Porst, dazumalen Pfarrer zu Malchow -- später Domprobst und Beichtvater der Königin, bekannt als Herausgeber des Porst'schen Gesangbuches -- hielt eine Predigt zum Gedächtniß des Heimge- gangenen, darinnen es hieß, daß er "seine dauerhaften Kräfte und beständige Gesundheit zum Heil des Landes und Wohlsein der Kirche aufgeopfert habe." Bald darauf wurde der Sarg in der Gruft zu Malchow beigesetzt und steht ebendaselbst zwischen den Särgen seiner vor ihm gestorbenen Schwiegertochter und seiner zweiten Frau "nee de Friedeborn". Das Fuchs'sche Wappen aber befand sich noch bis 1874 am herrschaftlichen Stuhl der Kirche."
Wer sich auf Urnen und Todtentöpfe versteht und überhaupt nur ein Aederchen von einem Sammler oder Alterthümler in sich hat, begreift daß diese Notiz eine gewisse Malchow-Sehnsucht in mir wecken und eine "Wanderung" dahin zu einer bloßen Frage der Zeit machen mußte. Mit dem ersten Maienschein, an grünen Saaten vorbei, hofft' ich den Ausflug unternehmen und nach "manch verborgenem Schatz" ausschauen zu können. Aber es war anders beschlossen und aus einer Wanderung bei Finkenschlag und Apfelblüthe wurd' eine Wanderung bei Nordwest und Schneege- stöber: eine Weihnachtswanderung.
Eine Wanderung nach Malchow, so kurz sie ist, gliedert sich nichtsdestoweniger in drei streng geschiedene Theile: Omnibusfahrt bis auf den Alexanderplatz, Pferdebahn bis Weißensee, und per pedes apostolorum bis nach Malchow selbst. Und so vollzog es sich auch. Auf dem Alexanderplatz regierten bereits die fliegenden Söhlkes mit dem "Schäfchen" und dem "Schaukelmann," dessen Birnen sich noch gerade so gelb und roth gesprenkelt zeigten wie vor funfzig Jahren in den Tagen meiner eigenen Kindheit; in dem Pferdebahnwagen aber in den ich einstieg, war es als wäre der Weihnachtsmann mit oder vor mir eingestiegen und gedenke seinen Einzug in Weißensee zu halten. Alle Plätze voller Kinder mit ihren Schulmappen auf dem Rücken, und hinten und vorn im Wagen, und vor allem obenauf, ganze Büsche von Weihnachtsbäumen.
Porſt, dazumalen Pfarrer zu Malchow — ſpäter Domprobſt und Beichtvater der Königin, bekannt als Herausgeber des Porſt’ſchen Geſangbuches — hielt eine Predigt zum Gedächtniß des Heimge- gangenen, darinnen es hieß, daß er „ſeine dauerhaften Kräfte und beſtändige Geſundheit zum Heil des Landes und Wohlſein der Kirche aufgeopfert habe.“ Bald darauf wurde der Sarg in der Gruft zu Malchow beigeſetzt und ſteht ebendaſelbſt zwiſchen den Särgen ſeiner vor ihm geſtorbenen Schwiegertochter und ſeiner zweiten Frau „née de Friedeborn“. Das Fuchs’ſche Wappen aber befand ſich noch bis 1874 am herrſchaftlichen Stuhl der Kirche.“
Wer ſich auf Urnen und Todtentöpfe verſteht und überhaupt nur ein Aederchen von einem Sammler oder Alterthümler in ſich hat, begreift daß dieſe Notiz eine gewiſſe Malchow-Sehnſucht in mir wecken und eine „Wanderung“ dahin zu einer bloßen Frage der Zeit machen mußte. Mit dem erſten Maienſchein, an grünen Saaten vorbei, hofft’ ich den Ausflug unternehmen und nach „manch verborgenem Schatz“ ausſchauen zu können. Aber es war anders beſchloſſen und aus einer Wanderung bei Finkenſchlag und Apfelblüthe wurd’ eine Wanderung bei Nordweſt und Schneege- ſtöber: eine Weihnachtswanderung.
Eine Wanderung nach Malchow, ſo kurz ſie iſt, gliedert ſich nichtsdeſtoweniger in drei ſtreng geſchiedene Theile: Omnibusfahrt bis auf den Alexanderplatz, Pferdebahn bis Weißenſee, und per pedes apostolorum bis nach Malchow ſelbſt. Und ſo vollzog es ſich auch. Auf dem Alexanderplatz regierten bereits die fliegenden Söhlkes mit dem „Schäfchen“ und dem „Schaukelmann,“ deſſen Birnen ſich noch gerade ſo gelb und roth geſprenkelt zeigten wie vor funfzig Jahren in den Tagen meiner eigenen Kindheit; in dem Pferdebahnwagen aber in den ich einſtieg, war es als wäre der Weihnachtsmann mit oder vor mir eingeſtiegen und gedenke ſeinen Einzug in Weißenſee zu halten. Alle Plätze voller Kinder mit ihren Schulmappen auf dem Rücken, und hinten und vorn im Wagen, und vor allem obenauf, ganze Büſche von Weihnachtsbäumen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0248"n="232"/>
Porſt, dazumalen Pfarrer zu Malchow —ſpäter Domprobſt und<lb/>
Beichtvater der Königin, bekannt als Herausgeber des Porſt’ſchen<lb/>
Geſangbuches — hielt eine Predigt zum Gedächtniß des Heimge-<lb/>
gangenen, darinnen es hieß, daß er „ſeine dauerhaften Kräfte und<lb/>
beſtändige Geſundheit zum Heil des Landes und Wohlſein der<lb/>
Kirche aufgeopfert habe.“ Bald darauf wurde der Sarg in der<lb/>
Gruft zu Malchow beigeſetzt und ſteht ebendaſelbſt zwiſchen den<lb/>
Särgen ſeiner vor ihm geſtorbenen Schwiegertochter und ſeiner<lb/>
zweiten Frau <hirendition="#aq">„née de Friedeborn“.</hi> Das Fuchs’ſche Wappen aber<lb/>
befand ſich noch bis 1874 am herrſchaftlichen Stuhl der Kirche.“</p><lb/><p>Wer ſich auf Urnen und Todtentöpfe verſteht und überhaupt<lb/>
nur ein Aederchen von einem Sammler oder Alterthümler in ſich<lb/>
hat, begreift daß dieſe Notiz eine gewiſſe Malchow-Sehnſucht in<lb/>
mir wecken und eine „Wanderung“ dahin zu einer bloßen Frage<lb/>
der Zeit machen mußte. Mit dem erſten Maienſchein, an grünen<lb/>
Saaten vorbei, hofft’ ich den Ausflug unternehmen und nach<lb/>„manch verborgenem Schatz“ ausſchauen zu können. Aber es war<lb/>
anders beſchloſſen und aus einer Wanderung bei Finkenſchlag und<lb/>
Apfelblüthe wurd’ eine Wanderung bei Nordweſt und Schneege-<lb/>ſtöber: eine <hirendition="#g">Weihnachtswanderung</hi>.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Eine Wanderung nach Malchow, ſo kurz ſie iſt, gliedert ſich<lb/>
nichtsdeſtoweniger in drei ſtreng geſchiedene Theile: <hirendition="#g">Omnibusfahrt</hi><lb/>
bis auf den Alexanderplatz, <hirendition="#g">Pferdebahn</hi> bis Weißenſee, und <hirendition="#aq">per<lb/>
pedes apostolorum</hi> bis nach Malchow ſelbſt. Und ſo vollzog es<lb/>ſich auch. Auf dem Alexanderplatz regierten bereits die fliegenden<lb/>
Söhlkes mit dem „Schäfchen“ und dem „Schaukelmann,“ deſſen<lb/>
Birnen ſich noch gerade ſo gelb und roth geſprenkelt zeigten wie<lb/>
vor funfzig Jahren in den Tagen meiner eigenen Kindheit; in<lb/>
dem Pferdebahnwagen aber in den ich einſtieg, war es als wäre<lb/>
der Weihnachtsmann mit oder vor mir eingeſtiegen und gedenke ſeinen<lb/>
Einzug in Weißenſee zu halten. Alle Plätze voller Kinder mit ihren<lb/>
Schulmappen auf dem Rücken, und hinten und vorn im Wagen,<lb/>
und vor allem obenauf, ganze Büſche von Weihnachtsbäumen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[232/0248]
Porſt, dazumalen Pfarrer zu Malchow — ſpäter Domprobſt und
Beichtvater der Königin, bekannt als Herausgeber des Porſt’ſchen
Geſangbuches — hielt eine Predigt zum Gedächtniß des Heimge-
gangenen, darinnen es hieß, daß er „ſeine dauerhaften Kräfte und
beſtändige Geſundheit zum Heil des Landes und Wohlſein der
Kirche aufgeopfert habe.“ Bald darauf wurde der Sarg in der
Gruft zu Malchow beigeſetzt und ſteht ebendaſelbſt zwiſchen den
Särgen ſeiner vor ihm geſtorbenen Schwiegertochter und ſeiner
zweiten Frau „née de Friedeborn“. Das Fuchs’ſche Wappen aber
befand ſich noch bis 1874 am herrſchaftlichen Stuhl der Kirche.“
Wer ſich auf Urnen und Todtentöpfe verſteht und überhaupt
nur ein Aederchen von einem Sammler oder Alterthümler in ſich
hat, begreift daß dieſe Notiz eine gewiſſe Malchow-Sehnſucht in
mir wecken und eine „Wanderung“ dahin zu einer bloßen Frage
der Zeit machen mußte. Mit dem erſten Maienſchein, an grünen
Saaten vorbei, hofft’ ich den Ausflug unternehmen und nach
„manch verborgenem Schatz“ ausſchauen zu können. Aber es war
anders beſchloſſen und aus einer Wanderung bei Finkenſchlag und
Apfelblüthe wurd’ eine Wanderung bei Nordweſt und Schneege-
ſtöber: eine Weihnachtswanderung.
Eine Wanderung nach Malchow, ſo kurz ſie iſt, gliedert ſich
nichtsdeſtoweniger in drei ſtreng geſchiedene Theile: Omnibusfahrt
bis auf den Alexanderplatz, Pferdebahn bis Weißenſee, und per
pedes apostolorum bis nach Malchow ſelbſt. Und ſo vollzog es
ſich auch. Auf dem Alexanderplatz regierten bereits die fliegenden
Söhlkes mit dem „Schäfchen“ und dem „Schaukelmann,“ deſſen
Birnen ſich noch gerade ſo gelb und roth geſprenkelt zeigten wie
vor funfzig Jahren in den Tagen meiner eigenen Kindheit; in
dem Pferdebahnwagen aber in den ich einſtieg, war es als wäre
der Weihnachtsmann mit oder vor mir eingeſtiegen und gedenke ſeinen
Einzug in Weißenſee zu halten. Alle Plätze voller Kinder mit ihren
Schulmappen auf dem Rücken, und hinten und vorn im Wagen,
und vor allem obenauf, ganze Büſche von Weihnachtsbäumen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/248>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.