Nachtigallen darüber. Eine dieser Begräbnißstätten -- nicht aus Pietät, sondern aus Gärtnerlaune -- war von einem Blumenbeet umgeben. Alles Grün fehlte; nur Lilien, weiße und rothe, drängten sich dicht durcheinander. Diese prätentiöse Pracht wirkte beinah unheimlich. Ein junges Cöpenicker Paar ging an mir vorüber, das vielleicht Auskunft geben konnte. "Wer liegt hier?" fragt' ich. "Da liegt der Flötenspieler," lautete die Antwort. Und dabei kicherten Beide.
Ich schlenderte noch den Kiesweg auf und ab, als ich meine Reisegefährten von der Schloßbrücke her zurückkommen sah. Es folgten ihnen drei paar Träger mit großen Deckelkörben, die den angekündigten Proviant herantrugen. Die Körbe, über den schmalen Steg hin direct an Bord zu schaffen, war unmöglich; ihr Inhalt mußte also vom Ufer aus in Einzelstücken herübergereicht werden, etwa wie sich Bauarbeiter die Steine zureichen. Dies gab mir Gelegenheit die Verproviantirung der "Sphinx" im Detail kennen zu lernen. Der Eindruck, den ich davon empfing, war ein ge- mischter, denn alles Tröstliche, was er mit sich brachte, wurde durch ebensoviel Beängstigendes balancirt. Durch welche Gegenden mußten wir kommen, um zu solchen Vorsichtsmaßregeln gezwungen zu sein! Es wurden eingeschifft: 120 Flaschen Tivolibier, 120 Flaschen Sodawasser, 30 Flaschen Bordeaux, 3 Filets, 2 Schock Eier, 1 Butterfaß, 1 Zuckerhut, 1 Baumkuchen, 6 Flaschen Scharlach- berger und 1 Dutzend Flaschen Champagner. Mehr noch als diese durch Zahl oder Gewicht bemerkenswerthen Quantitäten im- ponirte mir die Liste der "Kleinigkeiten"; sie füllte einen halben Bogen und wies über hundert Nummern auf. Ich citire daraus nur folgendes: eine Muscatnuß, ein kleines Reibeisen dazu, Salvei- blätter um Aal und Dilldolden um Schlei zu kochen. Alle diese Dinge, groß oder klein, verschwanden ohne Schwierigkeit in dem Rumpf des Schiffes; die Butter, das Fleisch erhielten ihren Platz auf großen Eisblöcken, und eh eine halbe Stunde um war, war auch die letzte Flasche "gestaut".
Damit hatten die Vorbereitungen ihr Ende erreicht; Ruhe trat an die Stelle der Arbeit, und während Mudy im Vorderraum des Schiffes sich um den Thee bemühte, saßen wir auf der
Nachtigallen darüber. Eine dieſer Begräbnißſtätten — nicht aus Pietät, ſondern aus Gärtnerlaune — war von einem Blumenbeet umgeben. Alles Grün fehlte; nur Lilien, weiße und rothe, drängten ſich dicht durcheinander. Dieſe prätentiöſe Pracht wirkte beinah unheimlich. Ein junges Cöpenicker Paar ging an mir vorüber, das vielleicht Auskunft geben konnte. „Wer liegt hier?“ fragt’ ich. „Da liegt der Flötenſpieler,“ lautete die Antwort. Und dabei kicherten Beide.
Ich ſchlenderte noch den Kiesweg auf und ab, als ich meine Reiſegefährten von der Schloßbrücke her zurückkommen ſah. Es folgten ihnen drei paar Träger mit großen Deckelkörben, die den angekündigten Proviant herantrugen. Die Körbe, über den ſchmalen Steg hin direct an Bord zu ſchaffen, war unmöglich; ihr Inhalt mußte alſo vom Ufer aus in Einzelſtücken herübergereicht werden, etwa wie ſich Bauarbeiter die Steine zureichen. Dies gab mir Gelegenheit die Verproviantirung der „Sphinx“ im Detail kennen zu lernen. Der Eindruck, den ich davon empfing, war ein ge- miſchter, denn alles Tröſtliche, was er mit ſich brachte, wurde durch ebenſoviel Beängſtigendes balancirt. Durch welche Gegenden mußten wir kommen, um zu ſolchen Vorſichtsmaßregeln gezwungen zu ſein! Es wurden eingeſchifft: 120 Flaſchen Tivolibier, 120 Flaſchen Sodawaſſer, 30 Flaſchen Bordeaux, 3 Filets, 2 Schock Eier, 1 Butterfaß, 1 Zuckerhut, 1 Baumkuchen, 6 Flaſchen Scharlach- berger und 1 Dutzend Flaſchen Champagner. Mehr noch als dieſe durch Zahl oder Gewicht bemerkenswerthen Quantitäten im- ponirte mir die Liſte der „Kleinigkeiten“; ſie füllte einen halben Bogen und wies über hundert Nummern auf. Ich citire daraus nur folgendes: eine Muscatnuß, ein kleines Reibeiſen dazu, Salvei- blätter um Aal und Dilldolden um Schlei zu kochen. Alle dieſe Dinge, groß oder klein, verſchwanden ohne Schwierigkeit in dem Rumpf des Schiffes; die Butter, das Fleiſch erhielten ihren Platz auf großen Eisblöcken, und eh eine halbe Stunde um war, war auch die letzte Flaſche „geſtaut“.
Damit hatten die Vorbereitungen ihr Ende erreicht; Ruhe trat an die Stelle der Arbeit, und während Mudy im Vorderraum des Schiffes ſich um den Thee bemühte, ſaßen wir auf der
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Nachtigallen darüber. Eine dieſer Begräbnißſtätten — nicht aus
Pietät, ſondern aus Gärtnerlaune — war von einem Blumenbeet
umgeben. Alles Grün fehlte; nur Lilien, weiße und rothe, drängten
ſich dicht durcheinander. Dieſe prätentiöſe Pracht wirkte beinah
unheimlich. Ein junges Cöpenicker Paar ging an mir vorüber,
das vielleicht Auskunft geben konnte. „Wer liegt hier?“ fragt’ ich.
„Da liegt der Flötenſpieler,“ lautete die Antwort. Und dabei
kicherten Beide.
Ich ſchlenderte noch den Kiesweg auf und ab, als ich meine
Reiſegefährten von der Schloßbrücke her zurückkommen ſah. Es
folgten ihnen drei paar Träger mit großen Deckelkörben, die den
angekündigten Proviant herantrugen. Die Körbe, über den ſchmalen
Steg hin direct an Bord zu ſchaffen, war unmöglich; ihr Inhalt
mußte alſo vom Ufer aus in Einzelſtücken herübergereicht werden,
etwa wie ſich Bauarbeiter die Steine zureichen. Dies gab mir
Gelegenheit die Verproviantirung der „Sphinx“ im Detail kennen
zu lernen. Der Eindruck, den ich davon empfing, war ein ge-
miſchter, denn alles Tröſtliche, was er mit ſich brachte, wurde
durch ebenſoviel Beängſtigendes balancirt. Durch welche Gegenden
mußten wir kommen, um zu ſolchen Vorſichtsmaßregeln gezwungen
zu ſein! Es wurden eingeſchifft: 120 Flaſchen Tivolibier, 120 Flaſchen
Sodawaſſer, 30 Flaſchen Bordeaux, 3 Filets, 2 Schock Eier,
1 Butterfaß, 1 Zuckerhut, 1 Baumkuchen, 6 Flaſchen Scharlach-
berger und 1 Dutzend Flaſchen Champagner. Mehr noch als
dieſe durch Zahl oder Gewicht bemerkenswerthen Quantitäten im-
ponirte mir die Liſte der „Kleinigkeiten“; ſie füllte einen halben
Bogen und wies über hundert Nummern auf. Ich citire daraus
nur folgendes: eine Muscatnuß, ein kleines Reibeiſen dazu, Salvei-
blätter um Aal und Dilldolden um Schlei zu kochen. Alle dieſe
Dinge, groß oder klein, verſchwanden ohne Schwierigkeit in dem
Rumpf des Schiffes; die Butter, das Fleiſch erhielten ihren Platz
auf großen Eisblöcken, und eh eine halbe Stunde um war, war
auch die letzte Flaſche „geſtaut“.
Damit hatten die Vorbereitungen ihr Ende erreicht; Ruhe
trat an die Stelle der Arbeit, und während Mudy im Vorderraum
des Schiffes ſich um den Thee bemühte, ſaßen wir auf der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/76>, abgerufen am 26.11.2024.
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