an den offenen Fenſtern und folgten theil- nahmevoll dem langen Zuge. Tugend und Tapferkeit erobern jedes Herz, auch das des Feindes.
Am 10. März traf der Sarg hier ein und wurd’ in der
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auf Artikel 207 unſres Code militaire, zum Tode verurtheilt
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Offiziers in dieſe unſre Feſtung Thionville begünſtigt hatte. Jede
Vorſchrift unſrer Militair-Gerichtsbarkeit iſt innegehalten und
heute früh das Urtheil vollſtreckt worden.
Wie ich ſchon die Ehre hatte, in einem Schreiben vom 21.
d. M. Ihnen zu melden, iſt Fähnrich Anderſſen durch den Chef-
arzt unſeres Militär-Hoſpitals ſowohl im Gefängniß wie vor dem
Kriegsgericht, dazu auch in den von ihm geſchriebenen Briefen
auf das Aufmerkſamſte unterſucht worden. Das Reſultat dieſer
Unterſuchung hat ergeben, daß der junge Offizier von dem Tag
an wo er ſeinen Fehltritt beging, bis zu dem wo er dafür büßte,
bei völligſter und ruhigſter Ueberlegung geweſen iſt.
Fähnrich Anderſſen hat im Uebrigen all die Zeit hindurch
eine vorzügliche, eben ſo paſſende wie würdige Haltung bewieſen
und iſt geſtorben wie ein ächter Soldat (il est mort en vrai
soldat).
Ich bedaure, daß meine überaus ſchwierige Lage und die
Macht der Umſtände mir nicht geſtattet haben, den Gang dieſer
furchtbaren Angelegenheit (de cette terrible affaire) aufzuhalten.
Empfangen Sie, mein Herr Oberſt, die Verſicherung meiner
auszeichnendſten Gefühle.
Thionville, am 29. Oktober 70.
Turnier,
Oberſt und erſter Kommandant.“
Ende Februar — der Präliminarfriede war inzwiſchen ge-
ſchloſſen — wurde die Leiche ausgegraben, um nach Berlin über-
geführt zu werden. Thionville hatte um dieſe Zeit bereits eine
preußiſche Beſatzung, vom 30. Regiment wenn ich nicht irre. Die
Erinnerung an den ſo jung und ſo brav Geſtorbenen war noch
in aller Herzen lebendig, und als der Conduct durch die Straßen
der Stadt ging, dem Eiſenbahnhofe zu, ſchloß ſich die ganze männ-
liche Bevölkerung dem Militär-Kommando an, alle Frauen und
Mädchen aber ſtanden an den offenen Fenſtern und folgten theil-
nahmevoll dem langen Zuge. Tugend und Tapferkeit erobern
jedes Herz, auch das des Feindes.
Am 10. März traf der Sarg hier ein und wurd’ in der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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