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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Auch in diesen Strophen mag sich ein starkes Anlehnen an
einzelne Vorbilder aus dem hallensisch-pietistischen Dichterkreise
nachweisen lassen, aber der Laie wird dadurch wenig gestört werden.
Seine Laienschaft kommt ihm und dem Dichter zu Statten. Das
Maaß unseres Wissens bestimmt auch das unsrer Ansprüche. Je
lebendiger Jemand die großen Originale, die Kraft- und Kern-
lieder deutscher Nation gegenwärtig hat, desto ablehnender wird er
sich gegen Lieder verhalten, die für sein geübtes Ohr eben nur
ein Wiederklang sind. Wer indessen weniger bewandert darin ist,
wird leichter befriedigt sein. In der weltlichen Dichtung sehen
wir Aehnliches. Wer den Heine nicht kennt, erfreut sich auch an
den Nachbildungen desselben, wer ihn kennt, verhält sich gegensätzlich
gegen Alles, was heinisirt.

Gewiß -- und damit schließen wir -- ist Woltersdorf nicht
den großen Gestalten unter unsren Kirchenlied-Dichtern zuzuzählen,
dazu war er zu wenig eine Kraftnatur. Im Gegentheil, etwas
Krankhaftes zieht sich durch sein Leben und spiegelt sich auch in
seiner dichterischen Hyperproduction. Aber zweierlei muß ihm
verbleiben, und während er immer als ein Musterbeispiel für
den wunderbaren Einfluß "des geistigen Fluidums über die
träge Masse" dastehen wird, wird er andrerseits, wenigstens
provinziell und local, eine hervorragende Bedeutung auf seinem
speziellen Gebiete beanspruchen dürfen. Mark Brandenburg
hat auf dem Gebiete des Kirchenliedes keinen besseren aufzuweisen,
auch wohl keinen, der sich neben ihm behaupten könnte.

Schloß Friedrichsfelde steht noch, wie es 1719 und 1735
aufgeführt wurde, das alte Pfarrhaus aber, abgelöst durch einen
unmittelbar neben ihm entstandenen Neubau, ist längst hinüber.
Ein Garten füllt jetzt den Platz, wo das alte stand, und ein Birn-
baum blüht jeden 31. Mai an derselben Stelle, wo Woltersdorf
der Dichter geboren wurde.



Fontane, Wanderungen. IV. 11

Auch in dieſen Strophen mag ſich ein ſtarkes Anlehnen an
einzelne Vorbilder aus dem hallenſiſch-pietiſtiſchen Dichterkreiſe
nachweiſen laſſen, aber der Laie wird dadurch wenig geſtört werden.
Seine Laienſchaft kommt ihm und dem Dichter zu Statten. Das
Maaß unſeres Wiſſens beſtimmt auch das unſrer Anſprüche. Je
lebendiger Jemand die großen Originale, die Kraft- und Kern-
lieder deutſcher Nation gegenwärtig hat, deſto ablehnender wird er
ſich gegen Lieder verhalten, die für ſein geübtes Ohr eben nur
ein Wiederklang ſind. Wer indeſſen weniger bewandert darin iſt,
wird leichter befriedigt ſein. In der weltlichen Dichtung ſehen
wir Aehnliches. Wer den Heine nicht kennt, erfreut ſich auch an
den Nachbildungen deſſelben, wer ihn kennt, verhält ſich gegenſätzlich
gegen Alles, was heiniſirt.

Gewiß — und damit ſchließen wir — iſt Woltersdorf nicht
den großen Geſtalten unter unſren Kirchenlied-Dichtern zuzuzählen,
dazu war er zu wenig eine Kraftnatur. Im Gegentheil, etwas
Krankhaftes zieht ſich durch ſein Leben und ſpiegelt ſich auch in
ſeiner dichteriſchen Hyperproduction. Aber zweierlei muß ihm
verbleiben, und während er immer als ein Muſterbeiſpiel für
den wunderbaren Einfluß „des geiſtigen Fluidums über die
träge Maſſe“ daſtehen wird, wird er andrerſeits, wenigſtens
provinziell und local, eine hervorragende Bedeutung auf ſeinem
ſpeziellen Gebiete beanſpruchen dürfen. Mark Brandenburg
hat auf dem Gebiete des Kirchenliedes keinen beſſeren aufzuweiſen,
auch wohl keinen, der ſich neben ihm behaupten könnte.

Schloß Friedrichsfelde ſteht noch, wie es 1719 und 1735
aufgeführt wurde, das alte Pfarrhaus aber, abgelöſt durch einen
unmittelbar neben ihm entſtandenen Neubau, iſt längſt hinüber.
Ein Garten füllt jetzt den Platz, wo das alte ſtand, und ein Birn-
baum blüht jeden 31. Mai an derſelben Stelle, wo Woltersdorf
der Dichter geboren wurde.



Fontane, Wanderungen. IV. 11
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[161/0177] Auch in dieſen Strophen mag ſich ein ſtarkes Anlehnen an einzelne Vorbilder aus dem hallenſiſch-pietiſtiſchen Dichterkreiſe nachweiſen laſſen, aber der Laie wird dadurch wenig geſtört werden. Seine Laienſchaft kommt ihm und dem Dichter zu Statten. Das Maaß unſeres Wiſſens beſtimmt auch das unſrer Anſprüche. Je lebendiger Jemand die großen Originale, die Kraft- und Kern- lieder deutſcher Nation gegenwärtig hat, deſto ablehnender wird er ſich gegen Lieder verhalten, die für ſein geübtes Ohr eben nur ein Wiederklang ſind. Wer indeſſen weniger bewandert darin iſt, wird leichter befriedigt ſein. In der weltlichen Dichtung ſehen wir Aehnliches. Wer den Heine nicht kennt, erfreut ſich auch an den Nachbildungen deſſelben, wer ihn kennt, verhält ſich gegenſätzlich gegen Alles, was heiniſirt. Gewiß — und damit ſchließen wir — iſt Woltersdorf nicht den großen Geſtalten unter unſren Kirchenlied-Dichtern zuzuzählen, dazu war er zu wenig eine Kraftnatur. Im Gegentheil, etwas Krankhaftes zieht ſich durch ſein Leben und ſpiegelt ſich auch in ſeiner dichteriſchen Hyperproduction. Aber zweierlei muß ihm verbleiben, und während er immer als ein Muſterbeiſpiel für den wunderbaren Einfluß „des geiſtigen Fluidums über die träge Maſſe“ daſtehen wird, wird er andrerſeits, wenigſtens provinziell und local, eine hervorragende Bedeutung auf ſeinem ſpeziellen Gebiete beanſpruchen dürfen. Mark Brandenburg hat auf dem Gebiete des Kirchenliedes keinen beſſeren aufzuweiſen, auch wohl keinen, der ſich neben ihm behaupten könnte. Schloß Friedrichsfelde ſteht noch, wie es 1719 und 1735 aufgeführt wurde, das alte Pfarrhaus aber, abgelöſt durch einen unmittelbar neben ihm entſtandenen Neubau, iſt längſt hinüber. Ein Garten füllt jetzt den Platz, wo das alte ſtand, und ein Birn- baum blüht jeden 31. Mai an derſelben Stelle, wo Woltersdorf der Dichter geboren wurde. Fontane, Wanderungen. IV. 11

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/177>, abgerufen am 21.11.2024.