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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Werneuchen gehörte wie Zossen, Trebbin, Baruth u. a. m.
zu jenen bevorzugten Oertern, die sich ohne besonderes Verdienst,
in jener kurzen Epoche die zwischen dem Sandweg und dem
Schienenweg lag und die man das Chaussee-Interregnum nennen
könnte, zu einer gewissen Reputation emporarbeiteten. Und viel-
leicht wurde dies Grund und Ursach, daß man, als das eherne
Zeitalter der Eisenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens
für gekommen hielt und vor seiner Zukunft (denn die Bahn nahm
eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte sich daran gewöhnt,
Werneuchen und Passagierstube für identisch anzusehen; nun be-
seitigte man diese mit einem Federstrich und die Frage trat bang
an jedes Herz: "was bleibt noch übrig? was wird?" Aber die
Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie
immer, schlimmer gewesen als die Sache selbst, und Werneuchen
blieb im Wesentlichen was es vorher gewesen war. Die Frucht-
barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald
das Deficit, wenn überhaupt ein solches entstand, und der freund-
lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalousieen wurden
nicht weniger, sondern mehr.

In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines sauberen
und an Wohlhabenheit immer wachsenden Städtchens. Aber es
ist doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau,
wohin ich den Leser zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um
70 Jahr in seiner Geschichte zurück und rüsten uns zu einem Be-
such in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieses
Jahrhunderts war.

Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chaussee,
die noch gar nicht vorhanden oder doch erst im Bau begriffen
war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fensterladen mit dem
rothen Anstrich und den eingeschnittenen Herzen zu verdrängen, und
die Strohdächer mit ihrem Storchennest und ihren schief stehenden
Schornsteinen überhoben den Besucher -- trotz der zwei Bürgermeister
die Werneuchen damals hatte -- der jetzt so heikel gewordenen Frage
von "Dorf oder Stadt." Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit
mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in
Wald oder Feld ein Schuß fiel, so wußte man, daß es die Büchse
des Försters sei, der am Gamen-Grunde, hart an der Stelle wo

Werneuchen gehörte wie Zoſſen, Trebbin, Baruth u. a. m.
zu jenen bevorzugten Oertern, die ſich ohne beſonderes Verdienſt,
in jener kurzen Epoche die zwiſchen dem Sandweg und dem
Schienenweg lag und die man das Chauſſee-Interregnum nennen
könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Und viel-
leicht wurde dies Grund und Urſach, daß man, als das eherne
Zeitalter der Eiſenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens
für gekommen hielt und vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm
eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt,
Werneuchen und Paſſagierſtube für identiſch anzuſehen; nun be-
ſeitigte man dieſe mit einem Federſtrich und die Frage trat bang
an jedes Herz: „was bleibt noch übrig? was wird?“ Aber die
Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie
immer, ſchlimmer geweſen als die Sache ſelbſt, und Werneuchen
blieb im Weſentlichen was es vorher geweſen war. Die Frucht-
barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald
das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der freund-
lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wurden
nicht weniger, ſondern mehr.

In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines ſauberen
und an Wohlhabenheit immer wachſenden Städtchens. Aber es
iſt doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau,
wohin ich den Leſer zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um
70 Jahr in ſeiner Geſchichte zurück und rüſten uns zu einem Be-
ſuch in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieſes
Jahrhunderts war.

Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee,
die noch gar nicht vorhanden oder doch erſt im Bau begriffen
war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem
rothen Anſtrich und den eingeſchnittenen Herzen zu verdrängen, und
die Strohdächer mit ihrem Storchenneſt und ihren ſchief ſtehenden
Schornſteinen überhoben den Beſucher — trotz der zwei Bürgermeiſter
die Werneuchen damals hatte — der jetzt ſo heikel gewordenen Frage
von „Dorf oder Stadt.“ Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit
mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in
Wald oder Feld ein Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe
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[212/0228] Werneuchen gehörte wie Zoſſen, Trebbin, Baruth u. a. m. zu jenen bevorzugten Oertern, die ſich ohne beſonderes Verdienſt, in jener kurzen Epoche die zwiſchen dem Sandweg und dem Schienenweg lag und die man das Chauſſee-Interregnum nennen könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Und viel- leicht wurde dies Grund und Urſach, daß man, als das eherne Zeitalter der Eiſenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens für gekommen hielt und vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt, Werneuchen und Paſſagierſtube für identiſch anzuſehen; nun be- ſeitigte man dieſe mit einem Federſtrich und die Frage trat bang an jedes Herz: „was bleibt noch übrig? was wird?“ Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie immer, ſchlimmer geweſen als die Sache ſelbſt, und Werneuchen blieb im Weſentlichen was es vorher geweſen war. Die Frucht- barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der freund- lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wurden nicht weniger, ſondern mehr. In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines ſauberen und an Wohlhabenheit immer wachſenden Städtchens. Aber es iſt doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leſer zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um 70 Jahr in ſeiner Geſchichte zurück und rüſten uns zu einem Be- ſuch in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieſes Jahrhunderts war. Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee, die noch gar nicht vorhanden oder doch erſt im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem rothen Anſtrich und den eingeſchnittenen Herzen zu verdrängen, und die Strohdächer mit ihrem Storchenneſt und ihren ſchief ſtehenden Schornſteinen überhoben den Beſucher — trotz der zwei Bürgermeiſter die Werneuchen damals hatte — der jetzt ſo heikel gewordenen Frage von „Dorf oder Stadt.“ Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe des Förſters ſei, der am Gamen-Grunde, hart an der Stelle wo

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/228>, abgerufen am 14.05.2024.