vereinigten sich auf Knesebeck; man gab ihm eine Art dictatorischer Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt seiner Geschicklichkeit und dem Glück seiner Hand.
Der Abend dämmerte und Pistolenschüsse verkündeten die Nähe französischer Chasseurs. Knesebeck ging ihnen entgegen. "Qui vive?" "Un citoyen du bourg", antwortete Knesebeck und verlangte den commandirenden Offizier zu sprechen. Dies war ein Marquis de Custine. Knesebeck eröffnete ihm, daß die Stadt offen, ohne Besatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem "douceur" bereit sei. Das wirkte. "Ah, Monsieur sait bien com- ment traiter avec les soldats", erwiederte der Marquis lächelnd mit befriedigtem Gesicht und man einigte sich alsbald über 100 Louisd'or. Die Franzosen zogen ein und die Summe wurde gezahlt.
War auf diese Weise Plünderung und Gewaltthat glücklich abgewandt, so sicherte Knesebeck's Geistesgegenwart wenige Wochen später die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge- rücht hatte sich verbreitet: "die Franzosen seien geschlagen worden" und siehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu schwellen. Detachements französischer Truppen, darunter auch Personen von Rang, passirten gelegentlich die Stadt; warum sollte man sie ruhig und ungehindert ziehen lassen? waren es nicht Feinde? So be- schloß man denn den "kleinen Krieg" zu organisireu und wegzufangen was wegzufangen sei. Die Sache war gut gemeint, aber sie hatte mehr Herz als Verstand und kaum daß solche Pläne in den Köpfen der Menge spukten, als sich auch schon Gelegenheit bot, sie aus- zuführen. Bei leisem Schneegestöber kam Anfang December ein Schlitten durch's Thor, dessen Insasse sich -- trotz des weiten Mantels, der ihn verhüllte -- leicht als ein höherer französischer Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und mit Geschrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter- stützt, auf den Unbekannten ein, zunächst um ihn zu insultiren, vielleicht auch um ihn niederzuschlagen, wenn er Widerstand ver- suchen sollte. Knesebeck eilte herzu, stellte den Angreifenden das Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweise vor und trieb den Haufen aus einander. Der Offizier aber setzte seine Reise fort. Alles schien vergessen, als etwa drei oder vier Tage später Knesebeck
21*
vereinigten ſich auf Kneſebeck; man gab ihm eine Art dictatoriſcher Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt ſeiner Geſchicklichkeit und dem Glück ſeiner Hand.
Der Abend dämmerte und Piſtolenſchüſſe verkündeten die Nähe franzöſiſcher Chaſſeurs. Kneſebeck ging ihnen entgegen. „Qui vive?“ „Un citoyen du bourg“, antwortete Kneſebeck und verlangte den commandirenden Offizier zu ſprechen. Dies war ein Marquis de Cuſtine. Kneſebeck eröffnete ihm, daß die Stadt offen, ohne Beſatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem „douceur“ bereit ſei. Das wirkte. „Ah, Monsieur sait bien com- ment traiter avec les soldats“, erwiederte der Marquis lächelnd mit befriedigtem Geſicht und man einigte ſich alsbald über 100 Louisd’or. Die Franzoſen zogen ein und die Summe wurde gezahlt.
War auf dieſe Weiſe Plünderung und Gewaltthat glücklich abgewandt, ſo ſicherte Kneſebeck’s Geiſtesgegenwart wenige Wochen ſpäter die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge- rücht hatte ſich verbreitet: „die Franzoſen ſeien geſchlagen worden“ und ſiehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu ſchwellen. Detachements franzöſiſcher Truppen, darunter auch Perſonen von Rang, paſſirten gelegentlich die Stadt; warum ſollte man ſie ruhig und ungehindert ziehen laſſen? waren es nicht Feinde? So be- ſchloß man denn den „kleinen Krieg“ zu organiſireu und wegzufangen was wegzufangen ſei. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte mehr Herz als Verſtand und kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen der Menge ſpukten, als ſich auch ſchon Gelegenheit bot, ſie aus- zuführen. Bei leiſem Schneegeſtöber kam Anfang December ein Schlitten durch’s Thor, deſſen Inſaſſe ſich — trotz des weiten Mantels, der ihn verhüllte — leicht als ein höherer franzöſiſcher Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und mit Geſchrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter- ſtützt, auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren, vielleicht auch um ihn niederzuſchlagen, wenn er Widerſtand ver- ſuchen ſollte. Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb den Haufen aus einander. Der Offizier aber ſetzte ſeine Reiſe fort. Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpäter Kneſebeck
21*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0339"n="323"/>
vereinigten ſich auf Kneſebeck; man gab ihm eine Art dictatoriſcher<lb/>
Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt ſeiner Geſchicklichkeit<lb/>
und dem Glück ſeiner Hand.</p><lb/><p>Der Abend dämmerte und Piſtolenſchüſſe verkündeten die<lb/>
Nähe franzöſiſcher Chaſſeurs. Kneſebeck ging ihnen entgegen.<lb/><hirendition="#aq">„Qui vive?“„Un citoyen du bourg“,</hi> antwortete Kneſebeck und<lb/>
verlangte den commandirenden Offizier zu ſprechen. Dies war<lb/>
ein Marquis de Cuſtine. Kneſebeck eröffnete ihm, daß die Stadt<lb/>
offen, ohne Beſatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem<lb/><hirendition="#aq">„douceur“</hi> bereit ſei. Das wirkte. <hirendition="#aq">„Ah, Monsieur sait bien com-<lb/>
ment traiter avec les soldats“,</hi> erwiederte der Marquis lächelnd<lb/>
mit befriedigtem Geſicht und man einigte ſich alsbald über 100<lb/>
Louisd’or. Die Franzoſen zogen ein und die Summe wurde<lb/>
gezahlt.</p><lb/><p>War auf dieſe Weiſe Plünderung und Gewaltthat glücklich<lb/>
abgewandt, ſo ſicherte Kneſebeck’s Geiſtesgegenwart wenige Wochen<lb/>ſpäter die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge-<lb/>
rücht hatte ſich verbreitet: „die Franzoſen ſeien geſchlagen worden“<lb/>
und ſiehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu ſchwellen.<lb/>
Detachements franzöſiſcher Truppen, darunter auch Perſonen von<lb/>
Rang, paſſirten gelegentlich die Stadt; warum ſollte man ſie ruhig<lb/>
und ungehindert ziehen laſſen? waren es nicht Feinde? So be-<lb/>ſchloß man denn den „kleinen Krieg“ zu organiſireu und wegzufangen<lb/>
was wegzufangen ſei. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte<lb/>
mehr Herz als Verſtand und kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen<lb/>
der Menge ſpukten, als ſich auch ſchon Gelegenheit bot, ſie aus-<lb/>
zuführen. Bei leiſem Schneegeſtöber kam Anfang December ein<lb/>
Schlitten durch’s Thor, deſſen Inſaſſe ſich — trotz des weiten<lb/>
Mantels, der ihn verhüllte — leicht als ein höherer franzöſiſcher<lb/>
Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und<lb/>
mit Geſchrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter-<lb/>ſtützt, auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren,<lb/>
vielleicht auch um ihn niederzuſchlagen, wenn er Widerſtand ver-<lb/>ſuchen ſollte. Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das<lb/>
Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb<lb/>
den Haufen aus einander. Der Offizier aber ſetzte ſeine Reiſe fort.<lb/>
Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpäter Kneſebeck<lb/><fwplace="bottom"type="sig">21*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[323/0339]
vereinigten ſich auf Kneſebeck; man gab ihm eine Art dictatoriſcher
Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt ſeiner Geſchicklichkeit
und dem Glück ſeiner Hand.
Der Abend dämmerte und Piſtolenſchüſſe verkündeten die
Nähe franzöſiſcher Chaſſeurs. Kneſebeck ging ihnen entgegen.
„Qui vive?“ „Un citoyen du bourg“, antwortete Kneſebeck und
verlangte den commandirenden Offizier zu ſprechen. Dies war
ein Marquis de Cuſtine. Kneſebeck eröffnete ihm, daß die Stadt
offen, ohne Beſatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem
„douceur“ bereit ſei. Das wirkte. „Ah, Monsieur sait bien com-
ment traiter avec les soldats“, erwiederte der Marquis lächelnd
mit befriedigtem Geſicht und man einigte ſich alsbald über 100
Louisd’or. Die Franzoſen zogen ein und die Summe wurde
gezahlt.
War auf dieſe Weiſe Plünderung und Gewaltthat glücklich
abgewandt, ſo ſicherte Kneſebeck’s Geiſtesgegenwart wenige Wochen
ſpäter die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Ge-
rücht hatte ſich verbreitet: „die Franzoſen ſeien geſchlagen worden“
und ſiehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu ſchwellen.
Detachements franzöſiſcher Truppen, darunter auch Perſonen von
Rang, paſſirten gelegentlich die Stadt; warum ſollte man ſie ruhig
und ungehindert ziehen laſſen? waren es nicht Feinde? So be-
ſchloß man denn den „kleinen Krieg“ zu organiſireu und wegzufangen
was wegzufangen ſei. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte
mehr Herz als Verſtand und kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen
der Menge ſpukten, als ſich auch ſchon Gelegenheit bot, ſie aus-
zuführen. Bei leiſem Schneegeſtöber kam Anfang December ein
Schlitten durch’s Thor, deſſen Inſaſſe ſich — trotz des weiten
Mantels, der ihn verhüllte — leicht als ein höherer franzöſiſcher
Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und
mit Geſchrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unter-
ſtützt, auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren,
vielleicht auch um ihn niederzuſchlagen, wenn er Widerſtand ver-
ſuchen ſollte. Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das
Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb
den Haufen aus einander. Der Offizier aber ſetzte ſeine Reiſe fort.
Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpäter Kneſebeck
21*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/339>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.