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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Und dieser Rath und Wille war, daß sie von uns genommen
werden sollte. Wenige Tage, nachdem dieser Brief geschrieben,
stellten sich heftige Fieberphantasien ein, in denen die Kranke
wunderbare Gesichte hatte; sie sah Gott und Christum und sprach
mit ihnen, und nach einer dieser Erscheinungen sagte sie fest und
freudig: "Und wenn Du gefragt wirst, ob die Herrlichkeit des
Herren wirklich so groß sei, dann sage getrost und getreulich: ja."

Wir aber waren daheim mit unseren Gedanken unausgesetzt
um sie, getheilt zwischen Furcht und Hoffnung. Und auch am
13. October Abends versammelten wir uns Alt und Jung wieder
in der erleuchteten Kirche zu Siethen und beteten unter vielen
Thränen um Erhaltung ihres theuren Lebens. Aber um eben diese
Stunde ging ihre Seele in die ewige Heimath ein.

Ihre Hülle wurde nach Siethen übergeführt und im Beisein
vieler Hunderte von nah und fern begraben. Auch das alte
Fräulein von Goertzke kam von Groß-Beuthen her herüber und
sagte bewegt: "Es war doch ein reich gesegneter Tag, an dem sie
auf diese Erde kam."


Alles, was der Mutter noch an Lebensfreude geblieben war,
war nun dahin, und das einfache Haus, das seitens der Tochter
vor wenig Jahren erst zum Troste Verwaister gegründet worden
war, es war jetzt wie mitgegründet für sie. Denn sie war auch
verwaist, eine verwaiste Mutter, und der Tochter zu folgen der einzige
Wunsch noch, der ihr Herz erfüllte. Sie sehnte sich nach Wieder-
vereinigung mit ihr und als der Todes-Jahrestag gefeiert werden sollte,
sagte sie: "Mir ist, als ob wir heut ihren Geburtstag feierten.
Ich fühle mich fremd und allein hier und möchte sie doch nicht
wiedersehn auf dieser armen Erde."

Von Aufgaben war ihr nur noch eine geblieben: Ausführung
alles dessen, was der Tochter einst ein Wunsch gewesen. Und sie
begann damit. Aber eh ein Jahr um war, unterbrach ein neuer
Todesfall das eben erst Begonnene: die verwittwete Gräfin Schlab-
rendorf starb und hinterließ ihr, der Schwägerin, das Groebener
Erbe. Dies hätte nun unter Umständen eine Freude sein können,
aber es entsprach wenig den Frau v. Scharnhorst'schen Ansprüchen

Und dieſer Rath und Wille war, daß ſie von uns genommen
werden ſollte. Wenige Tage, nachdem dieſer Brief geſchrieben,
ſtellten ſich heftige Fieberphantaſien ein, in denen die Kranke
wunderbare Geſichte hatte; ſie ſah Gott und Chriſtum und ſprach
mit ihnen, und nach einer dieſer Erſcheinungen ſagte ſie feſt und
freudig: „Und wenn Du gefragt wirſt, ob die Herrlichkeit des
Herren wirklich ſo groß ſei, dann ſage getroſt und getreulich: ja.“

Wir aber waren daheim mit unſeren Gedanken unausgeſetzt
um ſie, getheilt zwiſchen Furcht und Hoffnung. Und auch am
13. October Abends verſammelten wir uns Alt und Jung wieder
in der erleuchteten Kirche zu Siethen und beteten unter vielen
Thränen um Erhaltung ihres theuren Lebens. Aber um eben dieſe
Stunde ging ihre Seele in die ewige Heimath ein.

Ihre Hülle wurde nach Siethen übergeführt und im Beiſein
vieler Hunderte von nah und fern begraben. Auch das alte
Fräulein von Goertzke kam von Groß-Beuthen her herüber und
ſagte bewegt: „Es war doch ein reich geſegneter Tag, an dem ſie
auf dieſe Erde kam.“


Alles, was der Mutter noch an Lebensfreude geblieben war,
war nun dahin, und das einfache Haus, das ſeitens der Tochter
vor wenig Jahren erſt zum Troſte Verwaiſter gegründet worden
war, es war jetzt wie mitgegründet für ſie. Denn ſie war auch
verwaiſt, eine verwaiſte Mutter, und der Tochter zu folgen der einzige
Wunſch noch, der ihr Herz erfüllte. Sie ſehnte ſich nach Wieder-
vereinigung mit ihr und als der Todes-Jahrestag gefeiert werden ſollte,
ſagte ſie: „Mir iſt, als ob wir heut ihren Geburtstag feierten.
Ich fühle mich fremd und allein hier und möchte ſie doch nicht
wiederſehn auf dieſer armen Erde.“

Von Aufgaben war ihr nur noch eine geblieben: Ausführung
alles deſſen, was der Tochter einſt ein Wunſch geweſen. Und ſie
begann damit. Aber eh ein Jahr um war, unterbrach ein neuer
Todesfall das eben erſt Begonnene: die verwittwete Gräfin Schlab-
rendorf ſtarb und hinterließ ihr, der Schwägerin, das Groebener
Erbe. Dies hätte nun unter Umſtänden eine Freude ſein können,
aber es entſprach wenig den Frau v. Scharnhorſt’ſchen Anſprüchen

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[391/0407] Und dieſer Rath und Wille war, daß ſie von uns genommen werden ſollte. Wenige Tage, nachdem dieſer Brief geſchrieben, ſtellten ſich heftige Fieberphantaſien ein, in denen die Kranke wunderbare Geſichte hatte; ſie ſah Gott und Chriſtum und ſprach mit ihnen, und nach einer dieſer Erſcheinungen ſagte ſie feſt und freudig: „Und wenn Du gefragt wirſt, ob die Herrlichkeit des Herren wirklich ſo groß ſei, dann ſage getroſt und getreulich: ja.“ Wir aber waren daheim mit unſeren Gedanken unausgeſetzt um ſie, getheilt zwiſchen Furcht und Hoffnung. Und auch am 13. October Abends verſammelten wir uns Alt und Jung wieder in der erleuchteten Kirche zu Siethen und beteten unter vielen Thränen um Erhaltung ihres theuren Lebens. Aber um eben dieſe Stunde ging ihre Seele in die ewige Heimath ein. Ihre Hülle wurde nach Siethen übergeführt und im Beiſein vieler Hunderte von nah und fern begraben. Auch das alte Fräulein von Goertzke kam von Groß-Beuthen her herüber und ſagte bewegt: „Es war doch ein reich geſegneter Tag, an dem ſie auf dieſe Erde kam.“ Alles, was der Mutter noch an Lebensfreude geblieben war, war nun dahin, und das einfache Haus, das ſeitens der Tochter vor wenig Jahren erſt zum Troſte Verwaiſter gegründet worden war, es war jetzt wie mitgegründet für ſie. Denn ſie war auch verwaiſt, eine verwaiſte Mutter, und der Tochter zu folgen der einzige Wunſch noch, der ihr Herz erfüllte. Sie ſehnte ſich nach Wieder- vereinigung mit ihr und als der Todes-Jahrestag gefeiert werden ſollte, ſagte ſie: „Mir iſt, als ob wir heut ihren Geburtstag feierten. Ich fühle mich fremd und allein hier und möchte ſie doch nicht wiederſehn auf dieſer armen Erde.“ Von Aufgaben war ihr nur noch eine geblieben: Ausführung alles deſſen, was der Tochter einſt ein Wunſch geweſen. Und ſie begann damit. Aber eh ein Jahr um war, unterbrach ein neuer Todesfall das eben erſt Begonnene: die verwittwete Gräfin Schlab- rendorf ſtarb und hinterließ ihr, der Schwägerin, das Groebener Erbe. Dies hätte nun unter Umſtänden eine Freude ſein können, aber es entſprach wenig den Frau v. Scharnhorſt’ſchen Anſprüchen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/407>, abgerufen am 22.11.2024.