theil von dem wahr, was sich l'opinion publique als das Kriterium eines Landgeistlichen herausgeklügelt hat, und wenn ich weiter oben sagen durfte, daß ich bei dem Adel auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Enge der Anschauungen begegnet sei, so bei dem Pastor auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Unduldsamkeit. Es wird Einzel-Fälle davon gegeben haben und noch geben, aber sie zu beobachten blieb mir erspart. Ich habe weder die Rationa- listen über die Strenggläubigen, noch die Strenggläubigen über die Rationalisten in wirklich gehässigen Worten aburtheilen hören, auch nicht in Zeiten brennendster Gegnerschaft, offenster Fehde, gleichviel nun ob Aera Mühler oder Aera Falk auf der Tages- ordnung stand. Ueberall vielmehr bekundete sich ein bestimmter guter Wille den Gegner auch in dem, was ihn zum Gegner machte, gelten zu lassen, und was abwich von dieser Regel, erwies sich schließlich immer nur als Schein, als ein Ausnahmefall, der lediglich im Temperament und nicht in der Gesinnung seine Wurzel hatte. Der Sanguiniker hielt nicht jederzeit mit sei- nem Witzwort und der Choleriker nicht jederzeit mit seinem Kraft- und Kernwort zurück, aber all das schuf nur Ausdrucks- und Disputationsformen, die hinter einer hervorblitzenden Kampfes- lust eine letzte Friedensgeneigtheit nie vermissen ließen. Ein Zug allgemeinen Wohlwollens, entsprossen aus der richtigen Würdigung einer auf Versöhnung und Liebe gestellten Berufs- und Lebensauf- gabe, bekundete sich in allem, in Großem und Kleinem, und rief mir die ganze Landpastoren-Schwärmerei meiner jungen Jahre wieder ins Leben zurück. Und aus ihren Reihen war es denn auch, daß mir meine recht eigentlichsten Mitarbeiter erwuchsen, solche, die sich's nicht blos angelegen sein ließen mir den Stoff, sondern eben diesen Stoff auch in der ihm zuständigen Form zu geben.
Und dabei welch erstaunliches Wissen im Detail. Immer neue Seiten in Historie, Natur- und Volksleben erschlossen sich mir und vergewisserten mich in der übrigens längstgehegten Ueber- zeugung, daß der Glückliche, dem es dermaleinst beschieden sein sollte, die Gesammtheit dieses in hundert Einzelforschungen eruirten und extrahirten Materials in sich zu vereinigen, der Sanspareil sein wird auf dem Gebiete märkischer Spezial-Geschichte.
theil von dem wahr, was ſich l’opinion publique als das Kriterium eines Landgeiſtlichen herausgeklügelt hat, und wenn ich weiter oben ſagen durfte, daß ich bei dem Adel auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Enge der Anſchauungen begegnet ſei, ſo bei dem Paſtor auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Unduldſamkeit. Es wird Einzel-Fälle davon gegeben haben und noch geben, aber ſie zu beobachten blieb mir erſpart. Ich habe weder die Rationa- liſten über die Strenggläubigen, noch die Strenggläubigen über die Rationaliſten in wirklich gehäſſigen Worten aburtheilen hören, auch nicht in Zeiten brennendſter Gegnerſchaft, offenſter Fehde, gleichviel nun ob Aera Mühler oder Aera Falk auf der Tages- ordnung ſtand. Ueberall vielmehr bekundete ſich ein beſtimmter guter Wille den Gegner auch in dem, was ihn zum Gegner machte, gelten zu laſſen, und was abwich von dieſer Regel, erwies ſich ſchließlich immer nur als Schein, als ein Ausnahmefall, der lediglich im Temperament und nicht in der Geſinnung ſeine Wurzel hatte. Der Sanguiniker hielt nicht jederzeit mit ſei- nem Witzwort und der Choleriker nicht jederzeit mit ſeinem Kraft- und Kernwort zurück, aber all das ſchuf nur Ausdrucks- und Disputationsformen, die hinter einer hervorblitzenden Kampfes- luſt eine letzte Friedensgeneigtheit nie vermiſſen ließen. Ein Zug allgemeinen Wohlwollens, entſproſſen aus der richtigen Würdigung einer auf Verſöhnung und Liebe geſtellten Berufs- und Lebensauf- gabe, bekundete ſich in allem, in Großem und Kleinem, und rief mir die ganze Landpaſtoren-Schwärmerei meiner jungen Jahre wieder ins Leben zurück. Und aus ihren Reihen war es denn auch, daß mir meine recht eigentlichſten Mitarbeiter erwuchſen, ſolche, die ſich’s nicht blos angelegen ſein ließen mir den Stoff, ſondern eben dieſen Stoff auch in der ihm zuſtändigen Form zu geben.
Und dabei welch erſtaunliches Wiſſen im Detail. Immer neue Seiten in Hiſtorie, Natur- und Volksleben erſchloſſen ſich mir und vergewiſſerten mich in der übrigens längſtgehegten Ueber- zeugung, daß der Glückliche, dem es dermaleinſt beſchieden ſein ſollte, die Geſammtheit dieſes in hundert Einzelforſchungen eruirten und extrahirten Materials in ſich zu vereinigen, der Sanspareil ſein wird auf dem Gebiete märkiſcher Spezial-Geſchichte.
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theil von dem wahr, was ſich l’opinion publique als das Kriterium
eines Landgeiſtlichen herausgeklügelt hat, und wenn ich weiter oben
ſagen durfte, daß ich bei dem Adel auf dem Lande nie der ihm
vorgeworfenen Enge der Anſchauungen begegnet ſei, ſo bei dem
Paſtor auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Unduldſamkeit.
Es wird Einzel-Fälle davon gegeben haben und noch geben, aber
ſie zu beobachten blieb mir erſpart. Ich habe weder die Rationa-
liſten über die Strenggläubigen, noch die Strenggläubigen über
die Rationaliſten in wirklich gehäſſigen Worten aburtheilen hören,
auch nicht in Zeiten brennendſter Gegnerſchaft, offenſter Fehde,
gleichviel nun ob Aera Mühler oder Aera Falk auf der Tages-
ordnung ſtand. Ueberall vielmehr bekundete ſich ein beſtimmter
guter Wille den Gegner auch in dem, was ihn zum Gegner
machte, gelten zu laſſen, und was abwich von dieſer Regel, erwies
ſich ſchließlich immer nur als Schein, als ein Ausnahmefall, der
lediglich im Temperament und nicht in der Geſinnung ſeine
Wurzel hatte. Der Sanguiniker hielt nicht jederzeit mit ſei-
nem Witzwort und der Choleriker nicht jederzeit mit ſeinem
Kraft- und Kernwort zurück, aber all das ſchuf nur Ausdrucks-
und Disputationsformen, die hinter einer hervorblitzenden Kampfes-
luſt eine letzte Friedensgeneigtheit nie vermiſſen ließen. Ein Zug
allgemeinen Wohlwollens, entſproſſen aus der richtigen Würdigung
einer auf Verſöhnung und Liebe geſtellten Berufs- und Lebensauf-
gabe, bekundete ſich in allem, in Großem und Kleinem, und rief
mir die ganze Landpaſtoren-Schwärmerei meiner jungen Jahre
wieder ins Leben zurück. Und aus ihren Reihen war es denn
auch, daß mir meine recht eigentlichſten Mitarbeiter erwuchſen,
ſolche, die ſich’s nicht blos angelegen ſein ließen mir den Stoff,
ſondern eben dieſen Stoff auch in der ihm zuſtändigen Form zu
geben.
Und dabei welch erſtaunliches Wiſſen im Detail. Immer
neue Seiten in Hiſtorie, Natur- und Volksleben erſchloſſen ſich
mir und vergewiſſerten mich in der übrigens längſtgehegten Ueber-
zeugung, daß der Glückliche, dem es dermaleinſt beſchieden ſein
ſollte, die Geſammtheit dieſes in hundert Einzelforſchungen
eruirten und extrahirten Materials in ſich zu vereinigen, der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/473>, abgerufen am 25.11.2024.
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