"So. Na nu setzt'de Dir hier an'n Disch un zeechenst."
Unser junger Aspirant thut wie befohlen, zeichnet ein Ohr und überreicht es dem neben ihm stehenden Stabfuß. Dieser, in begreiflicherweise höchst kritischer Laune, beginnt zu mäkeln, aber seine Geschicke vollziehen sich unabwendlich.
"Geben Se mal her" unterbricht ihn der Alte, klappt den grünen Schirm abermals in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier von allen vier Seiten und sagt dann: "Stabfuß, bedenken Se -- aus'n Kopp. Det Ohr is jut. Schreiben Se'n man in."
Und so kam Richard Lucae in die Gipsklasse.
Und so war der alte Schadow, setzen wir hinzu. Ein Zwie- spalt ging durch sein Leben: Griechenthum und Märkerthum hielten sich das Gleichgewicht oder verbanden sich zu einem wunderbar humoristischen Gemisch. Wenn er in den Saal tapste oder das Taschentuch zog (was viel öfter geschah, als schön war), war er ganz der Sohn seines Vaters aus Dorf Saalow, wenn er den Stift in die Hand nahm, war er das Kind einer glücklicheren Zone. Mark Brandenburg und Athen erschienen abwechselnd als seine Heimath. Sein Körper und seine Seele lebten mit einander wie Venus und Vulkan. Diese Zwiespältigkeit wurde zuletzt sein Stolz, und er machte das Beste draus, was sich draus machen ließ, ein Original. Und wirklich, immer nur solche Derbheits- Gestalten sind bei unserm Volke populär geworden: der alte Dessauer, Friedrich der Große, Blücher. Auch unser großer Kanzler gehört hierher. Alles Patente wird beargwohnt, oder ist einfach lächerlich.
Das ganze Auftreten Schadow's erinnerte vielfach an die Meister des 15. und 16. Jahrhunderts. Er war ein Peter Vischer in's märkisch-Berlinische übersetzt und hielt noch auf's Hand- werk, immer davon ausgehend, daß es besser sei, das Handwerk zur Kunst, als die Kunst zum Handwerk zu machen. Von Bürger- sinn und Bürgertrotz war ihm ein gerüttelt und geschüttelt Maß
Der Angeredete gehorcht mit ſüßſaurem Geſicht.
„So. Na nu ſetzt’de Dir hier an’n Diſch un zeechenſt.“
Unſer junger Aspirant thut wie befohlen, zeichnet ein Ohr und überreicht es dem neben ihm ſtehenden Stabfuß. Dieſer, in begreiflicherweiſe höchſt kritiſcher Laune, beginnt zu mäkeln, aber ſeine Geſchicke vollziehen ſich unabwendlich.
„Geben Se mal her“ unterbricht ihn der Alte, klappt den grünen Schirm abermals in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier von allen vier Seiten und ſagt dann: „Stabfuß, bedenken Se — aus’n Kopp. Det Ohr is jut. Schreiben Se’n man in.“
Und ſo kam Richard Lucae in die Gipsklaſſe.
Und ſo war der alte Schadow, ſetzen wir hinzu. Ein Zwie- ſpalt ging durch ſein Leben: Griechenthum und Märkerthum hielten ſich das Gleichgewicht oder verbanden ſich zu einem wunderbar humoriſtiſchen Gemiſch. Wenn er in den Saal tapſte oder das Taſchentuch zog (was viel öfter geſchah, als ſchön war), war er ganz der Sohn ſeines Vaters aus Dorf Saalow, wenn er den Stift in die Hand nahm, war er das Kind einer glücklicheren Zone. Mark Brandenburg und Athen erſchienen abwechſelnd als ſeine Heimath. Sein Körper und ſeine Seele lebten mit einander wie Venus und Vulkan. Dieſe Zwieſpältigkeit wurde zuletzt ſein Stolz, und er machte das Beſte draus, was ſich draus machen ließ, ein Original. Und wirklich, immer nur ſolche Derbheits- Geſtalten ſind bei unſerm Volke populär geworden: der alte Deſſauer, Friedrich der Große, Blücher. Auch unſer großer Kanzler gehört hierher. Alles Patente wird beargwohnt, oder iſt einfach lächerlich.
Das ganze Auftreten Schadow’s erinnerte vielfach an die Meiſter des 15. und 16. Jahrhunderts. Er war ein Peter Viſcher in’s märkiſch-Berliniſche überſetzt und hielt noch auf’s Hand- werk, immer davon ausgehend, daß es beſſer ſei, das Handwerk zur Kunſt, als die Kunſt zum Handwerk zu machen. Von Bürger- ſinn und Bürgertrotz war ihm ein gerüttelt und geſchüttelt Maß
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Der Angeredete gehorcht mit ſüßſaurem Geſicht.
„So. Na nu ſetzt’de Dir hier an’n Diſch un zeechenſt.“
Unſer junger Aspirant thut wie befohlen, zeichnet ein Ohr
und überreicht es dem neben ihm ſtehenden Stabfuß. Dieſer, in
begreiflicherweiſe höchſt kritiſcher Laune, beginnt zu mäkeln, aber
ſeine Geſchicke vollziehen ſich unabwendlich.
„Geben Se mal her“ unterbricht ihn der Alte, klappt den
grünen Schirm abermals in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier
von allen vier Seiten und ſagt dann: „Stabfuß, bedenken Se —
aus’n Kopp. Det Ohr is jut. Schreiben Se’n man in.“
Und ſo kam Richard Lucae in die Gipsklaſſe.
Und ſo war der alte Schadow, ſetzen wir hinzu. Ein Zwie-
ſpalt ging durch ſein Leben: Griechenthum und Märkerthum hielten
ſich das Gleichgewicht oder verbanden ſich zu einem wunderbar
humoriſtiſchen Gemiſch. Wenn er in den Saal tapſte oder das
Taſchentuch zog (was viel öfter geſchah, als ſchön war), war er
ganz der Sohn ſeines Vaters aus Dorf Saalow, wenn er den
Stift in die Hand nahm, war er das Kind einer glücklicheren
Zone. Mark Brandenburg und Athen erſchienen abwechſelnd als
ſeine Heimath. Sein Körper und ſeine Seele lebten mit einander
wie Venus und Vulkan. Dieſe Zwieſpältigkeit wurde zuletzt ſein
Stolz, und er machte das Beſte draus, was ſich draus machen
ließ, ein Original. Und wirklich, immer nur ſolche Derbheits-
Geſtalten ſind bei unſerm Volke populär geworden: der alte
Deſſauer, Friedrich der Große, Blücher. Auch unſer großer
Kanzler gehört hierher. Alles Patente wird beargwohnt, oder iſt
einfach lächerlich.
Das ganze Auftreten Schadow’s erinnerte vielfach an die
Meiſter des 15. und 16. Jahrhunderts. Er war ein Peter Viſcher
in’s märkiſch-Berliniſche überſetzt und hielt noch auf’s Hand-
werk, immer davon ausgehend, daß es beſſer ſei, das Handwerk
zur Kunſt, als die Kunſt zum Handwerk zu machen. Von Bürger-
ſinn und Bürgertrotz war ihm ein gerüttelt und geſchüttelt Maß
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/358>, abgerufen am 22.11.2024.
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