Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn wir, oder doch wenigstens ich, den Zug noch erpassen
wollten. Und immer rascher und geängstigter ging es vorwärts,
jetzt über die Gewehrfabrik und jetzt über den öden und sommer-
staubigen Exercirplatz hin, und nun hörten wir das erste
Läuten. O wie das ins Ohr gellte, denn die vollgestopfte
Brücke lag noch zwischen uns und unsrem Ziel. Also Trab,
Trab! Und ein ewiges und verzweifeltes "Pardon" auf der
Lippe, das uns freilich vor dem üblen Nachruf aller Carambolir-
ten nicht schützen konnte, ging es endlich zwischen den pickenden
Sperlingen hin, entlang den Droschkenstand, entlang den Perron
und nun hinauf die Treppe, bis ich keuchend und athemlos und
mit eingebüßtem Taschentuch in das nächstoffenstehende Coupe
hinein stürzte. "Gute Nacht". Und fort rasselte der Zug.

Es war wie Dauerlauf und Turnerfahrt aus alten Schul-
und Ferientagen her, und gab einem auf Augenblicke das Gefühl
einer ach auch damals schon auf lange hin zurückliegenden Jugend
wieder. Und schon das war ein Glück.


Und von manch' ähnlichem Tage könnt' ich noch berichten!
Aber die "Wanderungen" selbst erzählen davon, und so brech' ich
denn ab und schließe mit dem Wunsche, den ich schon einmal und
zwar bei Beginn des Werkes aussprechen durfte "daß das Lesen
dieser Dinge dem Leser wenigstens einen Theil der Freude bereiten
möge, den mir das Einsammeln seiner Zeit gewährte".

Berlin, 14. November 1881.

Th. F.


wenn wir, oder doch wenigſtens ich, den Zug noch erpaſſen
wollten. Und immer raſcher und geängſtigter ging es vorwärts,
jetzt über die Gewehrfabrik und jetzt über den öden und ſommer-
ſtaubigen Exercirplatz hin, und nun hörten wir das erſte
Läuten. O wie das ins Ohr gellte, denn die vollgeſtopfte
Brücke lag noch zwiſchen uns und unſrem Ziel. Alſo Trab,
Trab! Und ein ewiges und verzweifeltes „Pardon“ auf der
Lippe, das uns freilich vor dem üblen Nachruf aller Carambolir-
ten nicht ſchützen konnte, ging es endlich zwiſchen den pickenden
Sperlingen hin, entlang den Droſchkenſtand, entlang den Perron
und nun hinauf die Treppe, bis ich keuchend und athemlos und
mit eingebüßtem Taſchentuch in das nächſtoffenſtehende Coupé
hinein ſtürzte. „Gute Nacht“. Und fort raſſelte der Zug.

Es war wie Dauerlauf und Turnerfahrt aus alten Schul-
und Ferientagen her, und gab einem auf Augenblicke das Gefühl
einer ach auch damals ſchon auf lange hin zurückliegenden Jugend
wieder. Und ſchon das war ein Glück.


Und von manch’ ähnlichem Tage könnt’ ich noch berichten!
Aber die „Wanderungen“ ſelbſt erzählen davon, und ſo brech’ ich
denn ab und ſchließe mit dem Wunſche, den ich ſchon einmal und
zwar bei Beginn des Werkes ausſprechen durfte „daß das Leſen
dieſer Dinge dem Leſer wenigſtens einen Theil der Freude bereiten
möge, den mir das Einſammeln ſeiner Zeit gewährte“.

Berlin, 14. November 1881.

Th. F.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0475" n="459"/>
wenn wir, oder doch wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">ich</hi>, den Zug noch erpa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wollten. Und immer ra&#x017F;cher und geäng&#x017F;tigter ging es vorwärts,<lb/>
jetzt über die Gewehrfabrik und jetzt über den öden und &#x017F;ommer-<lb/>
&#x017F;taubigen Exercirplatz hin, und nun hörten wir das er&#x017F;te<lb/>
Läuten. O wie das ins Ohr gellte, denn die vollge&#x017F;topfte<lb/>
Brücke lag noch zwi&#x017F;chen uns und un&#x017F;rem Ziel. Al&#x017F;o Trab,<lb/>
Trab! Und ein ewiges und verzweifeltes &#x201E;Pardon&#x201C; auf der<lb/>
Lippe, das uns freilich vor dem üblen Nachruf aller Carambolir-<lb/>
ten nicht &#x017F;chützen konnte, ging es endlich zwi&#x017F;chen den pickenden<lb/>
Sperlingen hin, entlang den Dro&#x017F;chken&#x017F;tand, entlang den Perron<lb/>
und nun hinauf die Treppe, bis ich keuchend und athemlos und<lb/>
mit eingebüßtem Ta&#x017F;chentuch in das näch&#x017F;toffen&#x017F;tehende Coup<hi rendition="#aq">é</hi><lb/>
hinein &#x017F;türzte. &#x201E;Gute Nacht&#x201C;. Und fort ra&#x017F;&#x017F;elte der Zug.</p><lb/>
        <p>Es war wie Dauerlauf und Turnerfahrt aus alten Schul-<lb/>
und Ferientagen her, und gab einem auf Augenblicke das Gefühl<lb/>
einer ach auch damals &#x017F;chon auf lange hin zurückliegenden Jugend<lb/>
wieder. Und &#x017F;chon <hi rendition="#g">das</hi> war ein Glück.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Und von manch&#x2019; ähnlichem Tage könnt&#x2019; ich noch berichten!<lb/>
Aber die &#x201E;Wanderungen&#x201C; &#x017F;elb&#x017F;t erzählen davon, und &#x017F;o brech&#x2019; ich<lb/>
denn ab und &#x017F;chließe mit dem Wun&#x017F;che, den ich &#x017F;chon einmal und<lb/>
zwar bei Beginn des Werkes aus&#x017F;prechen durfte &#x201E;daß das Le&#x017F;en<lb/>
die&#x017F;er Dinge dem Le&#x017F;er wenig&#x017F;tens einen Theil der Freude bereiten<lb/>
möge, den mir das Ein&#x017F;ammeln &#x017F;einer Zeit gewährte&#x201C;.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 14. November 1881.</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#b">Th. F.</hi> </hi> </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0475] wenn wir, oder doch wenigſtens ich, den Zug noch erpaſſen wollten. Und immer raſcher und geängſtigter ging es vorwärts, jetzt über die Gewehrfabrik und jetzt über den öden und ſommer- ſtaubigen Exercirplatz hin, und nun hörten wir das erſte Läuten. O wie das ins Ohr gellte, denn die vollgeſtopfte Brücke lag noch zwiſchen uns und unſrem Ziel. Alſo Trab, Trab! Und ein ewiges und verzweifeltes „Pardon“ auf der Lippe, das uns freilich vor dem üblen Nachruf aller Carambolir- ten nicht ſchützen konnte, ging es endlich zwiſchen den pickenden Sperlingen hin, entlang den Droſchkenſtand, entlang den Perron und nun hinauf die Treppe, bis ich keuchend und athemlos und mit eingebüßtem Taſchentuch in das nächſtoffenſtehende Coupé hinein ſtürzte. „Gute Nacht“. Und fort raſſelte der Zug. Es war wie Dauerlauf und Turnerfahrt aus alten Schul- und Ferientagen her, und gab einem auf Augenblicke das Gefühl einer ach auch damals ſchon auf lange hin zurückliegenden Jugend wieder. Und ſchon das war ein Glück. Und von manch’ ähnlichem Tage könnt’ ich noch berichten! Aber die „Wanderungen“ ſelbſt erzählen davon, und ſo brech’ ich denn ab und ſchließe mit dem Wunſche, den ich ſchon einmal und zwar bei Beginn des Werkes ausſprechen durfte „daß das Leſen dieſer Dinge dem Leſer wenigſtens einen Theil der Freude bereiten möge, den mir das Einſammeln ſeiner Zeit gewährte“. Berlin, 14. November 1881. Th. F.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/475
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/475>, abgerufen am 25.11.2024.