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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Spener in der Nikolaikirche die Gedächtnißpredigt; den Inhalt
seines Lebens aber stellen wir zu folgender Grabschrift zusammen:

"Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürstlichen Durchlaucht
zu Brandenburg wohlbestallter Geheime-Rath und Staats-
minister, geb. zu Berlin (nach anderen zu Lindenberg bei
Berlin) den 27. November 1654, gest. den 11. August 1699, im
45. Jahre seines Alters. Was das Leben erhöht und verschönt,
das übte und pflegte er. Er liebte die Kunst und die Menschen;
die Freundschaft hielt er hoch, die Treue am höchsten. Er war
klug ohne Arg; ein männlicher Sinn, ein kindliches Herz. Er
liebte die Welt, aber er empfand ihre Eitelkeit; Glaube und
Sehnsucht wuchsen in seinem Herzen und trugen ihn aufwärts."*)


Ich hab in Vorstehendem den Menschen Canitz als eine lie-
benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu schildern ver-
sucht; es bleibt noch die Frage übrig nach seiner politischen
Bedeutung und nach seinem poetischen Werth. War er ein
Staatsmann? war er ein Poet? Das Erstere gewiß, das Zweite
kaum minder.

Die Natur schien ihn für die diplomatische Laufbahn im
Voraus geschaffen zu haben, und die complicirten Verwandtschafts-
grade darin er stand (auch die Mutter seiner Frau war drei-
mal verheirathet gewesen) hatten von Jugend auf dahin ge-
wirkt, diese seine natürliche Beanlagung auszubilden. Eine
uns aufbewahrte Charakteristik seines Wesens zeigt am besten,
wie außerordentlich er sich für seine Laufbahn eignete, darin da-

*) Canitz und seine erste Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grabmäler
ich in der obengenannten Marienkirche zu Berlin lange vergeblich suchte, sind
nichtsdestoweniger in derselben wirklich beigesetzt worden, aber in dem Roebel-
schen Erbbegräbniß, dessen ich in dem Kapitel Buch bereits eingehender
erwähnt habe. Da dies Erbbegräbniß, in dem, laut Stadtrath Klein's
Geschichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien: der Roebels,
Canstein und Canitz beigesetzt wurden, seit etwa 40 Jahren zugemauert ist,
so ist es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inschriften zu befragen.
Möglich, daß dieselben, z. B. über den Geburtsort Canitz's, einen bestimmten
Aufschluß geben würden.

Spener in der Nikolaikirche die Gedächtnißpredigt; den Inhalt
ſeines Lebens aber ſtellen wir zu folgender Grabſchrift zuſammen:

„Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürſtlichen Durchlaucht
zu Brandenburg wohlbeſtallter Geheime-Rath und Staats-
miniſter, geb. zu Berlin (nach anderen zu Lindenberg bei
Berlin) den 27. November 1654, geſt. den 11. Auguſt 1699, im
45. Jahre ſeines Alters. Was das Leben erhöht und verſchönt,
das übte und pflegte er. Er liebte die Kunſt und die Menſchen;
die Freundſchaft hielt er hoch, die Treue am höchſten. Er war
klug ohne Arg; ein männlicher Sinn, ein kindliches Herz. Er
liebte die Welt, aber er empfand ihre Eitelkeit; Glaube und
Sehnſucht wuchſen in ſeinem Herzen und trugen ihn aufwärts.“*)


Ich hab in Vorſtehendem den Menſchen Canitz als eine lie-
benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu ſchildern ver-
ſucht; es bleibt noch die Frage übrig nach ſeiner politiſchen
Bedeutung und nach ſeinem poetiſchen Werth. War er ein
Staatsmann? war er ein Poet? Das Erſtere gewiß, das Zweite
kaum minder.

Die Natur ſchien ihn für die diplomatiſche Laufbahn im
Voraus geſchaffen zu haben, und die complicirten Verwandtſchafts-
grade darin er ſtand (auch die Mutter ſeiner Frau war drei-
mal verheirathet geweſen) hatten von Jugend auf dahin ge-
wirkt, dieſe ſeine natürliche Beanlagung auszubilden. Eine
uns aufbewahrte Charakteriſtik ſeines Weſens zeigt am beſten,
wie außerordentlich er ſich für ſeine Laufbahn eignete, darin da-

*) Canitz und ſeine erſte Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grabmäler
ich in der obengenannten Marienkirche zu Berlin lange vergeblich ſuchte, ſind
nichtsdeſtoweniger in derſelben wirklich beigeſetzt worden, aber in dem Roebel-
ſchen Erbbegräbniß, deſſen ich in dem Kapitel Buch bereits eingehender
erwähnt habe. Da dies Erbbegräbniß, in dem, laut Stadtrath Klein’s
Geſchichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien: der Roebels,
Canſtein und Canitz beigeſetzt wurden, ſeit etwa 40 Jahren zugemauert iſt,
ſo iſt es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inſchriften zu befragen.
Möglich, daß dieſelben, z. B. über den Geburtsort Canitz’s, einen beſtimmten
Aufſchluß geben würden.
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[204/0220] Spener in der Nikolaikirche die Gedächtnißpredigt; den Inhalt ſeines Lebens aber ſtellen wir zu folgender Grabſchrift zuſammen: „Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürſtlichen Durchlaucht zu Brandenburg wohlbeſtallter Geheime-Rath und Staats- miniſter, geb. zu Berlin (nach anderen zu Lindenberg bei Berlin) den 27. November 1654, geſt. den 11. Auguſt 1699, im 45. Jahre ſeines Alters. Was das Leben erhöht und verſchönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunſt und die Menſchen; die Freundſchaft hielt er hoch, die Treue am höchſten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn, ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er empfand ihre Eitelkeit; Glaube und Sehnſucht wuchſen in ſeinem Herzen und trugen ihn aufwärts.“ *) Ich hab in Vorſtehendem den Menſchen Canitz als eine lie- benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu ſchildern ver- ſucht; es bleibt noch die Frage übrig nach ſeiner politiſchen Bedeutung und nach ſeinem poetiſchen Werth. War er ein Staatsmann? war er ein Poet? Das Erſtere gewiß, das Zweite kaum minder. Die Natur ſchien ihn für die diplomatiſche Laufbahn im Voraus geſchaffen zu haben, und die complicirten Verwandtſchafts- grade darin er ſtand (auch die Mutter ſeiner Frau war drei- mal verheirathet geweſen) hatten von Jugend auf dahin ge- wirkt, dieſe ſeine natürliche Beanlagung auszubilden. Eine uns aufbewahrte Charakteriſtik ſeines Weſens zeigt am beſten, wie außerordentlich er ſich für ſeine Laufbahn eignete, darin da- *) Canitz und ſeine erſte Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grabmäler ich in der obengenannten Marienkirche zu Berlin lange vergeblich ſuchte, ſind nichtsdeſtoweniger in derſelben wirklich beigeſetzt worden, aber in dem Roebel- ſchen Erbbegräbniß, deſſen ich in dem Kapitel Buch bereits eingehender erwähnt habe. Da dies Erbbegräbniß, in dem, laut Stadtrath Klein’s Geſchichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien: der Roebels, Canſtein und Canitz beigeſetzt wurden, ſeit etwa 40 Jahren zugemauert iſt, ſo iſt es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inſchriften zu befragen. Möglich, daß dieſelben, z. B. über den Geburtsort Canitz’s, einen beſtimmten Aufſchluß geben würden.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/220>, abgerufen am 26.11.2024.