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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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den Geburtstagstisch, von den schon überschneiten Stämmen ge-
schnitten hatte. Denn es war der 16. November.

Und der Winter verging und der Frühling kam. Und als
der Sommer da war, da war sie matt, so matt, daß sie, was
sie sonst nicht kannte, zu klagen begann. Auch von ihrem Tode
sprach sie häufiger und bestimmte welches Lied an ihrem Grabe
gesungen werden solle. So ging es durch Wochen und durch
Monate hin. Aber freilich auch hoffnungsreichere Stunden kamen
wieder und als im Juli die Tante Schlabrendorf in Groeben
auf ärztlichen Rath in's Wildbad reiste, gehorchte Johanna gern
dem Wunsche der alten Gräfin und schloß sich ihr als Be-
gleiterin an.

Anfangs erhielten wir nur gute Nachrichten, sehr gute sogar,
und mit einer großen und beinah kindlichen Freudigkeit sprachen
ihre Briefe von ihren Erlebnissen, auch von den Auszeichnungen
und Ermuthigungen, die man ihr hatte zu Theil werden lassen.
"Und so sehen Sie denn, wie viel Liebes mir begegnet ist."
"Aber", so hieß es eine Woche später, "es sind auch schwere
Tage für mich angebrochen; ich habe sehen müssen, wie leicht es
ist, mich aus der Sammlung heraus und in die Zerstreuung
hinein zu bringen, und wie lieb ich noch die Welt habe. Die
dunklen Tiefen unseres Herzens können uns ordentlich erschrecken,
und ist kein anderer Trost als der einzig eine, daß Er, der diese
Dunkeltiefen in aller Deutlichkeit erkennt, auch so viel Geduld und
Liebe hat." Und daran reihten sich dann Worte der Sehnsucht
nach Siethen und dem ihr lieb gewordenen Wirkungskreise.

Das war Anfang September. Aber schon am 6. hörten wir
allerlei Beunruhigendes über ihr Befinden, und am 9. eilte Frau
von Scharnhorst an das Krankenbett ihrer Tochter. Sie fand sie
besser, als zu hoffen gewesen war, und ich empfing gleich danach
einen Brief, der dies bestätigte: "Johanna ist noch recht schwach,
aber alles Fiebers unerachtet ruhig. Meine Pflege besteht eigentlich
in nichts andrem, als sie vor Allem Störenden zu hüten. Ich
sitze neben ihr und wehre die Fliegen und richte dann und wann
ein beruhigendes Wort an sie. Bitten Sie Gott, daß er uns
gnädig ist und seinen Willen thut nach seinem Rath und nicht
nach unserem verkehrten Denken."

den Geburtstagstiſch, von den ſchon überſchneiten Stämmen ge-
ſchnitten hatte. Denn es war der 16. November.

Und der Winter verging und der Frühling kam. Und als
der Sommer da war, da war ſie matt, ſo matt, daß ſie, was
ſie ſonſt nicht kannte, zu klagen begann. Auch von ihrem Tode
ſprach ſie häufiger und beſtimmte welches Lied an ihrem Grabe
geſungen werden ſolle. So ging es durch Wochen und durch
Monate hin. Aber freilich auch hoffnungsreichere Stunden kamen
wieder und als im Juli die Tante Schlabrendorf in Groeben
auf ärztlichen Rath in’s Wildbad reiſte, gehorchte Johanna gern
dem Wunſche der alten Gräfin und ſchloß ſich ihr als Be-
gleiterin an.

Anfangs erhielten wir nur gute Nachrichten, ſehr gute ſogar,
und mit einer großen und beinah kindlichen Freudigkeit ſprachen
ihre Briefe von ihren Erlebniſſen, auch von den Auszeichnungen
und Ermuthigungen, die man ihr hatte zu Theil werden laſſen.
„Und ſo ſehen Sie denn, wie viel Liebes mir begegnet iſt.“
„Aber“, ſo hieß es eine Woche ſpäter, „es ſind auch ſchwere
Tage für mich angebrochen; ich habe ſehen müſſen, wie leicht es
iſt, mich aus der Sammlung heraus und in die Zerſtreuung
hinein zu bringen, und wie lieb ich noch die Welt habe. Die
dunklen Tiefen unſeres Herzens können uns ordentlich erſchrecken,
und iſt kein anderer Troſt als der einzig eine, daß Er, der dieſe
Dunkeltiefen in aller Deutlichkeit erkennt, auch ſo viel Geduld und
Liebe hat.“ Und daran reihten ſich dann Worte der Sehnſucht
nach Siethen und dem ihr lieb gewordenen Wirkungskreiſe.

Das war Anfang September. Aber ſchon am 6. hörten wir
allerlei Beunruhigendes über ihr Befinden, und am 9. eilte Frau
von Scharnhorſt an das Krankenbett ihrer Tochter. Sie fand ſie
beſſer, als zu hoffen geweſen war, und ich empfing gleich danach
einen Brief, der dies beſtätigte: „Johanna iſt noch recht ſchwach,
aber alles Fiebers unerachtet ruhig. Meine Pflege beſteht eigentlich
in nichts andrem, als ſie vor Allem Störenden zu hüten. Ich
ſitze neben ihr und wehre die Fliegen und richte dann und wann
ein beruhigendes Wort an ſie. Bitten Sie Gott, daß er uns
gnädig iſt und ſeinen Willen thut nach ſeinem Rath und nicht
nach unſerem verkehrten Denken.“

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[390/0406] den Geburtstagstiſch, von den ſchon überſchneiten Stämmen ge- ſchnitten hatte. Denn es war der 16. November. Und der Winter verging und der Frühling kam. Und als der Sommer da war, da war ſie matt, ſo matt, daß ſie, was ſie ſonſt nicht kannte, zu klagen begann. Auch von ihrem Tode ſprach ſie häufiger und beſtimmte welches Lied an ihrem Grabe geſungen werden ſolle. So ging es durch Wochen und durch Monate hin. Aber freilich auch hoffnungsreichere Stunden kamen wieder und als im Juli die Tante Schlabrendorf in Groeben auf ärztlichen Rath in’s Wildbad reiſte, gehorchte Johanna gern dem Wunſche der alten Gräfin und ſchloß ſich ihr als Be- gleiterin an. Anfangs erhielten wir nur gute Nachrichten, ſehr gute ſogar, und mit einer großen und beinah kindlichen Freudigkeit ſprachen ihre Briefe von ihren Erlebniſſen, auch von den Auszeichnungen und Ermuthigungen, die man ihr hatte zu Theil werden laſſen. „Und ſo ſehen Sie denn, wie viel Liebes mir begegnet iſt.“ „Aber“, ſo hieß es eine Woche ſpäter, „es ſind auch ſchwere Tage für mich angebrochen; ich habe ſehen müſſen, wie leicht es iſt, mich aus der Sammlung heraus und in die Zerſtreuung hinein zu bringen, und wie lieb ich noch die Welt habe. Die dunklen Tiefen unſeres Herzens können uns ordentlich erſchrecken, und iſt kein anderer Troſt als der einzig eine, daß Er, der dieſe Dunkeltiefen in aller Deutlichkeit erkennt, auch ſo viel Geduld und Liebe hat.“ Und daran reihten ſich dann Worte der Sehnſucht nach Siethen und dem ihr lieb gewordenen Wirkungskreiſe. Das war Anfang September. Aber ſchon am 6. hörten wir allerlei Beunruhigendes über ihr Befinden, und am 9. eilte Frau von Scharnhorſt an das Krankenbett ihrer Tochter. Sie fand ſie beſſer, als zu hoffen geweſen war, und ich empfing gleich danach einen Brief, der dies beſtätigte: „Johanna iſt noch recht ſchwach, aber alles Fiebers unerachtet ruhig. Meine Pflege beſteht eigentlich in nichts andrem, als ſie vor Allem Störenden zu hüten. Ich ſitze neben ihr und wehre die Fliegen und richte dann und wann ein beruhigendes Wort an ſie. Bitten Sie Gott, daß er uns gnädig iſt und ſeinen Willen thut nach ſeinem Rath und nicht nach unſerem verkehrten Denken.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/406>, abgerufen am 22.11.2024.