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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Das alte Schloß, in unmittelbarer Nähe des jetzigen
Herrenhauses, ist eins der wenigen alten Schloßgebäude, die sich
bis auf diesen Tag in unserer Mark erhalten haben. Es besteht
aus einem schmucklosen Viereck, an dessen Nordseite sich ein sechs-
eckiger Treppenthurm lehnt. Dieser Thurm überragt das Haupt-
gebäude nur um wenige Fuß und trägt ein Dach von eigenthüm-
licher und schwer zu beschreibender Form; in der Mitte des eigent-
lichen Schloßbaus aber und zwar in seinem Erdgeschosse befindet sich
ein starker sechs- oder achteckiger Pfeiler, der das Obergeschoß zu
tragen scheint. Welcher Zeit dieser Pfeiler angehört, mag dahin-
gestellt bleiben. Bei der Seltenheit derartiger baulicher Ueber-
bleibsel in unsrer Mark ist es vielleicht gerechtfertigt, die Aufmerk-
samkeit unserer Archäologen darauf hinzulenken. Von historischen
Erinnerungen knüpft sich nichts an diesen Bau. Gemeinhin hat
hierlandes die Orts-Geschichte den Ort selbst überdauert; wir wissen
von der Existenz dieser oder jener Burg, von diesem oder jenem
was drin geschah, und nur die Burg selbst ist hin; in Klein-
Machenow ist es umgekehrt, die Burg existirt, aber die Geschichte
fehlt. Dies hat zum Theil wohl seinen Grund darin, daß Klein-
Machenow nach dem Aussterben der Machenow'schen Hakes, etwa

Die Sage, die sich daran knüpft, ist die folgende: Einem Jäger Joachims II.
träumt, er werde bei der nächsten Jagd von einem Eber getödtet werden. Er
erzählt seinen Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück.
Die andren kehren mit reicher Jagdbeute heim und der zurückgebliebene Jäger
packt nun einen todten Eber um ihn in die Küche zu ziehn, fällt aber dabei
und reißt sich an einem der Hauer den Schenkel auf. Daran stirbt er andren
Tags. Diese Geschichte mag sich einmal ereignet haben, irgendwo vielleicht,
aber schwerlich in Coepenick, und sie würd über das alte Spree-Schloß immer
hinweggezogen sein, wenn nicht beim Neubau des Schlosses die Errichtung der
Adonis-Statue mit dem Eberkopf die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung
und eine neue Heimath geboten hätte. So kommt es, daß man an den ver-
schiedensten Orten denselben Geschichten begegnet; die meisten dieser Orte sind
gleichsam nur Filial und der Mutter-Sagenort ist oft schwer zu bestimmen. --
Der Medusenkopf am Portal alter Schlösser hat gewiß schon oft als schlangen-
umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müssen, und der alte Herr
von Hake hat unzweifelhaft Kameraden in allen Ländern. Der Satz, den ich
aufstellen möchte, ist der: das Volk hat eine Neigung Allgemeines oder wenigstens
an vielen Orten sich Findendes zu lokalisiren, sobald gewisse Bedingungen
erfüllt, gewisse äußerliche Anhaltepunkte für diese Lokalisirung gegeben sind.

Das alte Schloß, in unmittelbarer Nähe des jetzigen
Herrenhauſes, iſt eins der wenigen alten Schloßgebäude, die ſich
bis auf dieſen Tag in unſerer Mark erhalten haben. Es beſteht
aus einem ſchmuckloſen Viereck, an deſſen Nordſeite ſich ein ſechs-
eckiger Treppenthurm lehnt. Dieſer Thurm überragt das Haupt-
gebäude nur um wenige Fuß und trägt ein Dach von eigenthüm-
licher und ſchwer zu beſchreibender Form; in der Mitte des eigent-
lichen Schloßbaus aber und zwar in ſeinem Erdgeſchoſſe befindet ſich
ein ſtarker ſechs- oder achteckiger Pfeiler, der das Obergeſchoß zu
tragen ſcheint. Welcher Zeit dieſer Pfeiler angehört, mag dahin-
geſtellt bleiben. Bei der Seltenheit derartiger baulicher Ueber-
bleibſel in unſrer Mark iſt es vielleicht gerechtfertigt, die Aufmerk-
ſamkeit unſerer Archäologen darauf hinzulenken. Von hiſtoriſchen
Erinnerungen knüpft ſich nichts an dieſen Bau. Gemeinhin hat
hierlandes die Orts-Geſchichte den Ort ſelbſt überdauert; wir wiſſen
von der Exiſtenz dieſer oder jener Burg, von dieſem oder jenem
was drin geſchah, und nur die Burg ſelbſt iſt hin; in Klein-
Machenow iſt es umgekehrt, die Burg exiſtirt, aber die Geſchichte
fehlt. Dies hat zum Theil wohl ſeinen Grund darin, daß Klein-
Machenow nach dem Ausſterben der Machenow’ſchen Hakes, etwa

Die Sage, die ſich daran knüpft, iſt die folgende: Einem Jäger Joachims II.
träumt, er werde bei der nächſten Jagd von einem Eber getödtet werden. Er
erzählt ſeinen Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück.
Die andren kehren mit reicher Jagdbeute heim und der zurückgebliebene Jäger
packt nun einen todten Eber um ihn in die Küche zu ziehn, fällt aber dabei
und reißt ſich an einem der Hauer den Schenkel auf. Daran ſtirbt er andren
Tags. Dieſe Geſchichte mag ſich einmal ereignet haben, irgendwo vielleicht,
aber ſchwerlich in Coepenick, und ſie würd über das alte Spree-Schloß immer
hinweggezogen ſein, wenn nicht beim Neubau des Schloſſes die Errichtung der
Adonis-Statue mit dem Eberkopf die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung
und eine neue Heimath geboten hätte. So kommt es, daß man an den ver-
ſchiedenſten Orten denſelben Geſchichten begegnet; die meiſten dieſer Orte ſind
gleichſam nur Filial und der Mutter-Sagenort iſt oft ſchwer zu beſtimmen. —
Der Meduſenkopf am Portal alter Schlöſſer hat gewiß ſchon oft als ſchlangen-
umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müſſen, und der alte Herr
von Hake hat unzweifelhaft Kameraden in allen Ländern. Der Satz, den ich
aufſtellen möchte, iſt der: das Volk hat eine Neigung Allgemeines oder wenigſtens
an vielen Orten ſich Findendes zu lokaliſiren, ſobald gewiſſe Bedingungen
erfüllt, gewiſſe äußerliche Anhaltepunkte für dieſe Lokaliſirung gegeben ſind.
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[286/0302] Das alte Schloß, in unmittelbarer Nähe des jetzigen Herrenhauſes, iſt eins der wenigen alten Schloßgebäude, die ſich bis auf dieſen Tag in unſerer Mark erhalten haben. Es beſteht aus einem ſchmuckloſen Viereck, an deſſen Nordſeite ſich ein ſechs- eckiger Treppenthurm lehnt. Dieſer Thurm überragt das Haupt- gebäude nur um wenige Fuß und trägt ein Dach von eigenthüm- licher und ſchwer zu beſchreibender Form; in der Mitte des eigent- lichen Schloßbaus aber und zwar in ſeinem Erdgeſchoſſe befindet ſich ein ſtarker ſechs- oder achteckiger Pfeiler, der das Obergeſchoß zu tragen ſcheint. Welcher Zeit dieſer Pfeiler angehört, mag dahin- geſtellt bleiben. Bei der Seltenheit derartiger baulicher Ueber- bleibſel in unſrer Mark iſt es vielleicht gerechtfertigt, die Aufmerk- ſamkeit unſerer Archäologen darauf hinzulenken. Von hiſtoriſchen Erinnerungen knüpft ſich nichts an dieſen Bau. Gemeinhin hat hierlandes die Orts-Geſchichte den Ort ſelbſt überdauert; wir wiſſen von der Exiſtenz dieſer oder jener Burg, von dieſem oder jenem was drin geſchah, und nur die Burg ſelbſt iſt hin; in Klein- Machenow iſt es umgekehrt, die Burg exiſtirt, aber die Geſchichte fehlt. Dies hat zum Theil wohl ſeinen Grund darin, daß Klein- Machenow nach dem Ausſterben der Machenow’ſchen Hakes, etwa *) *) Die Sage, die ſich daran knüpft, iſt die folgende: Einem Jäger Joachims II. träumt, er werde bei der nächſten Jagd von einem Eber getödtet werden. Er erzählt ſeinen Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück. Die andren kehren mit reicher Jagdbeute heim und der zurückgebliebene Jäger packt nun einen todten Eber um ihn in die Küche zu ziehn, fällt aber dabei und reißt ſich an einem der Hauer den Schenkel auf. Daran ſtirbt er andren Tags. Dieſe Geſchichte mag ſich einmal ereignet haben, irgendwo vielleicht, aber ſchwerlich in Coepenick, und ſie würd über das alte Spree-Schloß immer hinweggezogen ſein, wenn nicht beim Neubau des Schloſſes die Errichtung der Adonis-Statue mit dem Eberkopf die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung und eine neue Heimath geboten hätte. So kommt es, daß man an den ver- ſchiedenſten Orten denſelben Geſchichten begegnet; die meiſten dieſer Orte ſind gleichſam nur Filial und der Mutter-Sagenort iſt oft ſchwer zu beſtimmen. — Der Meduſenkopf am Portal alter Schlöſſer hat gewiß ſchon oft als ſchlangen- umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müſſen, und der alte Herr von Hake hat unzweifelhaft Kameraden in allen Ländern. Der Satz, den ich aufſtellen möchte, iſt der: das Volk hat eine Neigung Allgemeines oder wenigſtens an vielen Orten ſich Findendes zu lokaliſiren, ſobald gewiſſe Bedingungen erfüllt, gewiſſe äußerliche Anhaltepunkte für dieſe Lokaliſirung gegeben ſind.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/302>, abgerufen am 22.11.2024.