Er war Major bei den "gelben Reitern" gewesen, die damals in Zehde- nick standen, hatte jedoch den Dienst quittirt, theils seiner schweren Blessuren, insonderheit aber seiner Studien halber, denen er sich ruhiger und ausschließlicher widmen wollte. Er studirte Kant und correspondirte mit ihm. 1800 übernahm er Löwenbruch. Er war die absolute Bedürfnißlosigkeit, eine völlig auf das Geistige ge- stellte Natur, und unsere Tage des Materialismus würden ihm schwerlich gefallen haben. Er trug jahraus jahrein einen Lein- wand-Anzug (auch der alte Zieten in Wustrau war so gekleidet), den er nur ablegte, wenn er sich auf Besuch nach Berlin begab. Dies geschah alle Jahr ein Mal und zwar auf vier Wochen. Er stieg dann in Krause's Kaffeehaus ab, dem jetzigen Hotel de Brandebourg, und verbrachte die ganze Zeit mit Conversation und Schachspiel. Nach dieser Berührung mit der Welt, zu der er sich eigentlich immer nur entschloß, um sein großes Geschick im Schach- spiel nicht einrosten zu lassen, begab er sich wieder in seine Ein- samkeit zurück, um sich an Büchern und -- Wasser auf's Neue zu stählen. Er war ein Vorläufer der Hydropathie. Personen, die ihn noch gekannt haben, sagen aus, daß er sich in Wasser, incredibile dictu, berauscht habe. Vielleicht nahm man gewisse Excentricitäten für Rausch. Er hatte eine trunkene Seele. Auch eine Mischung von Donquichoterie und Eulenspiegelei ließ sich an ihm wahrnehmen. Als er vom Ausbruch des Krieges hörte, be- fahl er den Thurm abzutragen, damit das Dorf von vorüberzie- henden Kriegsschaaren nicht bemerkt werden möge. Mit leiden- schaftlichem Eifer verfolgte er die Napoleonischen Kriegs- und Siegeszüge. Als der Krieg von 1805 begann, der mit dem Tage von Austerlitz endigte, sagte er den Ausgang des Kampfes vorher, auch den herannahenden Sturz der preußischen Monarchie. Dieser eine Gedanke beschäftigte ihn Tag und Nacht und quälte ihn zu- letzt bis zum Unerträglichen. Er wollte das Unwetter sich nicht entladen sehen und -- erschoß sich in bloßer Vorahnung dessen, was kommen würde, nachdem er zuvor die Angelegenheiten seines Hauses mit philosophischer Ruhe geordnet hatte.
Fontane, Wanderungen. IV. 21
Er war Major bei den „gelben Reitern“ geweſen, die damals in Zehde- nick ſtanden, hatte jedoch den Dienſt quittirt, theils ſeiner ſchweren Bleſſuren, inſonderheit aber ſeiner Studien halber, denen er ſich ruhiger und ausſchließlicher widmen wollte. Er ſtudirte Kant und correſpondirte mit ihm. 1800 übernahm er Löwenbruch. Er war die abſolute Bedürfnißloſigkeit, eine völlig auf das Geiſtige ge- ſtellte Natur, und unſere Tage des Materialismus würden ihm ſchwerlich gefallen haben. Er trug jahraus jahrein einen Lein- wand-Anzug (auch der alte Zieten in Wuſtrau war ſo gekleidet), den er nur ablegte, wenn er ſich auf Beſuch nach Berlin begab. Dies geſchah alle Jahr ein Mal und zwar auf vier Wochen. Er ſtieg dann in Krauſe’s Kaffeehaus ab, dem jetzigen Hotel de Brandebourg, und verbrachte die ganze Zeit mit Converſation und Schachſpiel. Nach dieſer Berührung mit der Welt, zu der er ſich eigentlich immer nur entſchloß, um ſein großes Geſchick im Schach- ſpiel nicht einroſten zu laſſen, begab er ſich wieder in ſeine Ein- ſamkeit zurück, um ſich an Büchern und — Waſſer auf’s Neue zu ſtählen. Er war ein Vorläufer der Hydropathie. Perſonen, die ihn noch gekannt haben, ſagen aus, daß er ſich in Waſſer, incredibile dictu, berauſcht habe. Vielleicht nahm man gewiſſe Excentricitäten für Rauſch. Er hatte eine trunkene Seele. Auch eine Miſchung von Donquichoterie und Eulenſpiegelei ließ ſich an ihm wahrnehmen. Als er vom Ausbruch des Krieges hörte, be- fahl er den Thurm abzutragen, damit das Dorf von vorüberzie- henden Kriegsſchaaren nicht bemerkt werden möge. Mit leiden- ſchaftlichem Eifer verfolgte er die Napoleoniſchen Kriegs- und Siegeszüge. Als der Krieg von 1805 begann, der mit dem Tage von Auſterlitz endigte, ſagte er den Ausgang des Kampfes vorher, auch den herannahenden Sturz der preußiſchen Monarchie. Dieſer eine Gedanke beſchäftigte ihn Tag und Nacht und quälte ihn zu- letzt bis zum Unerträglichen. Er wollte das Unwetter ſich nicht entladen ſehen und — erſchoß ſich in bloßer Vorahnung deſſen, was kommen würde, nachdem er zuvor die Angelegenheiten ſeines Hauſes mit philoſophiſcher Ruhe geordnet hatte.
Fontane, Wanderungen. IV. 21
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Er war Major bei den „gelben Reitern“ geweſen, die damals in Zehde-
nick ſtanden, hatte jedoch den Dienſt quittirt, theils ſeiner ſchweren
Bleſſuren, inſonderheit aber ſeiner Studien halber, denen er ſich
ruhiger und ausſchließlicher widmen wollte. Er ſtudirte Kant und
correſpondirte mit ihm. 1800 übernahm er Löwenbruch. Er war
die abſolute Bedürfnißloſigkeit, eine völlig auf das Geiſtige ge-
ſtellte Natur, und unſere Tage des Materialismus würden ihm
ſchwerlich gefallen haben. Er trug jahraus jahrein einen Lein-
wand-Anzug (auch der alte Zieten in Wuſtrau war ſo gekleidet),
den er nur ablegte, wenn er ſich auf Beſuch nach Berlin begab.
Dies geſchah alle Jahr ein Mal und zwar auf vier Wochen.
Er ſtieg dann in Krauſe’s Kaffeehaus ab, dem jetzigen Hotel de
Brandebourg, und verbrachte die ganze Zeit mit Converſation und
Schachſpiel. Nach dieſer Berührung mit der Welt, zu der er ſich
eigentlich immer nur entſchloß, um ſein großes Geſchick im Schach-
ſpiel nicht einroſten zu laſſen, begab er ſich wieder in ſeine Ein-
ſamkeit zurück, um ſich an Büchern und — Waſſer auf’s Neue
zu ſtählen. Er war ein Vorläufer der Hydropathie. Perſonen,
die ihn noch gekannt haben, ſagen aus, daß er ſich in Waſſer,
incredibile dictu, berauſcht habe. Vielleicht nahm man gewiſſe
Excentricitäten für Rauſch. Er hatte eine trunkene Seele. Auch
eine Miſchung von Donquichoterie und Eulenſpiegelei ließ ſich an
ihm wahrnehmen. Als er vom Ausbruch des Krieges hörte, be-
fahl er den Thurm abzutragen, damit das Dorf von vorüberzie-
henden Kriegsſchaaren nicht bemerkt werden möge. Mit leiden-
ſchaftlichem Eifer verfolgte er die Napoleoniſchen Kriegs- und
Siegeszüge. Als der Krieg von 1805 begann, der mit dem Tage
von Auſterlitz endigte, ſagte er den Ausgang des Kampfes vorher,
auch den herannahenden Sturz der preußiſchen Monarchie. Dieſer
eine Gedanke beſchäftigte ihn Tag und Nacht und quälte ihn zu-
letzt bis zum Unerträglichen. Er wollte das Unwetter ſich nicht
entladen ſehen und — erſchoß ſich in bloßer Vorahnung deſſen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/337>, abgerufen am 24.11.2024.
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