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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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der Weg nach Freienwalde hin abzweigt, sein unter Tannen
geborgenes Häuschen hatte.

Keine Schützengilde gab es, auch keinen Veteranen-Verein, aber
etwas Anderes, eine Curiosität, ein Restchen Mittelalter und
Vehmgericht, das sich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüssen
des nivellirenden 18. Jahrhunderts zum Trotz, an diesem stillen
Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die soge-
nannte "Wröh." Zu festgesetzten Zeiten, aber immer nur im
Sommer, versammelten sich die Bürger-Bauern auf einem von
alten Linden überschatteten Platze, der ziemlich in der Mitte
zwischen dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer gelegen war.
Unter den Bäumen dieses Platzes, nach der Kirchhofs-Seite hin,
lagen vier abgeplattete Feldsteine, die man durch aufgelegte Bretter
in eben so viele Bänke verwandelte, wenn eine "Wröh" abgehalten
werden sollte. Was in alten Zeiten in diesen Geschwornen-Ge-
richten besprochen und bestimmt ward, ob jemals ein Werneuchener
Bürger-Bauer das bekannte Messer in den Baum am Kreuzweg
gebohrt oder nicht, wird wohl nie mehr zur Kunde der Nachwelt
gelangen, unsere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener
"Wröh" datirt erst aus den unromantischen Zeiten des Allge-
meinen Landrechts, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die
"Wröh" unter die stille Superintendenz eines Magistrats und der
schon vorerwähnten Doppel-Bürgermeisterei gekommen war. Die
Gerichtsbarkeit der "Wröh" war eine durchaus enge geworden und
beschränkte sich darauf, in wöchentlichen oder monatlichen Sitzungen
den Schadenersatz festzustellen, den das Vieh des einen Bürgers
oder Bauern den Feldern oder sonstigem Besitzthum des andern
zugefügt hatte. Stimmenmehrheit entschied und ohne Streit
oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten
dreißig Jahre haben uns in den "Schiedsgerichten" etwas Aehn-
liches wiedergebracht, aber was dieser trefflichen Neuschöpfung im
Vergleich zu jener alten fehlt, ist die fremd und mystisch klingende
Bezeichnung und wir begreifen vollkommen den Stolz eines Wer-
neucheners, der von den Zeiten der "Wröh" spricht, wie ein
Lübecker von der Hansa und ihrer Ostsee-Herrschaft.

Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch seinen Lindenplatz
zwischen Pfarrhaus und Kirchhof und was mehr sagen will auch

der Weg nach Freienwalde hin abzweigt, ſein unter Tannen
geborgenes Häuschen hatte.

Keine Schützengilde gab es, auch keinen Veteranen-Verein, aber
etwas Anderes, eine Curioſität, ein Reſtchen Mittelalter und
Vehmgericht, das ſich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüſſen
des nivellirenden 18. Jahrhunderts zum Trotz, an dieſem ſtillen
Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die ſoge-
nannte „Wröh.“ Zu feſtgeſetzten Zeiten, aber immer nur im
Sommer, verſammelten ſich die Bürger-Bauern auf einem von
alten Linden überſchatteten Platze, der ziemlich in der Mitte
zwiſchen dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer gelegen war.
Unter den Bäumen dieſes Platzes, nach der Kirchhofs-Seite hin,
lagen vier abgeplattete Feldſteine, die man durch aufgelegte Bretter
in eben ſo viele Bänke verwandelte, wenn eine „Wröh“ abgehalten
werden ſollte. Was in alten Zeiten in dieſen Geſchwornen-Ge-
richten beſprochen und beſtimmt ward, ob jemals ein Werneuchener
Bürger-Bauer das bekannte Meſſer in den Baum am Kreuzweg
gebohrt oder nicht, wird wohl nie mehr zur Kunde der Nachwelt
gelangen, unſere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener
„Wröh“ datirt erſt aus den unromantiſchen Zeiten des Allge-
meinen Landrechts, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die
„Wröh“ unter die ſtille Superintendenz eines Magiſtrats und der
ſchon vorerwähnten Doppel-Bürgermeiſterei gekommen war. Die
Gerichtsbarkeit der „Wröh“ war eine durchaus enge geworden und
beſchränkte ſich darauf, in wöchentlichen oder monatlichen Sitzungen
den Schadenerſatz feſtzuſtellen, den das Vieh des einen Bürgers
oder Bauern den Feldern oder ſonſtigem Beſitzthum des andern
zugefügt hatte. Stimmenmehrheit entſchied und ohne Streit
oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten
dreißig Jahre haben uns in den „Schiedsgerichten“ etwas Aehn-
liches wiedergebracht, aber was dieſer trefflichen Neuſchöpfung im
Vergleich zu jener alten fehlt, iſt die fremd und myſtiſch klingende
Bezeichnung und wir begreifen vollkommen den Stolz eines Wer-
neucheners, der von den Zeiten der „Wröh“ ſpricht, wie ein
Lübecker von der Hanſa und ihrer Oſtſee-Herrſchaft.

Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch ſeinen Lindenplatz
zwiſchen Pfarrhaus und Kirchhof und was mehr ſagen will auch

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[213/0229] der Weg nach Freienwalde hin abzweigt, ſein unter Tannen geborgenes Häuschen hatte. Keine Schützengilde gab es, auch keinen Veteranen-Verein, aber etwas Anderes, eine Curioſität, ein Reſtchen Mittelalter und Vehmgericht, das ſich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüſſen des nivellirenden 18. Jahrhunderts zum Trotz, an dieſem ſtillen Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die ſoge- nannte „Wröh.“ Zu feſtgeſetzten Zeiten, aber immer nur im Sommer, verſammelten ſich die Bürger-Bauern auf einem von alten Linden überſchatteten Platze, der ziemlich in der Mitte zwiſchen dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer gelegen war. Unter den Bäumen dieſes Platzes, nach der Kirchhofs-Seite hin, lagen vier abgeplattete Feldſteine, die man durch aufgelegte Bretter in eben ſo viele Bänke verwandelte, wenn eine „Wröh“ abgehalten werden ſollte. Was in alten Zeiten in dieſen Geſchwornen-Ge- richten beſprochen und beſtimmt ward, ob jemals ein Werneuchener Bürger-Bauer das bekannte Meſſer in den Baum am Kreuzweg gebohrt oder nicht, wird wohl nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen, unſere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener „Wröh“ datirt erſt aus den unromantiſchen Zeiten des Allge- meinen Landrechts, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die „Wröh“ unter die ſtille Superintendenz eines Magiſtrats und der ſchon vorerwähnten Doppel-Bürgermeiſterei gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der „Wröh“ war eine durchaus enge geworden und beſchränkte ſich darauf, in wöchentlichen oder monatlichen Sitzungen den Schadenerſatz feſtzuſtellen, den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder ſonſtigem Beſitzthum des andern zugefügt hatte. Stimmenmehrheit entſchied und ohne Streit oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten dreißig Jahre haben uns in den „Schiedsgerichten“ etwas Aehn- liches wiedergebracht, aber was dieſer trefflichen Neuſchöpfung im Vergleich zu jener alten fehlt, iſt die fremd und myſtiſch klingende Bezeichnung und wir begreifen vollkommen den Stolz eines Wer- neucheners, der von den Zeiten der „Wröh“ ſpricht, wie ein Lübecker von der Hanſa und ihrer Oſtſee-Herrſchaft. Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch ſeinen Lindenplatz zwiſchen Pfarrhaus und Kirchhof und was mehr ſagen will auch

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/229>, abgerufen am 27.11.2024.