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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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hielt, auf dem Kirchhof ebendaselbst entstand eine Grabcapelle
nebst einer daran anschließenden geräumigen Leichenhalle, vor
allem aber wurd' ein Capital angesammelt und deponirt, aus
dem, nach Ablauf einer bestimmten Frist, ein Pfarrhaus und eine
selbstständige Siethner Pfarre gegründet werden sollte. Die Durch-
führung all dieser Pläne bot ihr das, was ihr ein immer ein-
samer werdendes Leben überhaupt noch bieten konnte: den Trost
und die Freude der Arbeit. Ebenso wuchs ihre Liebe zu den
Kindern, deren Heiterkeit sie suchte, wie der Fröstelnde die
Sonne sucht.

Endlich aber war die Stunde da, nach der sie sich seit lange
gesehnt. "Als ich von Siethen herüber kam und ihre Hand faßte,
kannte sie mich nicht mehr; sie war ohne Bewußtsein. Der Geist-
liche las ihr, wie sie's in gesunden Tagen eigens gewollt hatte,
Bibelsprüche vor, von denen sie den schönen Glauben unterhielt,
daß dieselben auch ihren umnachteten Geist durchdringen, ihr Herz
erheben und Trost und Heil ihr spenden müßten. Und unter diesen
schönsten und schlichtesten Litaneien schlief sie hinüber."

"An geistiger Bedeutung," so darf ich brieflichen Mittheilungen
entnehmen, "stand Frau v. Scharnhorst der Gräfin Leo Schlab-
rendorf nach, aber sie war dieser an Gemüth und Zartheit über-
legen. Und dieser Zartheit unerachtet auch an Originalität.
Es war dies der Schlabrendorfsche Zug in ihr, etwas Geniales,
Sprunghaftes und Blitzendes, das, so gemildert es auftrat, doch
gelegentlich an den excentrischen Vater erinnerte.

Ihrer Liebenswürdigkeit vermochte nicht leicht wer zu wider-
stehn, und Personen gegenüber, zu denen sie sich hingezogen fühlte,
bezeigte sie sich von einer Anmuth, von der schwer zu sagen war,
ob sie mehr aus ihrer Gefühls- oder ihrer Denkart entsproß.
Sie hatte den ganzen Zauber der Wahrhaftigkeit und einer christlich
edlen Gesinnung.

Am ausgesprochensten aber erwies sich ihr Wesen in ihrer
Pflichterfüllung und Hingebung, die vielfach den Charakter absoluter
Selbstverleugnung an sich trug. Es war ihr Bedürfniß, ihr eignes
Glück dem andrer zum Opfer zu bringen. Vielleicht (wenn dies
je möglich ist) ging sie hierin um einen Schritt zu weit."

hielt, auf dem Kirchhof ebendaſelbſt entſtand eine Grabcapelle
nebſt einer daran anſchließenden geräumigen Leichenhalle, vor
allem aber wurd’ ein Capital angeſammelt und deponirt, aus
dem, nach Ablauf einer beſtimmten Friſt, ein Pfarrhaus und eine
ſelbſtſtändige Siethner Pfarre gegründet werden ſollte. Die Durch-
führung all dieſer Pläne bot ihr das, was ihr ein immer ein-
ſamer werdendes Leben überhaupt noch bieten konnte: den Troſt
und die Freude der Arbeit. Ebenſo wuchs ihre Liebe zu den
Kindern, deren Heiterkeit ſie ſuchte, wie der Fröſtelnde die
Sonne ſucht.

Endlich aber war die Stunde da, nach der ſie ſich ſeit lange
geſehnt. „Als ich von Siethen herüber kam und ihre Hand faßte,
kannte ſie mich nicht mehr; ſie war ohne Bewußtſein. Der Geiſt-
liche las ihr, wie ſie’s in geſunden Tagen eigens gewollt hatte,
Bibelſprüche vor, von denen ſie den ſchönen Glauben unterhielt,
daß dieſelben auch ihren umnachteten Geiſt durchdringen, ihr Herz
erheben und Troſt und Heil ihr ſpenden müßten. Und unter dieſen
ſchönſten und ſchlichteſten Litaneien ſchlief ſie hinüber.“

„An geiſtiger Bedeutung,“ ſo darf ich brieflichen Mittheilungen
entnehmen, „ſtand Frau v. Scharnhorſt der Gräfin Leo Schlab-
rendorf nach, aber ſie war dieſer an Gemüth und Zartheit über-
legen. Und dieſer Zartheit unerachtet auch an Originalität.
Es war dies der Schlabrendorfſche Zug in ihr, etwas Geniales,
Sprunghaftes und Blitzendes, das, ſo gemildert es auftrat, doch
gelegentlich an den excentriſchen Vater erinnerte.

Ihrer Liebenswürdigkeit vermochte nicht leicht wer zu wider-
ſtehn, und Perſonen gegenüber, zu denen ſie ſich hingezogen fühlte,
bezeigte ſie ſich von einer Anmuth, von der ſchwer zu ſagen war,
ob ſie mehr aus ihrer Gefühls- oder ihrer Denkart entſproß.
Sie hatte den ganzen Zauber der Wahrhaftigkeit und einer chriſtlich
edlen Geſinnung.

Am ausgeſprochenſten aber erwies ſich ihr Weſen in ihrer
Pflichterfüllung und Hingebung, die vielfach den Charakter abſoluter
Selbſtverleugnung an ſich trug. Es war ihr Bedürfniß, ihr eignes
Glück dem andrer zum Opfer zu bringen. Vielleicht (wenn dies
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[393/0409] hielt, auf dem Kirchhof ebendaſelbſt entſtand eine Grabcapelle nebſt einer daran anſchließenden geräumigen Leichenhalle, vor allem aber wurd’ ein Capital angeſammelt und deponirt, aus dem, nach Ablauf einer beſtimmten Friſt, ein Pfarrhaus und eine ſelbſtſtändige Siethner Pfarre gegründet werden ſollte. Die Durch- führung all dieſer Pläne bot ihr das, was ihr ein immer ein- ſamer werdendes Leben überhaupt noch bieten konnte: den Troſt und die Freude der Arbeit. Ebenſo wuchs ihre Liebe zu den Kindern, deren Heiterkeit ſie ſuchte, wie der Fröſtelnde die Sonne ſucht. Endlich aber war die Stunde da, nach der ſie ſich ſeit lange geſehnt. „Als ich von Siethen herüber kam und ihre Hand faßte, kannte ſie mich nicht mehr; ſie war ohne Bewußtſein. Der Geiſt- liche las ihr, wie ſie’s in geſunden Tagen eigens gewollt hatte, Bibelſprüche vor, von denen ſie den ſchönen Glauben unterhielt, daß dieſelben auch ihren umnachteten Geiſt durchdringen, ihr Herz erheben und Troſt und Heil ihr ſpenden müßten. Und unter dieſen ſchönſten und ſchlichteſten Litaneien ſchlief ſie hinüber.“ „An geiſtiger Bedeutung,“ ſo darf ich brieflichen Mittheilungen entnehmen, „ſtand Frau v. Scharnhorſt der Gräfin Leo Schlab- rendorf nach, aber ſie war dieſer an Gemüth und Zartheit über- legen. Und dieſer Zartheit unerachtet auch an Originalität. Es war dies der Schlabrendorfſche Zug in ihr, etwas Geniales, Sprunghaftes und Blitzendes, das, ſo gemildert es auftrat, doch gelegentlich an den excentriſchen Vater erinnerte. Ihrer Liebenswürdigkeit vermochte nicht leicht wer zu wider- ſtehn, und Perſonen gegenüber, zu denen ſie ſich hingezogen fühlte, bezeigte ſie ſich von einer Anmuth, von der ſchwer zu ſagen war, ob ſie mehr aus ihrer Gefühls- oder ihrer Denkart entſproß. Sie hatte den ganzen Zauber der Wahrhaftigkeit und einer chriſtlich edlen Geſinnung. Am ausgeſprochenſten aber erwies ſich ihr Weſen in ihrer Pflichterfüllung und Hingebung, die vielfach den Charakter abſoluter Selbſtverleugnung an ſich trug. Es war ihr Bedürfniß, ihr eignes Glück dem andrer zum Opfer zu bringen. Vielleicht (wenn dies je möglich iſt) ging ſie hierin um einen Schritt zu weit.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/409>, abgerufen am 22.11.2024.