dafür zu sorgen, daß Ihr meine Sachen bekommt. Den kleinen Ring schenke ich Wally. Es ist der Stein aber verloren.
Nachschrift: Es ist Sonnabend, 29. Oktober, Morgens 51/2 Uhr. Um 61/2 Uhr ist die Exekution. Ich sage Euch noch einmal, eine Stunde vor meinem Tode, Lebewohl und bitte Euch, Euch bald zu trösten. Lebt wohl.
Euer Sohn Alexander Anderssen."
Ich muß hier den Gang der Erzählung einen Augenblick unterbrechen. Diese Schriftstücke, in ihrer schlichten und tief-inner- lichen Abfassung, berühren mich auch heute wieder, wo ich sie zum Druck gebe, als wahre Musterstücke schönen Menschenthums. Gleich schön in ihrem Kampf, wie in ihrem Sieg. In dem ersten, längeren Brief noch ein Ringen, der Schmerz des sich Losreißen- Müssens; in dem zweiten Brief und seiner Nachschrift die ganze Ruhe dessen, der überwunden hat. Von Heldenkomödie und Feigheits-Winselei gleich fern, gönnen uns diese Zeilen einen Ein- blick in ein nobles und durch Todesbitterkeit geläutertes Herz.
Um 61/2 Uhr hielt der Wagen vor dem Maison d'Arret. Anderssen war fertig. Eine Cigarrette anzündend, ein paar andere zu sich steckend, stieg er rasch in den Fiacker hinein. Angesichts des Todes hatte er ganz jene elastische Nervosität, jene Be- herrschungskraft wiedergewonnen, die ihn von Jugend auf so sehr ausgezeichnet hatte. Die Aussagen des Gefangenwärters, des Executions-Kommandos, endlich des Kommandanten selbst, lassen darüber keinen Zweifel. In dem Wallgraben angekommen, wo die Execution stattfinden sollte, lehnte er Niederknien und Augenver- binden ab. Aufrecht stellte er sich vor die Gewehrläufe. "Gut schießen", wandt' er sich an die Mobilegarden-Section; "hierher" und dabei legte er die Hand auf die Brust. Dann warf er mit der Linken die Cigarrette in die Luft und rief: "Es lebe der König". Von neun Kugeln durchbohrt, brach er zusammen.
Oberst Turnier richtete noch am selben Tage folgendes Schreiben an den Kommandeur des 4. Ulanen-Regiments:
"Mein Herr Oberst! Ich habe die Ehre, Sie wissen zu lassen, daß Fähnrich Anderssen vom 4. Ulanen-Regiment durch ein am 24. d. M. zusammengetretenes Kriegsgericht, und zwar gestützt
dafür zu ſorgen, daß Ihr meine Sachen bekommt. Den kleinen Ring ſchenke ich Wally. Es iſt der Stein aber verloren.
Nachſchrift: Es iſt Sonnabend, 29. Oktober, Morgens 5½ Uhr. Um 6½ Uhr iſt die Exekution. Ich ſage Euch noch einmal, eine Stunde vor meinem Tode, Lebewohl und bitte Euch, Euch bald zu tröſten. Lebt wohl.
Euer Sohn Alexander Anderſſen.“
Ich muß hier den Gang der Erzählung einen Augenblick unterbrechen. Dieſe Schriftſtücke, in ihrer ſchlichten und tief-inner- lichen Abfaſſung, berühren mich auch heute wieder, wo ich ſie zum Druck gebe, als wahre Muſterſtücke ſchönen Menſchenthums. Gleich ſchön in ihrem Kampf, wie in ihrem Sieg. In dem erſten, längeren Brief noch ein Ringen, der Schmerz des ſich Losreißen- Müſſens; in dem zweiten Brief und ſeiner Nachſchrift die ganze Ruhe deſſen, der überwunden hat. Von Heldenkomödie und Feigheits-Winſelei gleich fern, gönnen uns dieſe Zeilen einen Ein- blick in ein nobles und durch Todesbitterkeit geläutertes Herz.
Um 6½ Uhr hielt der Wagen vor dem Maiſon d’Arrêt. Anderſſen war fertig. Eine Cigarrette anzündend, ein paar andere zu ſich ſteckend, ſtieg er raſch in den Fiacker hinein. Angeſichts des Todes hatte er ganz jene elaſtiſche Nervoſität, jene Be- herrſchungskraft wiedergewonnen, die ihn von Jugend auf ſo ſehr ausgezeichnet hatte. Die Ausſagen des Gefangenwärters, des Executions-Kommandos, endlich des Kommandanten ſelbſt, laſſen darüber keinen Zweifel. In dem Wallgraben angekommen, wo die Execution ſtattfinden ſollte, lehnte er Niederknien und Augenver- binden ab. Aufrecht ſtellte er ſich vor die Gewehrläufe. „Gut ſchießen“, wandt’ er ſich an die Mobilegarden-Section; „hierher“ und dabei legte er die Hand auf die Bruſt. Dann warf er mit der Linken die Cigarrette in die Luft und rief: „Es lebe der König“. Von neun Kugeln durchbohrt, brach er zuſammen.
Oberſt Turnier richtete noch am ſelben Tage folgendes Schreiben an den Kommandeur des 4. Ulanen-Regiments:
„Mein Herr Oberſt! Ich habe die Ehre, Sie wiſſen zu laſſen, daß Fähnrich Anderſſen vom 4. Ulanen-Regiment durch ein am 24. d. M. zuſammengetretenes Kriegsgericht, und zwar geſtützt
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5½ Uhr. Um 6½ Uhr iſt die Exekution. Ich ſage Euch noch
einmal, eine Stunde vor meinem Tode, Lebewohl und bitte Euch,
Euch bald zu tröſten. Lebt wohl.
Euer Sohn Alexander Anderſſen.“
Ich muß hier den Gang der Erzählung einen Augenblick
unterbrechen. Dieſe Schriftſtücke, in ihrer ſchlichten und tief-inner-
lichen Abfaſſung, berühren mich auch heute wieder, wo ich ſie zum
Druck gebe, als wahre Muſterſtücke ſchönen Menſchenthums. Gleich
ſchön in ihrem Kampf, wie in ihrem Sieg. In dem erſten,
längeren Brief noch ein Ringen, der Schmerz des ſich Losreißen-
Müſſens; in dem zweiten Brief und ſeiner Nachſchrift die ganze
Ruhe deſſen, der überwunden hat. Von Heldenkomödie und
Feigheits-Winſelei gleich fern, gönnen uns dieſe Zeilen einen Ein-
blick in ein nobles und durch Todesbitterkeit geläutertes Herz.
Um 6½ Uhr hielt der Wagen vor dem Maiſon d’Arrêt.
Anderſſen war fertig. Eine Cigarrette anzündend, ein paar andere
zu ſich ſteckend, ſtieg er raſch in den Fiacker hinein. Angeſichts
des Todes hatte er ganz jene elaſtiſche Nervoſität, jene Be-
herrſchungskraft wiedergewonnen, die ihn von Jugend auf ſo ſehr
ausgezeichnet hatte. Die Ausſagen des Gefangenwärters, des
Executions-Kommandos, endlich des Kommandanten ſelbſt, laſſen
darüber keinen Zweifel. In dem Wallgraben angekommen, wo die
Execution ſtattfinden ſollte, lehnte er Niederknien und Augenver-
binden ab. Aufrecht ſtellte er ſich vor die Gewehrläufe. „Gut
ſchießen“, wandt’ er ſich an die Mobilegarden-Section; „hierher“
und dabei legte er die Hand auf die Bruſt. Dann warf er mit
der Linken die Cigarrette in die Luft und rief: „Es lebe der König“.
Von neun Kugeln durchbohrt, brach er zuſammen.
Oberſt Turnier richtete noch am ſelben Tage folgendes
Schreiben an den Kommandeur des 4. Ulanen-Regiments:
„Mein Herr Oberſt! Ich habe die Ehre, Sie wiſſen zu
laſſen, daß Fähnrich Anderſſen vom 4. Ulanen-Regiment durch ein
am 24. d. M. zuſammengetretenes Kriegsgericht, und zwar geſtützt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/143>, abgerufen am 24.11.2024.
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