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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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überall. Und so konnt' es denn freilich nicht ausbleiben, daß ihm
der Haß aller rechtschaffenen Leute zu Theil wurde, wozu sich als-
bald der Niedergang in seiner Wirthschaft und Haushaltung und
zuletzt der vollkommenste Bankrutt gesellte, so daß er Siethen
unter den kümmerlichsten Umständen aufgeben mußte. Zurück läßt
er eine seit Jahren kranke Frau, sammt einer Tochter, so ihrem
Vater ähnlich ist. Vor einigen Jahren zeugete er mit einigen
Mägden in seinem Hause noch einige Kinder, und ergab sich endlich
dem Trunke zur Stärkung und Erfrischung seines Leibes und
Gemüths-Charakters.*)

*) Es ist die Frage gestellt worden, "ob solche Kritik in einem Kirchen-
buche zulässig sei", was ich auf das bestimmteste bejahen möchte. So gewiß
es einem Geistlichen zusteht, von der Kanzel her, oder selbst am Grabe, die
besondere Verruchtheit eines Ehrlosen zu brandmarken, der -- wie vielleicht
erst die Stunde seines Todes aufdeckte -- Wittwen und Waisen um das Ihrige
betrog, so gewiß muß es ihm auch zustehen, im Kirchenbuche Dinge niederzu-
schreiben, die solcher öffentlichen Anklage gleich kommen. Ich bin sogar der
Ansicht, daß dies häufiger geschehen und ein derartiges Vorgehen unter die
ständigen Kirchenzuchts-Mittel aufgenommen werden sollte. Denn es giebt in
der That Naturen, die vor solchem auf Jahrhunderte hin unerbittlich über-
liefertem Wort mehr Respect haben, ja mehr in Furcht sind, als vor einem
lebzeitigen Skandal. Ein Amts-Mißbrauch ist aber um so weniger zu be-
fürchten, als ein Appell von Seiten der in gewissem Sinne mitbetroffenen
Verwandtschaft an die vorgesetzte kirchliche Behörde ja jederzeit offen stehn und
selbstverständlich, im Falle sich ein Uebergriff herausstellen sollte, zur Entfer-
nung des Geistlichen aus seinem Amt eventuell auch zu weiterer Bestrafung
führen würde. -- Was übrigens speciell unseren Pastor Redde betrifft, so muß
ihm dieser "letzte Schlabrendorf auf Siethen" ein ganz besondrer Dorn im
Auge gewesen sein, da wir in anderweiten, einige Jahre später gemachten
Kirchenbuch-Aufzeichnungen eben diesen Redde nicht nur als einen durchaus un-
zelotischen, sondern sogar als einen höchst complaisanten und beinah höfischen
alten Herrn kennen lernen. Es bezieht sich dies namentlich auf ein französisch
abgefaßtes und an eine damals etwa 7 Jahr alte Comtesse Brandenburg
(Tochter Friedrich Wilhelms II.) gerichtetes Sinngedicht, das nach Ueberschrift
und Inhalt folgendermaßen lautet: A l'anniversaire de la naissance de Mlle.
Julie, Comtesse de Brandebourg, celebre le 4 Janvier a Siethen par le cure
Redde. "Vos fleurs de la jeunesse -- S'augementent des ce jour -- Les fruits
de la sagesse -- En viennent a leur tour. -- O gardez tout bouton afin qu'il
bien fleurisse, -- Afin que toute fleur en fruit pour vous meurisse."

überall. Und ſo konnt’ es denn freilich nicht ausbleiben, daß ihm
der Haß aller rechtſchaffenen Leute zu Theil wurde, wozu ſich als-
bald der Niedergang in ſeiner Wirthſchaft und Haushaltung und
zuletzt der vollkommenſte Bankrutt geſellte, ſo daß er Siethen
unter den kümmerlichſten Umſtänden aufgeben mußte. Zurück läßt
er eine ſeit Jahren kranke Frau, ſammt einer Tochter, ſo ihrem
Vater ähnlich iſt. Vor einigen Jahren zeugete er mit einigen
Mägden in ſeinem Hauſe noch einige Kinder, und ergab ſich endlich
dem Trunke zur Stärkung und Erfriſchung ſeines Leibes und
Gemüths-Charakters.*)

*) Es iſt die Frage geſtellt worden, „ob ſolche Kritik in einem Kirchen-
buche zuläſſig ſei“, was ich auf das beſtimmteſte bejahen möchte. So gewiß
es einem Geiſtlichen zuſteht, von der Kanzel her, oder ſelbſt am Grabe, die
beſondere Verruchtheit eines Ehrloſen zu brandmarken, der — wie vielleicht
erſt die Stunde ſeines Todes aufdeckte — Wittwen und Waiſen um das Ihrige
betrog, ſo gewiß muß es ihm auch zuſtehen, im Kirchenbuche Dinge niederzu-
ſchreiben, die ſolcher öffentlichen Anklage gleich kommen. Ich bin ſogar der
Anſicht, daß dies häufiger geſchehen und ein derartiges Vorgehen unter die
ſtändigen Kirchenzuchts-Mittel aufgenommen werden ſollte. Denn es giebt in
der That Naturen, die vor ſolchem auf Jahrhunderte hin unerbittlich über-
liefertem Wort mehr Reſpect haben, ja mehr in Furcht ſind, als vor einem
lebzeitigen Skandal. Ein Amts-Mißbrauch iſt aber um ſo weniger zu be-
fürchten, als ein Appell von Seiten der in gewiſſem Sinne mitbetroffenen
Verwandtſchaft an die vorgeſetzte kirchliche Behörde ja jederzeit offen ſtehn und
ſelbſtverſtändlich, im Falle ſich ein Uebergriff herausſtellen ſollte, zur Entfer-
nung des Geiſtlichen aus ſeinem Amt eventuell auch zu weiterer Beſtrafung
führen würde. — Was übrigens ſpeciell unſeren Paſtor Redde betrifft, ſo muß
ihm dieſer „letzte Schlabrendorf auf Siethen“ ein ganz beſondrer Dorn im
Auge geweſen ſein, da wir in anderweiten, einige Jahre ſpäter gemachten
Kirchenbuch-Aufzeichnungen eben dieſen Redde nicht nur als einen durchaus un-
zelotiſchen, ſondern ſogar als einen höchſt complaiſanten und beinah höfiſchen
alten Herrn kennen lernen. Es bezieht ſich dies namentlich auf ein franzöſiſch
abgefaßtes und an eine damals etwa 7 Jahr alte Comteſſe Brandenburg
(Tochter Friedrich Wilhelms II.) gerichtetes Sinngedicht, das nach Ueberſchrift
und Inhalt folgendermaßen lautet: A l’anniversaire de la naissance de Mlle.
Julie, Comtesse de Brandebourg, celebré le 4 Janvier à Siethen par le curé
Redde. „Vos fleurs de la jeunesse — S’augementent dès ce jour — Les fruits
de la sagesse — En viennent à leur tour. — O gardez tout bouton afin qu’il
bien fleurisse, — Afin que toute fleur en fruit pour vous mêurisse.“
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[367/0383] überall. Und ſo konnt’ es denn freilich nicht ausbleiben, daß ihm der Haß aller rechtſchaffenen Leute zu Theil wurde, wozu ſich als- bald der Niedergang in ſeiner Wirthſchaft und Haushaltung und zuletzt der vollkommenſte Bankrutt geſellte, ſo daß er Siethen unter den kümmerlichſten Umſtänden aufgeben mußte. Zurück läßt er eine ſeit Jahren kranke Frau, ſammt einer Tochter, ſo ihrem Vater ähnlich iſt. Vor einigen Jahren zeugete er mit einigen Mägden in ſeinem Hauſe noch einige Kinder, und ergab ſich endlich dem Trunke zur Stärkung und Erfriſchung ſeines Leibes und Gemüths-Charakters. *) *) Es iſt die Frage geſtellt worden, „ob ſolche Kritik in einem Kirchen- buche zuläſſig ſei“, was ich auf das beſtimmteſte bejahen möchte. So gewiß es einem Geiſtlichen zuſteht, von der Kanzel her, oder ſelbſt am Grabe, die beſondere Verruchtheit eines Ehrloſen zu brandmarken, der — wie vielleicht erſt die Stunde ſeines Todes aufdeckte — Wittwen und Waiſen um das Ihrige betrog, ſo gewiß muß es ihm auch zuſtehen, im Kirchenbuche Dinge niederzu- ſchreiben, die ſolcher öffentlichen Anklage gleich kommen. Ich bin ſogar der Anſicht, daß dies häufiger geſchehen und ein derartiges Vorgehen unter die ſtändigen Kirchenzuchts-Mittel aufgenommen werden ſollte. Denn es giebt in der That Naturen, die vor ſolchem auf Jahrhunderte hin unerbittlich über- liefertem Wort mehr Reſpect haben, ja mehr in Furcht ſind, als vor einem lebzeitigen Skandal. Ein Amts-Mißbrauch iſt aber um ſo weniger zu be- fürchten, als ein Appell von Seiten der in gewiſſem Sinne mitbetroffenen Verwandtſchaft an die vorgeſetzte kirchliche Behörde ja jederzeit offen ſtehn und ſelbſtverſtändlich, im Falle ſich ein Uebergriff herausſtellen ſollte, zur Entfer- nung des Geiſtlichen aus ſeinem Amt eventuell auch zu weiterer Beſtrafung führen würde. — Was übrigens ſpeciell unſeren Paſtor Redde betrifft, ſo muß ihm dieſer „letzte Schlabrendorf auf Siethen“ ein ganz beſondrer Dorn im Auge geweſen ſein, da wir in anderweiten, einige Jahre ſpäter gemachten Kirchenbuch-Aufzeichnungen eben dieſen Redde nicht nur als einen durchaus un- zelotiſchen, ſondern ſogar als einen höchſt complaiſanten und beinah höfiſchen alten Herrn kennen lernen. Es bezieht ſich dies namentlich auf ein franzöſiſch abgefaßtes und an eine damals etwa 7 Jahr alte Comteſſe Brandenburg (Tochter Friedrich Wilhelms II.) gerichtetes Sinngedicht, das nach Ueberſchrift und Inhalt folgendermaßen lautet: A l’anniversaire de la naissance de Mlle. Julie, Comtesse de Brandebourg, celebré le 4 Janvier à Siethen par le curé Redde. „Vos fleurs de la jeunesse — S’augementent dès ce jour — Les fruits de la sagesse — En viennent à leur tour. — O gardez tout bouton afin qu’il bien fleurisse, — Afin que toute fleur en fruit pour vous mêurisse.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/383>, abgerufen am 22.11.2024.