wenn sie Grimmsche Märchen oder Glaubrechts hübsche Geschichte von Küppels Michel erzählte.
Dieser heitre Zug, in den sich selbst ein Anflug von Ironie mischen konnte, sprach sich auch sonst noch in ihrem Wesen aus. Einmal hatt' ich Urlaub in meine westphälische Heimath genommen, schrieb von dort her und erhielt alsbald einige Zeilen, in denen es hieß: "Es freut mich, daß Sie so treulich an unser kleines und einsames Siethen denken, von dem ich Sie nur noch bitte, den lieben Ihrigen kein allzu sibirisches Bild entwerfen zu wollen." Sie kannte die komisch-falschen Vorstellungen, die man wenigstens damals noch in Süd- und Westdeutschland von der Mark Brandenburg unter- hielt, und widerstand dem Anreize nicht, diese Vorstellungen zu persifliren.
Ja, sie hatte diesen humoristischen Zug, aber er streute doch nur ein Weniges von Frohsinn und Heiterkeit über ihr Leben aus, und was sie, wenn wir über Feld gingen, am liebsten sah: ein weißes Mohnfeld mit ein paar rothen Mohnblumen dazwischen -- das war recht eigentlich sie selbst. Der Grundton ihrer Seele war elegisch und blieb es auch in ihrer glücklichsten Zeit.
In dieser standen wir jetzt, in jenen Wochen und Monaten, die der Gründung der Anstalt unmittelbar folgten, und wie Jeg- liches um uns her gedieh, so gedieh auch Fräulein Johanna selbst. Es erschien uns oft, als ob ihr unter immer neuer Arbeit auch neue Kräfte kämen. Sie sah frisch aus, frischer als sonst, und als nach einjähriger Thätigkeit ihr Geburtstag unter Theilnahme vieler lieber Gäste gefeiert wurde, flüsterte mir eine Nachbarin zu: "Wie blühend Johanna aussieht." Und es war so. Freilich täuschten diese bühenden Farben und bargen recht eigentlich die Gefahr, aber noch waren wir ahnungslos und der Tag selbst ver- lief uns in ungestörter Freude. Die Kinder sangen ihre Lieder und weil Johanna selber nicht singen konnte, sagte sie scherzend: "ich könnte böse sein, keine Stimme zu haben." "Ach, Du willst zu viel," antwortete ihr ihr ehemaliger Lehrer und Erzieher in liebevollem Vorwurfe. "Man muß auch nicht Alles haben wollen." So vergingen die Stunden in schöner und gehobener Heiterkeit, was ihr aber im Laufe des Tages die größte Freude gemacht hatte, das waren ein paar Spät-Rosen gewesen, die man ihr, für
wenn ſie Grimmſche Märchen oder Glaubrechts hübſche Geſchichte von Küppels Michel erzählte.
Dieſer heitre Zug, in den ſich ſelbſt ein Anflug von Ironie miſchen konnte, ſprach ſich auch ſonſt noch in ihrem Weſen aus. Einmal hatt’ ich Urlaub in meine weſtphäliſche Heimath genommen, ſchrieb von dort her und erhielt alsbald einige Zeilen, in denen es hieß: „Es freut mich, daß Sie ſo treulich an unſer kleines und einſames Siethen denken, von dem ich Sie nur noch bitte, den lieben Ihrigen kein allzu ſibiriſches Bild entwerfen zu wollen.“ Sie kannte die komiſch-falſchen Vorſtellungen, die man wenigſtens damals noch in Süd- und Weſtdeutſchland von der Mark Brandenburg unter- hielt, und widerſtand dem Anreize nicht, dieſe Vorſtellungen zu perſifliren.
Ja, ſie hatte dieſen humoriſtiſchen Zug, aber er ſtreute doch nur ein Weniges von Frohſinn und Heiterkeit über ihr Leben aus, und was ſie, wenn wir über Feld gingen, am liebſten ſah: ein weißes Mohnfeld mit ein paar rothen Mohnblumen dazwiſchen — das war recht eigentlich ſie ſelbſt. Der Grundton ihrer Seele war elegiſch und blieb es auch in ihrer glücklichſten Zeit.
In dieſer ſtanden wir jetzt, in jenen Wochen und Monaten, die der Gründung der Anſtalt unmittelbar folgten, und wie Jeg- liches um uns her gedieh, ſo gedieh auch Fräulein Johanna ſelbſt. Es erſchien uns oft, als ob ihr unter immer neuer Arbeit auch neue Kräfte kämen. Sie ſah friſch aus, friſcher als ſonſt, und als nach einjähriger Thätigkeit ihr Geburtstag unter Theilnahme vieler lieber Gäſte gefeiert wurde, flüſterte mir eine Nachbarin zu: „Wie blühend Johanna ausſieht.“ Und es war ſo. Freilich täuſchten dieſe bühenden Farben und bargen recht eigentlich die Gefahr, aber noch waren wir ahnungslos und der Tag ſelbſt ver- lief uns in ungeſtörter Freude. Die Kinder ſangen ihre Lieder und weil Johanna ſelber nicht ſingen konnte, ſagte ſie ſcherzend: „ich könnte böſe ſein, keine Stimme zu haben.“ „Ach, Du willſt zu viel,“ antwortete ihr ihr ehemaliger Lehrer und Erzieher in liebevollem Vorwurfe. „Man muß auch nicht Alles haben wollen.“ So vergingen die Stunden in ſchöner und gehobener Heiterkeit, was ihr aber im Laufe des Tages die größte Freude gemacht hatte, das waren ein paar Spät-Roſen geweſen, die man ihr, für
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wenn ſie Grimmſche Märchen oder Glaubrechts hübſche Geſchichte
von Küppels Michel erzählte.
Dieſer heitre Zug, in den ſich ſelbſt ein Anflug von Ironie miſchen
konnte, ſprach ſich auch ſonſt noch in ihrem Weſen aus. Einmal
hatt’ ich Urlaub in meine weſtphäliſche Heimath genommen, ſchrieb
von dort her und erhielt alsbald einige Zeilen, in denen es hieß:
„Es freut mich, daß Sie ſo treulich an unſer kleines und einſames
Siethen denken, von dem ich Sie nur noch bitte, den lieben Ihrigen
kein allzu ſibiriſches Bild entwerfen zu wollen.“ Sie kannte
die komiſch-falſchen Vorſtellungen, die man wenigſtens damals noch
in Süd- und Weſtdeutſchland von der Mark Brandenburg unter-
hielt, und widerſtand dem Anreize nicht, dieſe Vorſtellungen zu
perſifliren.
Ja, ſie hatte dieſen humoriſtiſchen Zug, aber er ſtreute doch
nur ein Weniges von Frohſinn und Heiterkeit über ihr Leben aus,
und was ſie, wenn wir über Feld gingen, am liebſten ſah: ein
weißes Mohnfeld mit ein paar rothen Mohnblumen dazwiſchen —
das war recht eigentlich ſie ſelbſt. Der Grundton ihrer Seele
war elegiſch und blieb es auch in ihrer glücklichſten Zeit.
In dieſer ſtanden wir jetzt, in jenen Wochen und Monaten,
die der Gründung der Anſtalt unmittelbar folgten, und wie Jeg-
liches um uns her gedieh, ſo gedieh auch Fräulein Johanna ſelbſt.
Es erſchien uns oft, als ob ihr unter immer neuer Arbeit auch
neue Kräfte kämen. Sie ſah friſch aus, friſcher als ſonſt, und
als nach einjähriger Thätigkeit ihr Geburtstag unter Theilnahme
vieler lieber Gäſte gefeiert wurde, flüſterte mir eine Nachbarin zu:
„Wie blühend Johanna ausſieht.“ Und es war ſo. Freilich
täuſchten dieſe bühenden Farben und bargen recht eigentlich die
Gefahr, aber noch waren wir ahnungslos und der Tag ſelbſt ver-
lief uns in ungeſtörter Freude. Die Kinder ſangen ihre Lieder
und weil Johanna ſelber nicht ſingen konnte, ſagte ſie ſcherzend:
„ich könnte böſe ſein, keine Stimme zu haben.“ „Ach, Du willſt
zu viel,“ antwortete ihr ihr ehemaliger Lehrer und Erzieher in
liebevollem Vorwurfe. „Man muß auch nicht Alles haben wollen.“
So vergingen die Stunden in ſchöner und gehobener Heiterkeit,
was ihr aber im Laufe des Tages die größte Freude gemacht
hatte, das waren ein paar Spät-Roſen geweſen, die man ihr, für
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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