mich um die Schloßinsel herum bis an die Ankerbucht, in der die "Sphinx" still und friedlich unter einem Dach weit vorgestreckter Ulmenzweige lag. Ein leiser Rauch stieg anheimelnd aus ihrem Küchenschornstein auf. Nach kurzem Anruf faßte ich eines der zwischen Mast und Schiffswandung straff ausgespannten Taue und kletterte die Stufen, bloße angenagelte Brettstücke, hinauf. Ich fand die Reisegesellschaft bereits versammelt. Es waren: Capitän Backhusen, Lieutenant Apitz, Supercargo Nettermann. Zu diesen drei Herren, die sich als Mitglieder des Seglerclubs bereits bei mancher Regatta bewährt hatten, gesellte sich, als ein- ziger Nicht-Gentleman an Bord, das Factotum Mudy. Er ver- einigte in sich alle niedrigeren Schiffsgrade vom Vollmatrosen bis zum Cajütenjungen, und führte jeden dieser Titel nicht nur als scherzhaften nom de guerre, sondern mit allervollster Berechtigung. Mit dem Stoßruder in der Hand hatte er sein halbes Leben auf Rüdersdorfer Kalk- und Linumer Torfkähnen zugebracht. Seine Dienste, wie immer die der Subalternen, waren unentbehrlich. Er war auch Koch.
Nach Begrüßung und Vorstellung durch den Capitän, baten alle drei Herren, sich auf eine gute halbe Stunde verabschieden zu dürfen, da eine, meine eigenen Interessen mitberührende Frage, die der Verproviantirung, noch zum Abschluß zu bringen sei. Mudy werde mittlerweile die Honneurs machen, wenn ich es nicht vorzöge, mich im Cöpenicker Schloßpark zu ergehen. Ich entschied mich für den Park. Mudy blieb mir immer noch; man hat nirgends so viel Zeit zu Personalstudien, wie an Bord eines Schiffes. Eine schmale Falltreppe führte mich an's Ufer; dann, meine Richtung auf das Schloß zu nehmend, erreichte ich ein großes, von einem Kiesweg eingefaßtes Wiesenrondeel. Um diesen Kiesweg herum, in weiter gespanntem Bogen, wuchsen Buschwerk und Unterholz auf, aus deren dichtem Gewirr einzelne alte Bäume, Eichen und Akazien, emporstiegen. Die Akazien füllten die Luft mit Wohlgeruch. Es war ein köstlicher Abend. In den Nischen des Buschwerkes standen halbzerbrochene Sandsteinfiguren, Urnen und trauernde Engel, anzeigend, daß hier in halbvergessenen Tagen irgend ein prinzeßlicher Vorleser, irgend ein Mitglied von Hofstaat oder Capelle begraben worden sei. Nun schlugen die
mich um die Schloßinſel herum bis an die Ankerbucht, in der die „Sphinx“ ſtill und friedlich unter einem Dach weit vorgeſtreckter Ulmenzweige lag. Ein leiſer Rauch ſtieg anheimelnd aus ihrem Küchenſchornſtein auf. Nach kurzem Anruf faßte ich eines der zwiſchen Maſt und Schiffswandung ſtraff ausgeſpannten Taue und kletterte die Stufen, bloße angenagelte Brettſtücke, hinauf. Ich fand die Reiſegeſellſchaft bereits verſammelt. Es waren: Capitän Backhuſen, Lieutenant Apitz, Supercargo Nettermann. Zu dieſen drei Herren, die ſich als Mitglieder des Seglerclubs bereits bei mancher Regatta bewährt hatten, geſellte ſich, als ein- ziger Nicht-Gentleman an Bord, das Factotum Mudy. Er ver- einigte in ſich alle niedrigeren Schiffsgrade vom Vollmatroſen bis zum Cajütenjungen, und führte jeden dieſer Titel nicht nur als ſcherzhaften nom de guerre, ſondern mit allervollſter Berechtigung. Mit dem Stoßruder in der Hand hatte er ſein halbes Leben auf Rüdersdorfer Kalk- und Linumer Torfkähnen zugebracht. Seine Dienſte, wie immer die der Subalternen, waren unentbehrlich. Er war auch Koch.
Nach Begrüßung und Vorſtellung durch den Capitän, baten alle drei Herren, ſich auf eine gute halbe Stunde verabſchieden zu dürfen, da eine, meine eigenen Intereſſen mitberührende Frage, die der Verproviantirung, noch zum Abſchluß zu bringen ſei. Mudy werde mittlerweile die Honneurs machen, wenn ich es nicht vorzöge, mich im Cöpenicker Schloßpark zu ergehen. Ich entſchied mich für den Park. Mudy blieb mir immer noch; man hat nirgends ſo viel Zeit zu Perſonalſtudien, wie an Bord eines Schiffes. Eine ſchmale Falltreppe führte mich an’s Ufer; dann, meine Richtung auf das Schloß zu nehmend, erreichte ich ein großes, von einem Kiesweg eingefaßtes Wieſenrondeel. Um dieſen Kiesweg herum, in weiter geſpanntem Bogen, wuchſen Buſchwerk und Unterholz auf, aus deren dichtem Gewirr einzelne alte Bäume, Eichen und Akazien, emporſtiegen. Die Akazien füllten die Luft mit Wohlgeruch. Es war ein köſtlicher Abend. In den Niſchen des Buſchwerkes ſtanden halbzerbrochene Sandſteinfiguren, Urnen und trauernde Engel, anzeigend, daß hier in halbvergeſſenen Tagen irgend ein prinzeßlicher Vorleſer, irgend ein Mitglied von Hofſtaat oder Capelle begraben worden ſei. Nun ſchlugen die
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mich um die Schloßinſel herum bis an die Ankerbucht, in der
die „Sphinx“ ſtill und friedlich unter einem Dach weit vorgeſtreckter
Ulmenzweige lag. Ein leiſer Rauch ſtieg anheimelnd aus ihrem
Küchenſchornſtein auf. Nach kurzem Anruf faßte ich eines der
zwiſchen Maſt und Schiffswandung ſtraff ausgeſpannten Taue
und kletterte die Stufen, bloße angenagelte Brettſtücke, hinauf.
Ich fand die Reiſegeſellſchaft bereits verſammelt. Es waren:
Capitän Backhuſen, Lieutenant Apitz, Supercargo Nettermann.
Zu dieſen drei Herren, die ſich als Mitglieder des Seglerclubs
bereits bei mancher Regatta bewährt hatten, geſellte ſich, als ein-
ziger Nicht-Gentleman an Bord, das Factotum Mudy. Er ver-
einigte in ſich alle niedrigeren Schiffsgrade vom Vollmatroſen bis
zum Cajütenjungen, und führte jeden dieſer Titel nicht nur als
ſcherzhaften nom de guerre, ſondern mit allervollſter Berechtigung.
Mit dem Stoßruder in der Hand hatte er ſein halbes Leben auf
Rüdersdorfer Kalk- und Linumer Torfkähnen zugebracht. Seine
Dienſte, wie immer die der Subalternen, waren unentbehrlich. Er
war auch Koch.
Nach Begrüßung und Vorſtellung durch den Capitän, baten
alle drei Herren, ſich auf eine gute halbe Stunde verabſchieden zu
dürfen, da eine, meine eigenen Intereſſen mitberührende Frage,
die der Verproviantirung, noch zum Abſchluß zu bringen ſei.
Mudy werde mittlerweile die Honneurs machen, wenn ich es nicht
vorzöge, mich im Cöpenicker Schloßpark zu ergehen. Ich entſchied
mich für den Park. Mudy blieb mir immer noch; man hat
nirgends ſo viel Zeit zu Perſonalſtudien, wie an Bord eines
Schiffes. Eine ſchmale Falltreppe führte mich an’s Ufer; dann,
meine Richtung auf das Schloß zu nehmend, erreichte ich ein
großes, von einem Kiesweg eingefaßtes Wieſenrondeel. Um dieſen
Kiesweg herum, in weiter geſpanntem Bogen, wuchſen Buſchwerk
und Unterholz auf, aus deren dichtem Gewirr einzelne alte Bäume,
Eichen und Akazien, emporſtiegen. Die Akazien füllten die Luft
mit Wohlgeruch. Es war ein köſtlicher Abend. In den Niſchen
des Buſchwerkes ſtanden halbzerbrochene Sandſteinfiguren, Urnen
und trauernde Engel, anzeigend, daß hier in halbvergeſſenen
Tagen irgend ein prinzeßlicher Vorleſer, irgend ein Mitglied von
Hofſtaat oder Capelle begraben worden ſei. Nun ſchlugen die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/75>, abgerufen am 26.11.2024.
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