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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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"Ich sage dazu nicht nein. Ein Jeder nach seinen Kräften.
Wie Sie wissen, haben die Mittel-Grafschaften Englands ihren
vollen Antheil an dem Flottenruhm der Nation. Lord Nelson
war ein Predigerssohn. Das Binnenland hat die Sehnsucht nach
der See, und aus dieser Sehnsucht erwächst immer das Beste.
Nicht aus der alltäglichen Routine. Wollen Sie glauben, daß
wir zwischen Cafe Lubow und der Crampenbaude mehr als einen
Chinafahrer ausgebildet haben?"

"Sie scherzen."

"Durchaus nicht. Ich nenne Namen. Einer dieser China-
fahrer war Victor von Gräfe, der, zu Mehrung des von Vater
und Bruder her ererbten Ruhmes, das Seine getreulich beigetragen
hat. Wenigstens nach unserer Vorstellung."

"Und zwar als Chinafahrer?"

"Gewiß. Es mögen jetzt zwanzig Jahre sein, daß er in
Stettin eine Brigg bauen ließ, sie befrachtete und mit ihr nach
England ging. Er war Schiffsrheder und Capitain zugleich. Mit
ihm war unser alter Eichmann, ein Freund und Clubgenosse, der
die Dienste eines Steuermanns versah. In England wurde die
Fracht gewechselt; dann ging es in großer Tour erst bis Ceylon,
dann von Ceylon bis Hongkong. In den ostasiatischen Gewässern
verblieben die Freunde längere Zeit, wurden für die Linie
Singapore-Calcutta gechartert, und befuhren dieselbe eine Reihe
von Malen. Ihre Ladung war abwechselnd Thee und Reis. Sie
verdienten ein bedeutendes Stück Geld und trafen nach Ablauf von
dritthalb Jahren wohlbehalten an unserer pommerschen Küste wieder
ein. Ihre Studien zu solcher Weltumsegelung aber -- denn ich
glaube fast, daß sie ihren Rückweg um das Cap Horn nahmen --
hatten sie auf der Müggel und dem Seddin-See gemacht."

Unter solchem Geplauder war Mitternacht herangekommen;
die Lichter am Ufer hin erloschen, Nichts leuchtete mehr als die
Johanniskäfer im Gebüsch und die Sterne zu unseren Häupten.
Die Frische des Abends steigerte sich zu nächtlicher Kühle und ein
Frösteln überlief uns, trotzdem längst energischere Getränke an die
Stelle des von Mudy präsentirten Thees getreten waren. Capitain
Backhusen mahnte zum Aufbruch. In der Cajüte drückte noch die
Schwüle des Tages, so daß wir übereinkamen, die Thür nicht zu

„Ich ſage dazu nicht nein. Ein Jeder nach ſeinen Kräften.
Wie Sie wiſſen, haben die Mittel-Grafſchaften Englands ihren
vollen Antheil an dem Flottenruhm der Nation. Lord Nelſon
war ein Predigersſohn. Das Binnenland hat die Sehnſucht nach
der See, und aus dieſer Sehnſucht erwächſt immer das Beſte.
Nicht aus der alltäglichen Routine. Wollen Sie glauben, daß
wir zwiſchen Café Lubow und der Crampenbaude mehr als einen
Chinafahrer ausgebildet haben?“

„Sie ſcherzen.“

„Durchaus nicht. Ich nenne Namen. Einer dieſer China-
fahrer war Victor von Gräfe, der, zu Mehrung des von Vater
und Bruder her ererbten Ruhmes, das Seine getreulich beigetragen
hat. Wenigſtens nach unſerer Vorſtellung.“

„Und zwar als Chinafahrer?“

„Gewiß. Es mögen jetzt zwanzig Jahre ſein, daß er in
Stettin eine Brigg bauen ließ, ſie befrachtete und mit ihr nach
England ging. Er war Schiffsrheder und Capitain zugleich. Mit
ihm war unſer alter Eichmann, ein Freund und Clubgenoſſe, der
die Dienſte eines Steuermanns verſah. In England wurde die
Fracht gewechſelt; dann ging es in großer Tour erſt bis Ceylon,
dann von Ceylon bis Hongkong. In den oſtaſiatiſchen Gewäſſern
verblieben die Freunde längere Zeit, wurden für die Linie
Singapore-Calcutta gechartert, und befuhren dieſelbe eine Reihe
von Malen. Ihre Ladung war abwechſelnd Thee und Reis. Sie
verdienten ein bedeutendes Stück Geld und trafen nach Ablauf von
dritthalb Jahren wohlbehalten an unſerer pommerſchen Küſte wieder
ein. Ihre Studien zu ſolcher Weltumſegelung aber — denn ich
glaube faſt, daß ſie ihren Rückweg um das Cap Horn nahmen —
hatten ſie auf der Müggel und dem Seddin-See gemacht.“

Unter ſolchem Geplauder war Mitternacht herangekommen;
die Lichter am Ufer hin erloſchen, Nichts leuchtete mehr als die
Johanniskäfer im Gebüſch und die Sterne zu unſeren Häupten.
Die Friſche des Abends ſteigerte ſich zu nächtlicher Kühle und ein
Fröſteln überlief uns, trotzdem längſt energiſchere Getränke an die
Stelle des von Mudy präſentirten Thees getreten waren. Capitain
Backhuſen mahnte zum Aufbruch. In der Cajüte drückte noch die
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[64/0080] „Ich ſage dazu nicht nein. Ein Jeder nach ſeinen Kräften. Wie Sie wiſſen, haben die Mittel-Grafſchaften Englands ihren vollen Antheil an dem Flottenruhm der Nation. Lord Nelſon war ein Predigersſohn. Das Binnenland hat die Sehnſucht nach der See, und aus dieſer Sehnſucht erwächſt immer das Beſte. Nicht aus der alltäglichen Routine. Wollen Sie glauben, daß wir zwiſchen Café Lubow und der Crampenbaude mehr als einen Chinafahrer ausgebildet haben?“ „Sie ſcherzen.“ „Durchaus nicht. Ich nenne Namen. Einer dieſer China- fahrer war Victor von Gräfe, der, zu Mehrung des von Vater und Bruder her ererbten Ruhmes, das Seine getreulich beigetragen hat. Wenigſtens nach unſerer Vorſtellung.“ „Und zwar als Chinafahrer?“ „Gewiß. Es mögen jetzt zwanzig Jahre ſein, daß er in Stettin eine Brigg bauen ließ, ſie befrachtete und mit ihr nach England ging. Er war Schiffsrheder und Capitain zugleich. Mit ihm war unſer alter Eichmann, ein Freund und Clubgenoſſe, der die Dienſte eines Steuermanns verſah. In England wurde die Fracht gewechſelt; dann ging es in großer Tour erſt bis Ceylon, dann von Ceylon bis Hongkong. In den oſtaſiatiſchen Gewäſſern verblieben die Freunde längere Zeit, wurden für die Linie Singapore-Calcutta gechartert, und befuhren dieſelbe eine Reihe von Malen. Ihre Ladung war abwechſelnd Thee und Reis. Sie verdienten ein bedeutendes Stück Geld und trafen nach Ablauf von dritthalb Jahren wohlbehalten an unſerer pommerſchen Küſte wieder ein. Ihre Studien zu ſolcher Weltumſegelung aber — denn ich glaube faſt, daß ſie ihren Rückweg um das Cap Horn nahmen — hatten ſie auf der Müggel und dem Seddin-See gemacht.“ Unter ſolchem Geplauder war Mitternacht herangekommen; die Lichter am Ufer hin erloſchen, Nichts leuchtete mehr als die Johanniskäfer im Gebüſch und die Sterne zu unſeren Häupten. Die Friſche des Abends ſteigerte ſich zu nächtlicher Kühle und ein Fröſteln überlief uns, trotzdem längſt energiſchere Getränke an die Stelle des von Mudy präſentirten Thees getreten waren. Capitain Backhuſen mahnte zum Aufbruch. In der Cajüte drückte noch die Schwüle des Tages, ſo daß wir übereinkamen, die Thür nicht zu

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/80>, abgerufen am 26.11.2024.