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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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meine Karte hinein. Sehr bald kam Antwort, daß er beim Con-
firmanden-Unterricht sei, mich aber bitten lasse, derweilen in sein
Zimmer einzutreten. Und hier war ich denn nun und wartete.

Unter Umständen nichts angenehmer als solche Warte-Viertel-
stunden, in denen man die Geschichte des Hauses oder den Cha-
rakter seiner Bewohner von den Wänden liest. Denn nichts spricht
deutlicher als Zimmer-Einrichtungen und selbst die nichtssagenden
und modisch-indifferenten machen keine Ausnahme. Sie weisen
dann eben auf nichtssagende und modisch-indifferente Leute hin.
In der Studirstube zu Malchow aber war nichts indifferent, und
die Grec-Borte der Gardinen, der gothisch geschnitzte Schlüsselkasten
mit Bild und Spruch, dazu der über dem Sopha thronende Thor-
waldsensche Christus inmitten der abgestuften Schaar seiner Jünger,
alles stimmte zu den hohen Bücher-Realen, auf denen die theolo-
gischen und die Fritz Reuterschen Schriften in aller Friedlichkeit
beisammenstanden. Und dazu die Kreuzzeitung auf dem Tisch, und
ein Luftton, in welchem die Morgen-Cigarre nachdämmerte. Das
märkische Pfarrhaus in seiner anspruchslosen und doch zugleich von
Kunst und Schönheit leise berührten Behaglichkeit hatte nie lebendiger
zu mir gesprochen.

Und so sollt' ich's bestätigt finden. Eine halbe Stunde später
und der freundliche Pfarrer und seine noch freundlichere Frau saßen
mit mir um den Kaffeetisch, und wieder noch ein Weilchen und jener
bekannte Begegnungspunkt war gefunden, wo plötzlich von sieben
Seiten her alle Wege zusammenlaufen und man nur noch ver-
wundert ist, sich nicht vorher schon getroffen und die Hände ge-
schüttelt zu haben. Und dazu die tiefere Lebensbetrachtung: "Wie
klein ist doch die Welt."

Ich glaube fast, ich war es selbst, der sich bis zu diesem
Satze verstieg, und wer weiß, welche weiteren Stufen der Er-
kenntniß und Weisheit ich noch erklommen hätte, wenn nicht der
Pfarrer eben jetzt auf die hinter den kahlen Kirchbäumen nieder-
gehende Sonne gedeutet und mich dadurch an den Kirchgang und
die v. Fuchs'sche Familiengruft erinnert hätte. So verabschiedeten
wir uns denn bei der Frau Pfarrin und schlugen einen Richtweg
ein, der uns erst über Gartenbeete, dann über verschneite Gräber
fort bis an einen Seiteneingang der Kirche führte. Und nun

meine Karte hinein. Sehr bald kam Antwort, daß er beim Con-
firmanden-Unterricht ſei, mich aber bitten laſſe, derweilen in ſein
Zimmer einzutreten. Und hier war ich denn nun und wartete.

Unter Umſtänden nichts angenehmer als ſolche Warte-Viertel-
ſtunden, in denen man die Geſchichte des Hauſes oder den Cha-
rakter ſeiner Bewohner von den Wänden lieſt. Denn nichts ſpricht
deutlicher als Zimmer-Einrichtungen und ſelbſt die nichtsſagenden
und modiſch-indifferenten machen keine Ausnahme. Sie weiſen
dann eben auf nichtsſagende und modiſch-indifferente Leute hin.
In der Studirſtube zu Malchow aber war nichts indifferent, und
die Grec-Borte der Gardinen, der gothiſch geſchnitzte Schlüſſelkaſten
mit Bild und Spruch, dazu der über dem Sopha thronende Thor-
waldſenſche Chriſtus inmitten der abgeſtuften Schaar ſeiner Jünger,
alles ſtimmte zu den hohen Bücher-Realen, auf denen die theolo-
giſchen und die Fritz Reuterſchen Schriften in aller Friedlichkeit
beiſammenſtanden. Und dazu die Kreuzzeitung auf dem Tiſch, und
ein Luftton, in welchem die Morgen-Cigarre nachdämmerte. Das
märkiſche Pfarrhaus in ſeiner anſpruchsloſen und doch zugleich von
Kunſt und Schönheit leiſe berührten Behaglichkeit hatte nie lebendiger
zu mir geſprochen.

Und ſo ſollt’ ich’s beſtätigt finden. Eine halbe Stunde ſpäter
und der freundliche Pfarrer und ſeine noch freundlichere Frau ſaßen
mit mir um den Kaffeetiſch, und wieder noch ein Weilchen und jener
bekannte Begegnungspunkt war gefunden, wo plötzlich von ſieben
Seiten her alle Wege zuſammenlaufen und man nur noch ver-
wundert iſt, ſich nicht vorher ſchon getroffen und die Hände ge-
ſchüttelt zu haben. Und dazu die tiefere Lebensbetrachtung: „Wie
klein iſt doch die Welt.“

Ich glaube faſt, ich war es ſelbſt, der ſich bis zu dieſem
Satze verſtieg, und wer weiß, welche weiteren Stufen der Er-
kenntniß und Weisheit ich noch erklommen hätte, wenn nicht der
Pfarrer eben jetzt auf die hinter den kahlen Kirchbäumen nieder-
gehende Sonne gedeutet und mich dadurch an den Kirchgang und
die v. Fuchs’ſche Familiengruft erinnert hätte. So verabſchiedeten
wir uns denn bei der Frau Pfarrin und ſchlugen einen Richtweg
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[236/0252] meine Karte hinein. Sehr bald kam Antwort, daß er beim Con- firmanden-Unterricht ſei, mich aber bitten laſſe, derweilen in ſein Zimmer einzutreten. Und hier war ich denn nun und wartete. Unter Umſtänden nichts angenehmer als ſolche Warte-Viertel- ſtunden, in denen man die Geſchichte des Hauſes oder den Cha- rakter ſeiner Bewohner von den Wänden lieſt. Denn nichts ſpricht deutlicher als Zimmer-Einrichtungen und ſelbſt die nichtsſagenden und modiſch-indifferenten machen keine Ausnahme. Sie weiſen dann eben auf nichtsſagende und modiſch-indifferente Leute hin. In der Studirſtube zu Malchow aber war nichts indifferent, und die Grec-Borte der Gardinen, der gothiſch geſchnitzte Schlüſſelkaſten mit Bild und Spruch, dazu der über dem Sopha thronende Thor- waldſenſche Chriſtus inmitten der abgeſtuften Schaar ſeiner Jünger, alles ſtimmte zu den hohen Bücher-Realen, auf denen die theolo- giſchen und die Fritz Reuterſchen Schriften in aller Friedlichkeit beiſammenſtanden. Und dazu die Kreuzzeitung auf dem Tiſch, und ein Luftton, in welchem die Morgen-Cigarre nachdämmerte. Das märkiſche Pfarrhaus in ſeiner anſpruchsloſen und doch zugleich von Kunſt und Schönheit leiſe berührten Behaglichkeit hatte nie lebendiger zu mir geſprochen. Und ſo ſollt’ ich’s beſtätigt finden. Eine halbe Stunde ſpäter und der freundliche Pfarrer und ſeine noch freundlichere Frau ſaßen mit mir um den Kaffeetiſch, und wieder noch ein Weilchen und jener bekannte Begegnungspunkt war gefunden, wo plötzlich von ſieben Seiten her alle Wege zuſammenlaufen und man nur noch ver- wundert iſt, ſich nicht vorher ſchon getroffen und die Hände ge- ſchüttelt zu haben. Und dazu die tiefere Lebensbetrachtung: „Wie klein iſt doch die Welt.“ Ich glaube faſt, ich war es ſelbſt, der ſich bis zu dieſem Satze verſtieg, und wer weiß, welche weiteren Stufen der Er- kenntniß und Weisheit ich noch erklommen hätte, wenn nicht der Pfarrer eben jetzt auf die hinter den kahlen Kirchbäumen nieder- gehende Sonne gedeutet und mich dadurch an den Kirchgang und die v. Fuchs’ſche Familiengruft erinnert hätte. So verabſchiedeten wir uns denn bei der Frau Pfarrin und ſchlugen einen Richtweg ein, der uns erſt über Gartenbeete, dann über verſchneite Gräber fort bis an einen Seiteneingang der Kirche führte. Und nun

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/252>, abgerufen am 22.11.2024.