"Nein, weiter aufwärts auf der Müggel. Sie ist das tückischste unter allen Wässern. Gerade so tückisch, wie sie unschuldig aussieht. Plötzlich springt ein Wind auf, wirft sich in die Segel und legt das Boot auf die Seite. Wer sich dann an Mast und Planke hält, der mag gerettet werden; wer es aber durch eigene Kunst ertrotzen will, der ist verloren. Er verfitzt sich im Kraut und geht in die Tiefe. Die guten Schwimmer und die guten Segler, gerade sie sind es, die der Müggeltücke verfallen."
"Aber muß es denn immer die Müggel sein?"
"Nein. Es ist freilich die schönste Wasserfläche weit und breit, nicht zu sprechen davon, daß die Gefahr ebenso anzieht, wie sie schreckt. Aber dennoch ist das Ansehen der Müggel im Nieder- gehen. Sie muß mindestens die Herrschaft theilen. Wir bevor- zugen jetzt die wendische Spree. Dort finden auch unsererseits die Regatten statt, deren ich schon flüchtig gegen Sie erwähnte."
"Man hört so selten davon."
"Gewiß. Die Berliner haben keinen Sinn dafür. Man merkt ihnen nicht an, daß sie von den Fischerwenden abstammen. Aber was sie in ihrer Totalität vermissen lassen, das suchen die Einzelnen wieder auszugleichen. Und diese Einzelnen sind wir. Ich wollte, Sie wären einmal zugegen, wenn der Mai anbricht und an unseren Ankerplätzen Alles Leben und Erwartung ist. Wir sind dann in derselben Erregung, wie wenn Oxford und Cambridge an der Brücke von Twickenham ihren Wettkampf führen."
"Und der Schauplatz dieser Wettkämpfe ist jetzt die wendische Spree?"
"Ja, oder doch zumeist. Es ist dasselbe Terrain, das Sie morgen kennen lernen werden. Trotz der Müggel eine pompöse Wasserfläche; die Themse bietet nichts Aehnliches. Bei Cafe Lubow, halben Wegs zwischen Cöpenick und Grünau, beginnt unsere Segelbahn, durchschneidet der Länge nach den Langen See und läuft dann an der Crampenbaude vorbei auf unser Flaggenschiff zu, das, weithin sichtbar, im breiten Seddin-See das ersehnte Ziel aller unserer Anstrengungen bildet. Das Ziel und den Drehpunkt. Jetzt, mit seitwärts gedrücktem Steuer, die Biegung um das Flaggenschiff herum, und mit verdoppeltem Eifer geht es die Segel-
„Nein, weiter aufwärts auf der Müggel. Sie iſt das tückiſchſte unter allen Wäſſern. Gerade ſo tückiſch, wie ſie unſchuldig ausſieht. Plötzlich ſpringt ein Wind auf, wirft ſich in die Segel und legt das Boot auf die Seite. Wer ſich dann an Maſt und Planke hält, der mag gerettet werden; wer es aber durch eigene Kunſt ertrotzen will, der iſt verloren. Er verfitzt ſich im Kraut und geht in die Tiefe. Die guten Schwimmer und die guten Segler, gerade ſie ſind es, die der Müggeltücke verfallen.“
„Aber muß es denn immer die Müggel ſein?“
„Nein. Es iſt freilich die ſchönſte Waſſerfläche weit und breit, nicht zu ſprechen davon, daß die Gefahr ebenſo anzieht, wie ſie ſchreckt. Aber dennoch iſt das Anſehen der Müggel im Nieder- gehen. Sie muß mindeſtens die Herrſchaft theilen. Wir bevor- zugen jetzt die wendiſche Spree. Dort finden auch unſererſeits die Regatten ſtatt, deren ich ſchon flüchtig gegen Sie erwähnte.“
„Man hört ſo ſelten davon.“
„Gewiß. Die Berliner haben keinen Sinn dafür. Man merkt ihnen nicht an, daß ſie von den Fiſcherwenden abſtammen. Aber was ſie in ihrer Totalität vermiſſen laſſen, das ſuchen die Einzelnen wieder auszugleichen. Und dieſe Einzelnen ſind wir. Ich wollte, Sie wären einmal zugegen, wenn der Mai anbricht und an unſeren Ankerplätzen Alles Leben und Erwartung iſt. Wir ſind dann in derſelben Erregung, wie wenn Oxford und Cambridge an der Brücke von Twickenham ihren Wettkampf führen.“
„Und der Schauplatz dieſer Wettkämpfe iſt jetzt die wendiſche Spree?“
„Ja, oder doch zumeiſt. Es iſt daſſelbe Terrain, das Sie morgen kennen lernen werden. Trotz der Müggel eine pompöſe Waſſerfläche; die Themſe bietet nichts Aehnliches. Bei Café Lubow, halben Wegs zwiſchen Cöpenick und Grünau, beginnt unſere Segelbahn, durchſchneidet der Länge nach den Langen See und läuft dann an der Crampenbaude vorbei auf unſer Flaggenſchiff zu, das, weithin ſichtbar, im breiten Seddin-See das erſehnte Ziel aller unſerer Anſtrengungen bildet. Das Ziel und den Drehpunkt. Jetzt, mit ſeitwärts gedrücktem Steuer, die Biegung um das Flaggenſchiff herum, und mit verdoppeltem Eifer geht es die Segel-
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„Nein, weiter aufwärts auf der Müggel. Sie iſt das
tückiſchſte unter allen Wäſſern. Gerade ſo tückiſch, wie ſie unſchuldig
ausſieht. Plötzlich ſpringt ein Wind auf, wirft ſich in die Segel
und legt das Boot auf die Seite. Wer ſich dann an Maſt und
Planke hält, der mag gerettet werden; wer es aber durch eigene
Kunſt ertrotzen will, der iſt verloren. Er verfitzt ſich im Kraut und
geht in die Tiefe. Die guten Schwimmer und die guten Segler,
gerade ſie ſind es, die der Müggeltücke verfallen.“
„Aber muß es denn immer die Müggel ſein?“
„Nein. Es iſt freilich die ſchönſte Waſſerfläche weit und breit,
nicht zu ſprechen davon, daß die Gefahr ebenſo anzieht, wie ſie
ſchreckt. Aber dennoch iſt das Anſehen der Müggel im Nieder-
gehen. Sie muß mindeſtens die Herrſchaft theilen. Wir bevor-
zugen jetzt die wendiſche Spree. Dort finden auch unſererſeits
die Regatten ſtatt, deren ich ſchon flüchtig gegen Sie erwähnte.“
„Man hört ſo ſelten davon.“
„Gewiß. Die Berliner haben keinen Sinn dafür. Man
merkt ihnen nicht an, daß ſie von den Fiſcherwenden abſtammen.
Aber was ſie in ihrer Totalität vermiſſen laſſen, das ſuchen die
Einzelnen wieder auszugleichen. Und dieſe Einzelnen ſind wir.
Ich wollte, Sie wären einmal zugegen, wenn der Mai anbricht
und an unſeren Ankerplätzen Alles Leben und Erwartung iſt.
Wir ſind dann in derſelben Erregung, wie wenn Oxford und
Cambridge an der Brücke von Twickenham ihren Wettkampf
führen.“
„Und der Schauplatz dieſer Wettkämpfe iſt jetzt die wendiſche
Spree?“
„Ja, oder doch zumeiſt. Es iſt daſſelbe Terrain, das Sie
morgen kennen lernen werden. Trotz der Müggel eine pompöſe
Waſſerfläche; die Themſe bietet nichts Aehnliches. Bei Café
Lubow, halben Wegs zwiſchen Cöpenick und Grünau, beginnt unſere
Segelbahn, durchſchneidet der Länge nach den Langen See und läuft
dann an der Crampenbaude vorbei auf unſer Flaggenſchiff zu, das,
weithin ſichtbar, im breiten Seddin-See das erſehnte Ziel aller
unſerer Anſtrengungen bildet. Das Ziel und den Drehpunkt.
Jetzt, mit ſeitwärts gedrücktem Steuer, die Biegung um das
Flaggenſchiff herum, und mit verdoppeltem Eifer geht es die Segel-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/78>, abgerufen am 26.11.2024.
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